Michael Bittner
Die Autorin hat sich in den letzten Jahrzehnten um die Aufarbeitung der Zeitgeschichte der Stadt Steyr sehr verdient gemacht. Ihr Buch ist sorgfältig recherchiert und wissenschaftlich fundiert, vor allem für die Jahre vor 1867, als es in Steyr nur jüdische Einzelpersonen gab. Der Hauptteil besteht aus Einzelschicksalen aus dem 20. Jahrhundert. Vom Umfang her entspricht das Buch der geringen Anzahl der Juden in Steyr, dennoch wird es seinem Titel nicht ganz gerecht.
„Dazugehörig?“ – auf die Fragestellung des Titels erhält man keine direkte Antwort. Aus den Erzählungen meines Grossvaters schloss ich, dass die Antwort „Nein“ lauten müsste: Die kleine jüdische Gemeinde, die es erst seit dem späten 19. Jahrhundert gab, war immer Aussenseiter in dieser Stadt. Dazu noch handelte es sich um Einwanderer aus Böhmen mit seltsamem Akzent, in der Stadt der Waffenfabrik aber dominierten die eingesessenen Bürger, die „Werndler“ und der Alpenverein (später die Nationalsozialisten, dann die SPÖ).
Die im Titel zitierte „Gegenwart“ bleibt ebenfalls ausgeklammert. Beispielsweise hätte mich interessiert, wer die Synagoge (S. 35) arisiert hat und ob sie noch immer dieser Familie gehört. Auch, mit welcher Begründung der Eigentümer sich weigerte, eine Gedenktafel anbringen zu lassen. Und wo sind die Gesetzestafeln geblieben?
Mich hätte auch interessiert, warum Lotte Hermann, deren Schicksal die Seiten 65-67 gewidmet sind, nicht zur Einweihung der Gedenktafel auf dem jüdischen Friedhof eingeladen wurde und wer ihre Rückkehr in ihre Heimatstadt verhindert hat. Mit welcher Begründung, wäre auch gut zu wissen. Der Artikel über sie verschweigt auch, warum der SS-Mann sie nicht vom Dach gestossen hatte – er sagte ihr, er könne es nicht tun, weil sie so schön sei – eine nette Geschichte, die vielleicht wahr ist, hier aber nicht mitgeteilt wird.
Auf Fragen des „wer“ und „warum“ geht das Buch leider nicht ein, die Autorin schweigt zu vielen Fragen, die die letzten Jahrzehnte betreffen (um ja nur nicht anzuecken? – dazu würde auch das allzu reichliche Gendern im Text passen). Nur noch ein Beispiel – warum blicken denn die Holocaust-Überlebenden auf dem Foto von 1993 (Seite 79) so betrübt drein? Weil der damalige Bürgermeister sich geweigert hatte, sie zu empfangen. Auch das steht nicht in diesem Buch.
Vielleicht gibt es einmal eine Fortsetzung, in der ein Aussenstehender das sozio-kulturelle Klima dieser Stadt untersucht und die richtigen Fragen stellt.