Die Hauptstadt Krakau und die bis zum ersten Juli 1915 unabhängige Josefstadt (heute Podgórze) wurden 1850 aufgrund eines Erlasses Kaiser Franz Josefs I. in die Festung Krakau eingegliedert. In beiden Städten bildeten Juden einen grossen Teil der Bevölkerung und waren in selbständigen israelitischen Kultusgemeinden organisiert.
Der Krakauer Gemeinde gehörte der Neue Friedhof an der Miodowa-Strasse; die Gemeinde in der Josefstadt erhielt im Jahr 1888 einen eigenen Friedhof an der Jerozolimska-Strasse. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und den ersten blutigen Zusammenstössen in Galizien im September und Oktober 1914 entschied sich die österreichisch-ungarische Armee, die über keinen eigenen Garnisonsfriedhof verfügte, gefallene oder in Militärspitälern gestorbene Soldaten in zivilen Nekropolen Krakaus zu begraben, so auch auf den beiden jüdischen Friedhöfen. In Militärdokumenten wurden Abteilungen für Soldaten als abgetrennte Friedhöfe bezeichnet und erhielten die Nummern 385 (Jerozolimska) und 387 (Miodowa).
Der Soldatenfriedhof Nr. 385, Jerozolimska-Strasse, Josefstadt
Über den Zivilfriedhof ist wenig bekannt. Aleksander Biberstein schreibt, dass viele Gräber echte Kunstwerke waren. In manchen Quellen sind Informationen über die Kriegsgräberabteilung zu finden, darunter im Buch Die Westgalizischen Heldengräber aus den Jahren des Weltkrieges 1914-1915 von R. Broch und H. Hauptmann, die alle Friedhöfe der Festung Krakau erwähnen. Den Autoren nach gab es neunzehn numerierte Einzelgräber im Friedhof Nr. 385; ein Platz blieb noch für weitere Soldatengräber frei. Im Krakauer Staatsarchiv ist eine unvollständige Zusammenstellung der Namen der begrabenen Soldaten erhalten. Aus dem Verzeichnis von J. P. Drogomir in Gefallene in Westgalizien 1914-1915 kennen wir einige Grabnummern mit Namen der Soldaten, die dort zwischen dem zweiten November 1914 und dem achten August 1918 begraben worden sind. Ein Plan des Friedhofes aus der Zeit des Ersten Weltkrieges ist nicht bekannt. Später, im Jahr 1938, findet man noch eine Nachricht über die Absicht des Bundes Jüdischer Teilnehmer des Unabhängigkeitskampfes, den Soldatenbereich aufzuräumen. Nach dem Einzug deutscher Truppen wurde der Friedhof geschlossen und später zerstört. Das Areal der ehemaligen Nekropole wurde im Juli 1942 Teil eines Zwangsarbeitslagers, später des Konzentrationslagers Płaszów.
Der Soldatenfriedhof Nr. 387 an der Miodowa-Strasse
Hier ist besser erforschbar, was mit dem Bestattungsareal noch während des Grossen Krieges geschah. Die Zahlen stammen aus den gleichen Quellen oben genannt. Jerzy P. Drogomir schreibt, während des Ersten Weltkrieges seien 148 Soldaten hier begraben worden, darunter wahrscheinlich 138 Angehörige der österreichisch-ungarischen Armee, drei Russen und zwei Polen. Der erste Soldat wurde am 27. August 1914 begraben (Fritz Engel), die nächsten im September und Oktober; die letzte Beerdigung fand am 5. November 1918 statt. Wir kennen die Namen von 148 Begrabenen; die höchste Grabnummer ist 1.249. Für sechsundzwanzig Gräber fehlen Nummern. Eine Analyse der Nummerierung und der Liste aller Begrabenen deutet an, dass in vier Gräbern je zwei Personen beerdigt sein müssen. J.P. Drogomir nennt vier Bereiche (A, B, C, D). Im Bereich A wurden nur zwei Gräber vermerkt. In den anderen Bereichen war die Zahl der Gräber jeweils unterschiedlich (B: 11, C: 84, D: 12, Bereich ohne Nummer: 26 Gräber). Die Zahl der Gräber unterscheidet sich von jener im Verzeichnis von R. Broch, nach dem es dort 161 Einzelgräber und 14 Massengräber gab (Nummer 1 bis 175). Man sollte nicht vergessen, dass R. Brochs Angaben von Ende 1917 oder Anfang 1918 stammen, Soldaten aber bis zum 30. November 1918 beerdigt wurden.
