Ausgabe

Eine besondere jüdische Familiengeschichte

Christoph Tepperberg

Inhalt

Ilse Krumpöck: Die Schidloffs oder „Mir lebn ejbig, mir sajnen do!“ 

Munderfing: Verlag Innsalz 2022.

249 Seiten, Euro 23,00.- 

ISBN: 978-3-903321-83-0

 

Eine Inspiration zu dem Buch ergab sich aus der räumlichen Nähe der Autorin zur letzten Adresse der Schidloffs in Zwettl. Ilse Krumpöck kann von ihrem Schreibtisch aus direkt in die rückseitigen Gewölbe des Stammhauses der Familie Schidloff blicken (S. 7). Friedel Moll, langjähriger Stadtarchivar von Zwettl, hat zum Thema Juden in Zwettl eingehend recherchiert und publiziert.1 Auf Grundlage seiner Forschungen verfasste Ilse Krumpöck eine Familiengeschichte der besonderen Art. Sie lässt darin die Protagonisten ihre Lebensgeschichten in autobiografischer Darstellung schildern und ergänzt diese durch realistische Annahmen. Sie unternimmt dabei den Versuch, durch Anleihen am Jiddischen unter dem Blickwinkel von Ausgrenzung und Antisemitismus die Mentalität jüdischer Lebenswelten im 19. und 20. Jahrhundert einzufangen. Auf diese Art werden die Schicksale von vierzehn Familienmitgliedern der Schidloffs in 14 „Kreuzwegstationen“ nachgezeichnet und mit zeitgenössischen Presseartikeln und einschlägigen Fotos illustriert (S. 14-211). 

 

1852 versuchte der Branntweinhändler Samuel Schidloff (1821–1903) aus Altstadt in Böhmen (Staré Mésto, Tschechien) im niederösterreichischen Zwettl Fuss zu fassen. Trotz anfänglichen Widerstandes der Stadtverwaltung gelang es ihm, sich 1856 mit seiner Familie in Zwettl niederzulassen (S. 14-45). In der Folge waren die Schidloffs durch vier Generationen die bedeutendste und angesehenste jüdische Familie von Zwettl. Sie trat nicht nur unternehmerisch, sondern auch durch kommunales, karitatives und künstlerisches Engagement in Erscheinung. Einer der Schidloffs starb 1918 im Weltkrieg. Nach dem Anschluss 1938 wurde die Familie von den Nationalsozialisten vertrieben, ihre letzten Mitglieder 1942–1944 in Theresienstadt beziehungsweise Auschwitz ermordet (S. 148-211). „Da die Ich-Form gewählt wurde, erzählen die Opfer ihr Martyrium als verstorbene oder ermordete Seelen.“ (S. 9). Im Kapitel „Golgotha“ wird eine Grabschändung der Nachkriegszeit an fünf Kindern der Schidloffs und anderen jüdischen Opfern geschildert und mit bisher unbekannten Fotos belegt (S. 212-233). Ein Glossar jiddischer Ausdrücke (S. 241-244), eine Kurzbiographie der Autorin (S. 247) und ihre 2011-2021 erschienenen Werke (S. 248-249) ergänzen diese interessante Publikation. 

 

 

Zur Autorin

Mag. Dr. Ilse Krumpöck (geb. 1952 in Bregenz), langjährige Leiterin des kunsthistorischen Referats des Heeresgeschichtlichen Museums Wien, ist seit 2008 als freie Schriftstellerin tätig; Publikationen zu Antisemitismus und Nationalsozialismus im Waldviertel, u. a. Hitlers Grossmutter (2011), Turnvater Jahns Erben im Waldviertel (2020), Aurelius Polzer. Ein Wegbereiter des Nationalsozialismus (2021), Anton Ohme, der Söldling Schönerers (2021).2 (http://www.ilsekrumpoeck.at/)

 

Anmerkungen

1 Vgl. dazu den Beitrag Juden in Zwettl von Friedel Rainer Moll in diesem Heft.

2 Vgl. dazu die Rezension Ein Lakai des Judenhasses. In: DAVID Heft 132 (2022).