Sigurd Bernwiller
Äneas Humm (Bariton)/ Renate Rohlfing (Klavier): Embrace.
Hensel, Liszt, Ullmann, Grieg.
CD Rondeau Productions 2022.
Unter dem Titel Embrace hat der junge Schweizer Bariton Äneas Humm – ausgebildet an der Juilliard School in New York – eine Auswahl von Liedern aufgenommen, wobei er ausgetretene Pfade zu vermeiden versucht. Begleitet wird er von der aus Honolulu stammenden Pianistin Renate Rohlfing, die durch ihre Zusammenarbeit mit namhaften Opernsängern auf eine erfolgreiche Karriere verweisen kann.
Vier bezaubernde Werke, ausgewählt aus den ungefähr 250 komponierten Liedern von Fanny Hensel, der diskreten Schwester von Felix Mendelssohn, lassen die Kunst von Brahms erahnen und sind mit Genuss anzuhören. Von Franz Liszt gibt es sechs Lieder, darunter das mysteriöse und mitreissende Ihr Glocken von Marling und das sehr lyrische und wagnerianische Ein Fichtenbaum nach einem Gedicht von Heinrich Heine und Über allen Gipfeln ist Ruh nach Johann Wolfgang von Goethe. Das Programm dieses „Liederabends“ endet mit deutschen Melodien (Texte: Heine, Goethe und Ludwig Uhland) des norwegischen Komponisten Edward Grieg.
Die Pianistin Renate Rohlfing bewirkt Wunder in den von ihr vorgeschlagenen Klängen vom tiefen Summen bis zu leichtem Stakkato in den Tonhöhen.
Aber der interessanteste Teil des Programms betrifft den eher unbekannten Viktor Ullmann. Äneas Humm hat hier dessen Zyklus Der Mensch und sein Tag gewählt, eine Folge von kleinsten Stücken im Stil japanischer Haikus, wie Proben aus der Zwölftontechnik der Zweiten Schule von Wien. Hugo Wolf und Gustav Mahler sind auch nicht weit!
Ullman, in eine jüdische Familie in Teschen (heute Těšín in Tschechien) geboren, wurde 1898 Schüler von Arnold Schönberg in Wien, dann, nach seiner Übersiedlung nach Prag, perfektionierte er sich bei Alexander Zemlinsky.
Er wurde 1942 mit seiner Frau verhaftet und nach Theresienstadt/Terezín deportiert. Dort verfasste er in Hast und Angst ergreifende Werke für ein „Kulturleben“, das die Nazis als Propagandaschaufenster für die öffentliche Meinung und besonders zur Täuschung des Roten Kreuzes geschaffen hatten. Am 16. Oktober 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, wo er gleich nach seiner Ankunft ermordet wurde.
Die Gedichte, die er in seinen Liedern vertonte, wurden von seinem Leidensgenossen Hans Günther Adler, geboren 1910 in einer jüdischen Familie in Prag, verfasst. Auch dieser war nach Theresienstadt/Terezín gebracht und anschliessend nach Auschwitz deportiert worden, konnte aber wie durch ein Wunder überleben. In den Konzentrationslagern verlor Hans Günther Adler sechzehn seiner Familienangehörigen; bis zu seinem Tod 1988 konnte er nicht aufhören, über das Leben in Auschwitz Zeugnis abzulegen.
Sein historisches Werk ist monumental, seine Gedichte sind jedoch weniger bekannt. Embrace will hier der sanfteren und zerbrechlicheren Facetten des Schreibens von Adler gerecht werden. Die CD macht Lust, auch die anderen Werke von Ullmann kennenzulernen, wie seine Opern Der Sturz des Antichrist und Der Kaiser von Atlantis, komponiert in Theresienstadt, oder seine Kammermusik, wo bekannte Themen der religiösen jüdischen Gesänge in eindringliche Leitmotive eingegliedert wurden. Der Bariton zeigt grosse musikalische Qualitäten, ein schönes Legato und eine perfekte Diktion. Nicht ganz werden die Erwartungen in der Ausdruckskraft erfüllt, man würde manchmal gern mehr Heftigkeit, mehr Verrücktheit sehen. Man bleibt im Register des Vertrauten, ans Ohr geflüstert mit dem Timbre von Danilo aus Franz Lehárs Lustiger Witwe, aber man würde gelegentlich männliche Akzente in der Art von Alban Bergs Wozzeck bevorzugen, denn das Repertoire der Lieder kann zu besänftigend wirken, wenn das Relief fehlt.