Jüdischer Friedhof an der Miodowa-Strasse 55. Entwurf eines Denkmals für den jüdischen Soldatenfriedhof in Krakau. Entworfen vom Oberleutnant und Architekt Hans Mayr im Februar 1918.
Quelle: Staatsarchiv in Krakau (ANK), Militäramt für Kriegsgräberfürsorge des Gebietes des V. Korps in Krakau, Nr. 29/275/0/-45; mit freundlicher Genehmigung: J. Schubert.
Bis zum Kriegsende gab es Veränderungen des Belegplans des Kriegsgräberbereichs. Dessen endgültige Lage in Bezug zum Zivilteil ist nicht genau bekannt, weil kein Plan des Friedhofes aus dieser Zeit gefunden werden konnte. Wahrscheinlich war der Soldatenfriedhof im südlichen und südwestlichen Teil der Zivilanlage gelegen. Im November 1916 hatte die Israelitische Kultusgemeinde eine Eingabe mitsamt Kostenvoranschlag an die Kriegsgräber-Abteilung beim Kommando des I. Korps in Krakau gerichtet. Die Gemeinde hatte 10.000 Kronen für ein Kriegerdenkmal bestimmt und eine Skizze des Grundstücks zur Verfügung gestellt. Erst im Januar 1918 wurde dieser Bitte, zumindest in Form eines Entwurfs, entsprochen. Das geplante Denkmal und seine unmittelbare Umgebung wurden vom Architekten Oberleutnant Hans Mayr entworfen. Das prachtvolle Monument sollte auf einem zweistufigen Plateau stehen und zahlreiche Details mit religiöser Symbolik des jüdischen Volkes und Inschriften beinhalten. Die architektonische Anlage sollte von zwei Weiden als symbolischen Bäumen ergänzt werden. Das Denkmal und die Gestaltung seiner Umgebung wurden aber (wahrscheinlich) nie verwirklicht.
Jüdischer Friedhof an der Miodowa-Strasse vor dem Aufräumen; Stand 1934. Quelle: Bulletin des Krakauer-Schlesischen Kreises des Bundes Jüdischer Teilnehmer des Unabhängigkeitskampfes, Ausgabe 4, Krakau, 21. August 1935, S. 7; mit freundlicher Genehmigung: J. Schubert.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden noch weitere Soldaten auf diesem Friedhof begraben: gefallene oder im Spital gestorbene Teilnehmer des Polnisch-Sowjetischen Krieges, Veteranen und Aufständische. In der Zwischenkriegszeit war der Friedhof nacheinander unter der Obhut verschiedener Institutionen. Eine besondere Rolle spielte der Bund Jüdischer Teilnehmer des Unabhängigkeitskampfes, dessen Krakauer Abteilung (Teil der Region Krakau-Schlesien und seit 1933 aktiv) eine eigene Sektion für Kriegs- und Soldatengräber hatte, deren Vorsitzender Dr. Ignacy Schenker war. Ihre Aufgabe war, die Gräberevidenz systematisch zu vervollständigen sowie Kontakte zu Ämtern in Gräberfürsorge-Angelegenheiten zu pflegen. 1935 bis 1937 startete der Bund gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde eine Initiative zum Aufräumen des Friedhofes 387. Dank Zeitungsmitteilungen in der jüdischen Presse jener Zeit lassen sich die Arbeiten gut nachvollziehen. 1935 fertigte die Krakauer Abteilung des Bundes eine Gräberevidenz an, begann den Friedhof aufzuräumen und sammelte Geld bei den Familien der Begrabenen, um Grabsteine im Militärstil zu errichten. Es wurden auch Massnahmen unternommen, ein gemeinsames Denkmal zu errichten – eine Rückkehr zur Idee der Gemeinde, die nach 1918 nicht verwirklicht worden war. In der ersten Hälfte des Jahres 1936 wurden die Gräber von übermässigem Grasbewuchs gesäubert, Erde und Schutt wurden weggefahren, eine provisorische Einfriedung wurde errichtet, 238 emaillierte Tafeln wurden gekauft und Fotos wurden gemacht. Im Juli 1936 wurde der Friedhof in Sektoren gegliedert, diese wiederum in kleinere Teile. Jeder Teil war mit einem lateinischen Buchstaben markiert, 161 Einzelstelen und zwei Massengräber wurden rekonstruiert. Die Form der Stelen und Muster für Inschriften wurden von Rabbinern ausgearbeitet. In den oberen Teil wurde ein