Ausgabe

Überraschende Nachricht aus Auschwitz In Erinnerung an Ingrid G.

Kerstin Kellermann

Ihr Vater erfuhr zufällig vom Schicksal seiner ermordeten Schwester. Ein Nachruf auf Ingrid G., die sich in ihrem Gemeindebau in Wien-Ottakring ein Denkmal für die jüdischen Vertriebenen wünschte.

Inhalt

Emil Libesny, Klavierstimmer, Rudolf Spielmann, Steindrucker, Hermann Ratyn, Schriftsetzer; Kündigungsgrund nach den Akten des Bezirksgerichtes Hernals aus 1938: Nichtarier. Die kürzlich relativ jung verstorbene Ingrid G. setzte sich für die aus ihren Wohnungen vertriebenen jüdischen Menschen im Gemeindebau in Sandleiten ein und wünschte sich für jeden der achtzehn Sozialinvaliden des Ersten Weltkrieges einen Baum am Matteottiplatz. „Die Leute fürchten sich oft vor Mahnmälern, fühlen sich manchmal wie erschlagen“, meinte sie, „deswegen sollte es etwas schönes Lebendiges wie Bäume sein. Aber mit Namensschleifen.“ Das Kündigungsschreiben an David Klein aus der Gomperzgasse 1-7, Stiege 2, Tür 5 konnte nicht zugestellt werden, da er sich in Dachau befand. Auch der Ledergalanterie-Arbeiter Karl Freud und dessen Vater endeten nach ihrer Delogierung in Dachau. Bis heute erinnert nichts an diese armen Männer.

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Ingrid G. Foto: K. Kellermann, mit freundlicher Genehmigung.

Ingrid G. hatte als Kind nebenbei im Gasthaus erfahren, dass ihre Tante von der Gestapo verschleppt worden war: Als zwei Gestapo-Männer ihre Kinder abholen wollten, hatte Marianna G. zum Küchenmesser gegriffen und ihre Kinder verteidigt. Die tapfere Frau tauchte nie wieder auf. Trotzdem war es für jemanden ohne Computerwissen ein Schock, plötzlich schwarz auf weiss im Auschwitz-Archiv die Daten ihrer Tante gezeigt zu bekommen. Ingrids Vater war schnell verschwunden, nachdem ihm eine Auschwitz Überlebende, der er am Bahnhof in Bad Gastein die Tasche tragen half, von der Ermordung seiner Schwester erzählte. Was für eine Überraschung, dieses Treffen! Entweder über eine Ähnlichkeit im Gesicht oder über den Namen hatte die Überlebende, die zur Kur in den Heilstollen fuhr, erraten, dass sie vor dem Bruder ihrer ehemaligen KZ-Zimmerkollegin stand. Dadurch, dass er ausriss, erfuhr er aber nie den Namen der Frau, die ihm „quasi den Partezettel in die Hand drückte“, wie Ingrid meinte.

 

Nach Ingrids Begräbnis am Waldfriedhof hoch über der Donau – unter einem Baum, der zwei Stämme aufweist – suchen die Nachfahren nun nach den drei Kindern ihrer Grosstante Marianna. Sie haben nach Hartheim und ins Landesarchiv Kärnten geschrieben. Der Holocaust ragt bei vielen Familien in die Gegenwart herein und beschäftigt die Nachfahren bis heute. Eine gewisse Befriedigung scheint für sie jedoch die Klärung der Familiengeschichte zu sein. Rätsel müssen gelöst werden. Der Österreichische Nationalfonds könnte die Nachfahren von Ingrid, wie viele andere, mit seinen professionellen Recherche-Möglichkeiten doch unterstützen.