Ausgabe

Verzerrte Wahrnehmung Juden in Karikaturen des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit

Alexander Verdnik

Darstellungen von Juden in Karikaturen finden sich bereits aus dem 15.

Jahrhundert. Danach reisst die Produktion der zumeist Hohn sprechenden Bilder

nie mehr ab. Die inhaltliche Bandbreite reicht vom rassistisch motivierten

Lächerlich-Machen bis hin zum An-den-Pranger-Stellen.

Inhalt

Auf der Suche nach Sündenböcken

Während Karikaturen von Juden zu Beginn des Ersten Weltkrieges eine marginale Rolle spielten, häuften sich die boshaften Darstellungen zu dessen Ende hin immens. War man erst noch allerorts gewillt, die inneren Konflikte, sprich die Klassenfrage und damit auch die Judenfrage hintanzustellen, um den „Burgfrieden“ (die französische Union sacrée) zu wahren, so entstanden gegen Ende des Krieges sich stets intensivierende Stereotype, die ausschliesslich Juden betrafen. Die der österreichisch-ungarischen Monarchie angehörigen Juden traf diese Entwicklung besonders hart.

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Giftpilze mit angeblich „jüdischer“ Physiognomie. Darunter der Text: „Phallus impudicus (Stinkmorchel), wuchert in allen Weltteilen, am massenhaftesten aber in Österreich-Ungarn“. Quelle: Kikeriki, 1. September 1918.

Der Kulturwissenschaftler und Historiker Eduard Fuchs schrieb dazu 1921:

„Während in der Presse ein schöner G‘ttesfriede waltete, wurden an der Front die kleinen galizischen Jüdchen dutzendweise gehenkt. Wann und wo etwas nicht klappte, waren die armen galizischen Juden schuld, deren Dörfer in der Nähe der Front lagen; bald war es einer, bald waren es mehrere, und schon baumelten ebenso viele an den nächsten Telegraphenmasten.“1

 

Besonders die jüngst ins cisleithanische Reichsgebiet geflüchteten osteuropäischen „Ostjuden“, aber genauso die alteingesessenen Juden traf die ungerechtfertigte Kritik und radikale Ablehnung der christlichen Mitbürger wie ein Schlag.

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Der „Rausschmiss“ der „Ostjuden“ aus Wien als sehnlichster Neujahrswunsch 1921. Quelle: Kikeriki, 9. Januar 1921.

Antisemitismus allerorts

Nicht nur in Österreich kam es zur Hetze gegen Juden. Die russischen Kosaken folterten und massakrierten die Einwohnerschaften ganzer Dörfer bereits auf das vage Gerücht hin, die dort lebenden Juden betrieben Spionage für die Mittelmächte. In Frankreich wurden Pazifisten, Defätisten und „Drückeberger“ bevorzugt in Form eines überzeichneten, „typisch jüdischen“ Aussehens zu Papier gebracht. Der belgische Karikaturist J. Doumergue schuf Bilder von „besonders gerissenen jüdischen Feiglingen und Verrätern“. Die Anzahl antisemitischer Karikaturen nach Kriegsende ist Legion. Besonders auf Plakaten wurden die vielfältigen Sujets der Judenfeindschaft immer wieder neu abgedruckt. Das antisemitische (Wahl-) Plakat ist kein Produkt der Nach- beziehungsweise Zwischenkriegszeit. Man hatte es schon zuvor recht oft zu Gesicht bekommen, aber niemals in diesem Ausmass. Nun war es quasi für jeden immer und überall sichtbar. Im Wahlkampf 1919 in Deutschland und bei jenem im Jahr darauf, als es um den Einzug in den österreichischen Nationalrat ging, waren die Städte übersät mit antisemitischen Wahlwerbeplakaten.

 

Schritt für Schritt wurden alle antisemitischen Stereotype von den Karikaturisten aufgesogen: der angeblich „jüdische“ Kriegsgewinnler, Geldfälscher, Mädchenhändler, Bolschewik und so weiter, und schliesslich der „jüdische“ Tierquäler, obwohl damals schon längst wissenschaftlich bewiesen war, dass es keine humanere Tötung als das Schächten gibt. Viele moderate Medien gerieten in das trübe Fahrwasser des ganz öffentlich proklamierten Judenhasses. Traurigerweise waren sie sich dabei nicht darüber bewusst, welchen nicht wiedergutzumachenden Schaden sie damit anrichteten. Unverhohlen wurden nun antisemitische Romane und Theaterstücke angeboten und antisemitische Pamphlete beworben.

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Antisemitisches Wahlplakat 1920. Der „österreichische“ Adler wird von einer „jüdischen“ Schlange erdrosselt. Quelle: Fuchs, Die Juden in der Karikatur, Beilageblatt.

Ein zeitgenössisches Plakat aus Polen zeigt Trotzki als roten „Judenteufel“, der vor rauchenden Städten auf einem Haufen von Totenschädeln sitzt; hinter ihm Gevatter Tod, der ihm immer neue Grausamkeiten zuflüstert. An Blutrünstigkeit wird dieses Plakat noch von jenem in den Schatten gestellt, auf dem man einen mit unzähligen Tapferkeitsmedaillen geschmückten „jüdischen Leninbuben“ ausmacht, der ungarische Bauern reihenweise am Galgen aufknüpfen lässt. Schöpfer dieser und vieler anderer judenfeindlicher Plakate war der Zeichner Manno Miltiades. Als besonders beschämend fand Eduard Fuchs, dass es sich um eine Form des Antisemitismus handelte, dessen sich nicht die ungebildeten Arbeitermassen bedienten, sondern die „Repräsentanten von Bildung und Besitz“, bei denen die rassistischen Stereotype grossen Anklang fand.

 

Die Gefahr ist nach wie vor präsent

Antisemitische Karikaturen finden sich heute vermehrt im Umfeld fanatisierter Islamisten, aber auch überall dort, wo westliche Verschwörungstheoretiker „jüdische Umsturzpläne“ in die Welt setzen; und bestimmt nicht nur dort. Je schwerer es dem Menschen fällt, den Zeitenwandel auch nur annähernd zu verstehen, desto eher ist er bereit, in irrationale Erklärungsansätze einzuwilligen. Grundlegende Veränderungen im Alltag bedeuten Stress und verlangen uns einiges ab. Sie machen erforderlich, dass wir uns an neue Gegebenheiten anpassen, auch wenn uns dies nicht leichtfällt. Die Schuld an Veränderungen bei irgendwelchen anderen Menschen zu suchen ist zutiefst irrational, und trotzdem bedient sich die menschliche Psyche dieser „Verarbeitungsstrategie“. Wir alle sollten lernen, den scheinbar „einfachen“ Lösungsansätzen zu widerstehen.       

 

Anmerkung

1 Eduard Fuchs, Die Juden in der Karikatur, München 1921, S. 271.

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung A. Verdnik.