Davidstern eingemeisselt, unterhalb der Name und das Todesdatum des Soldaten. Im Juni 1937 wurden 96 Grabsteine aufgestellt, im Juli gab es in den Sektoren C und D bereits 112 respektive 70 Stelen. Die Gazeta Gminna vom 18. Oktober 1937 schrieb, die Aufräumarbeiten am Friedhof seien fast beendet. Alle Grabstelen waren wieder aufgestellt, der Metallzaun sollte bald fertig sein, die Struktur des Denkmals befand sich bereits vor Ort. Die feierliche Enthüllung des Denkmals sowie die Übergabe der Gräber an Gemeinde und Gesellschaft fanden am 14. November 1937 statt,
„mit Beteiligung der Behörden, der Armee, der jüdischen Gemeinde, der Rabbiner, der Delegationen verschiener Vereinigungen und sozialen Institutionen, und Fahnenträger von verschiedenen Organisationen, Schulen und Veteranenverbänden aus Warschau, Lemberg, Kattowitz, Sosnowiec, Będzin, Przemyśl und anderen Städten. Der Friedhofallee entlang, dem Denkmal gegenüber stellte sich auf die Ehrenkompanie des 20. Infanterie-Regimentes des Krakauer Gebietes mit Kapelle und Fahne, als auch jüdische Soldaten der Krakauer Garnison.“ (Gazeta Gminna, 27.11.1937)
Feierliche Enthüllung des Denkmals für 1914-1921 gefallene jüdische Soldaten, am 15. November 1937. Das Denkmal wurde von den Architekten Alfred Düntuch, Edward Kreisler und Dr. Ing. Józef Taube entworfen. Quelle: Świat przed katastrofą. Żydzi krakowscy w dwudziestoleciu międzywojennym (Welt vor dem Absturz. Krakauer Juden in der Zwischenkriegszeit), Krakau 2007, Abbildung 160; mit freundlicher Genehmigung: J. Schubert.
Das Denkmal selbst, auf einer Erhöhung gelegen, war das Werk der Architekten Alfred Düntuch, Edward Kreisler und Dr. Ing. Józef Taube:
„Im modernistischen Stil, hatte das Denkmal die Form einer rechteckigen Denkmalwand, an beiden Seiten von heraussteckenden Pfeiler umrahmt und in die Friedhofmauer eingebaut. Im unteren Teil der Pfeiler befanden sich ein griechischer Helm und Xippios-Schwert.1 In der Mitte der Wand war das polnische Staatswappen dargestellt: ein Adler mit Krone, einem Schild mit dem Davidstern und zwei gekreuzten Schwertern.2 Unten eine Inschrift in polnischer und hebräischer Sprache: ‚Den gefallenen Soldaten 1914-1921‘. Unter der Inschrift, auf dem Postament, eine grosse, steinerne Ewige Flamme.“3
Teil des Soldatenbereichs neben der westlichen Mauer des Friedhofes mit erhaltenen Grabstelen. Stand von 2018. Foto: J. Schubert, mit freundlicher Genehmigung.
Fotos vom Denkmal erschienen zwar mehrmals in der jüdischen Presse und in anderen Veröffentlichungen zum Friedhof an der Miodowa-Strasse; wegen der fehlenden Archivmaterialien bleibt die Struktur des Friedhofes Nr. 387 nach den Veränderungen von 1937 aber trotzdem unklar. Seine Positionierung innerhalb des Zivilteils bestätigt die ursprüngliche Lage aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Die Anordnung der Bereiche und Gräber aber ist unbekannt. Insgesamt ruhen 325 Soldaten auf dem Friedhof 387, darunter 41 Offiziere, 276 Schützen und 8 Aufständische. Der Friedhof bewährte sich für fast dreiundzwanzig Jahre seit der ersten Soldatenbeerdigung beziehungsweise bis zwei Jahre nach der Aufräumaktion. Nach dem Einzug der Nationalsozialisten in Krakau in September 1939 wurde ein Abriss des Denkmals jüdischer Soldaten befohlen, die meisten Stelen wurden zerstört. Die endgültige Vernichtung des Kriegsgräberbereiches fand 1944 statt, als die Deutschen einen ungefähr zwanzig Meter breiten Friedhofsstreifen entlang der Eisenbahnstrecke an der westlichen Mauer vollständig auflösten. Zivilbeerdigungen fanden in diesem Friedhof noch bis März 1941, also bis zur Einrichtung des Ghettos in Podgórze, statt. Danach wurde der Friedhof geschlossen.
Plan des ganzen jüdischen Friedhofes an der Miodowa-Strasse. Markiert sind die Lage der Soldatengrabsteine vor der Verlegung, neben der westlichen Friedhofsmauer (kleiner roter Punkt), und des neugegründeten Soldatenbereichs mit Denkmal (grosser roter Punkt). Quelle: A. Nowakowski, Powiększenie. Nowy Cmentarz Żydowski w Krakowie (Erweiterung. Der neue jüdische Friedhof in Krakau), S. 171; mit freundlicher Genehmigung: J. Schubert.
Der Friedhof Nr. 387 seit Mitte des 20. Jahrhunderts
Das heutige Erscheinungsbild des gesamten Friedhofsareals an der Miodowa-Strasse ist das Resultat des grossen Einsatzes und Engagements des amerikanisch-jüdischen Hilfsfonds Joint Distribution Committee. 1960 bis 1963 wurde der Friedhof erneut aufgeräumt. Im Kriegsgräberteil waren nur 26 Grabstelen erhalten; sie befinden sich im an der Mauer entlang gelegenen Teil des Gräberfeldes oder liegen in verschiedenen Teilen des Friedhofs, sechs davon, in unterschiedlichem Zerstörungsgrad, wurden in die Mauer rund um das Bestattungshaus eingefügt. Die erhaltenen Stelen haben eine Grösse von 38 x 63 Zentimetern und stehen auf Betonsockeln. In den letzten zwei Jahren hat sich die Jüdische Glaubensgemeinde in Krakau entschlossen, zumindest die Überreste des Friedhofes Nr. 387 wiederherzustellen. Es wurde festgelegt, dass das Gräberfeld mit den erhaltenen Stelen und einem vereinfachten Denkmal sich auf einer Erhöhung im südlichen Teil des Friedhofes befinden soll, dort, wo auch 1937 das Denkmal für gefallene Soldaten gestanden war. Alle erhaltenen Stelen (49 Stück) wurden konserviert und ins Gräberfeld gestellt. Von allen Stelen mit vollständigen Inschriften konnte nur ein Name nicht bestimmt werden, in fünf Fällen fehlte ein Teil der Angaben. Sechs Soldaten waren gefallen, neunzehn gestorben, für vierzehn fehlen die Angaben. Aus der Zeit des Ersten Weltkrieges gibt es folgende Anzahl an Stelen: 1914 (13), 1915 (13), 1916 (5), 1917 (1), 1918 (3); insgesamt vierunddreissig; aus späterer Zeit: 1919 (1), 1920 (3); insgesamt vier. Von den Begrabenen waren 34 Mitglieder der österreichisch-ungarischen Armee, fünf der russischen Armee, für zehn fehlen die Angaben. In den kommenden Monaten wird ein vereinfachtes Denkmal Jüdischer Soldaten, die 1914-1921 gefallen sind, gebaut. So wird die Geschichte des Friedhofes Nr. 387 symbolisch abgeschlossen. Man darf hoffen, dass in der Zukunft noch weitere Archivmaterialien zu diesem Friedhof gefunden werden.
Ansicht der Grabstelen im neugegründeten Soldatenbereich. Stand vom 03.01.2022. Foto: J. Schubert, mit freundlicher Genehmigung.
Wiederhergestelltes rundes Grabzeichen auf den renovierten Soldatenstelen. Stand vom 03.01.2022. Foto: J. Schubert, mit freundlicher Genehmigung
Anmerkungen
1 Grössere Symbole, aber analog zu denen auf den Grabstelen.
2 Emblem ohne Kranz des Bundes Jüdischer Teilnehmer des Unabhängigkeitskampfes.
3 Zitiert aus: A. Partridge, Rocznik Krakowski 2013.
Zum Autor
Jan Schubert ist Mitarbeiter der Andrzej-Frycz-Modrzewski-Akademie in Krakau. Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Artikels Soldiers’ Sections at the Jewish cemeteries of the Former Krakow Fortress in the Years 1914-1939/Kwatery żołnierskie na cmentarzach żydowskich w dawnej Twierdzy Kraków w latach 1941-1939); zuerst erschienen in der Zeitschrift Przestrzeń i Forma/Space & Form Nr. 39/2019, S. 297-298, und wurde ergänzt durch Ergebnisse der neuesten konservatorischen Arbeiten am Friedhof Nr. 387.