404: Not Found Zeev Tene David - Jüdische Kulturzeitschrift

Ausgabe

Zeev Tene

Eyal Hareuveni

Er ist 75 Jahre jung. Er wurde in Polen als Sohn von Holocaust-Überlebenden geboren, die ihre erstgeborene Tochter während des Krieges verloren hatten.

Er ist als Lebensmitteltechniker für die Erfindung des äusserst beliebten Tiefkühl-Hühnerschnitzels Mama Of und des nicht-koscheren Hot Dogs Frank verantwortlich. Und er ist Israels führender Protestsänger und Liedermacher.

Inhalt

Lernen Sie Zeev Tene kennen. Im Alter von 40 Jahren trat er zum ersten Mal auf. Er wurde bei diesem schicksalhaften Auftritt von der Bühne geworfen und verlor bei den folgenden Vorstellungen seine Stimme. Niemals sang er in der richtigen Melodie, anders als die meisten seiner KollegInnen – einmal fragte ihn ein Mitmusiker freundlich, ob er schon daran gedacht habe, eine alternative Karriere als Maler anzustreben –, und sein Talent zum Spielen der Gitarre ist im besten Falle elementar. Aber Tene lernte bald, wie man ein grossartiger Interpret wird, einer, dessen waghalsige Energie und erhebende Leidenschaft sogar jüngere MusikerInnen zur Erschöpfung bringt – die meisten von ihnen im Alter seines Sohnes oder noch jünger. Und mittlerweile nutzt er seine Bühnentalente, um in einer kleinen Rolle in der Netflix-Serie Shtisel sowie in einigen israelischen Fernsehserien und -filmen mitzuspielen.

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Wie für viele andere seiner Generation war das prägende Erlebnis, das sein politisches Bewusstsein formte, der Jom-Kippur-Krieg von 1973. Tene war in seinem Reserve-Dienst als Flugbeobachter zuerst auf einem verlassenen Flughafen in der Nähe von Jerusalem stationiert, bestand aber darauf, mehr Action haben zu wollen. Er wurde also zu einem Stützpunkt auf der Halbinsel Sinai geschickt. Und dann rastete er aus, als er sah, wie seine Kabine mit all seinen Kameraden von einer ägyptischen Bombe weggeblasen wurde und er als einziger Überlebender zurückblieb.

 

Einige Jahre nach dem Krieg begann er mit dem Schreiben von Liedern, die sich mit der israelischen Politik beschäftigen, alle in klugen Reimen, die Hochsprache und israelischen Slang vermischen. Der erste Song war Eifo Ta’inu (dt. Wo wir falsch lagen)1,  gesungen von Oshik Levy. Später arrangierte Tene das Lied I Bombed Korea der amerikanischen Untergrund-Band Cake zum Song Beirut2 , in dem sich seine grosse Bestürzung über die israelische Invasion im Libanon von 1982 und seine eigenen Erfahrungen aus dem Krieg von 1973 widerspiegeln. Der Song wurde als Soundtrack zu Ari Folmans Animationsfilm Waltz with Bashir aufgenommen.

 

Tenes Einstellung gegenüber der von ihm als sinnlos empfundenen israelischen Politik lässt sich am besten in seinem Song Jew ish! einfangen (ein Wortspiel aus dem deutschen Wort Jude und dem hebräischen Wort für Mensch, isch):

„Wie lebst du damit / Wie ist es dir gleichgültig / Ein ganzes Volk hinter einen Zaun zu schliessen / Nur weil es sich von dir befreien will / Stehend und singend „Eine freie Nation zu sein“ [in Anspielung auf die israelische Hymne „Hatikva“ – E.H.] / Aber vergessen, menschlich zu sein / Vergessen, dass du gestern noch der andere warst / Vergessen, dass du gestern noch derjenige hinter einem Zaun warst“.3

 

Kein anderer israelischer Protest-Sänger und Liedermacher wagt es, so viele Lieder über die Besetzung der palästinensischen Gebiete so klar und unverblümt zu singen, wie Tene. Die wenigen, die sich getraut haben, zogen sich schnell zurück, als ihnen die enormen Konsequenzen auf Beliebtheit und Karriere klar wurden. Tene ist frei von solchen Bedenken. Er kann es sich leisten, nicht populär zu sein. Einmal sagte er in einem Interview, wenn eines Tages ein Raumschiff vom Mars in Israel landete, fände es hier Anzeichen für eine Protestkultur. Im Jahre 2016 sang Tene Jew ish! jeden Tag an 134 darauffolgenden Tagen in der HaBima, Israels Nationaltheater, in Tel Aviv – oft zusammen mit dem „Protesthund“ Meir. Dazu lud er SängerInnen, wie Yehudit Ravitz, ein und bestand darauf, er werde nicht weggehen, so lange „wir von den PalästinenserInnen getrennt bleiben”:

„Das Lied widerspiegelte mein Gefühl, dass sich nichts ändert, bevor alles weggeblasen wird. Es gibt zu viel Religion, Fanatismus und nicht genug gesunden Menschenverstand. Und wir alle machen es, ein Volk, das bis jetzt nicht vom Holocaust genesen ist. Wir legen uns die Ketten des Gefängnisses an, sperren uns und unser menschliches Empfinden in ein Gefängnis.”

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Aber Tene ist nicht immer so apokalyptisch. Er ist ein lustiger Kerl, und seine Lieder sind voll leidenschaftlicher Sinnlichkeit und berührenden Humors, ja voll Ironie, die sich über die israelischen Macho-Männer lustig macht. In seinem Song Im kvar (Wenn es so ist) singt er:

„Wenn es so ist, dann ist es geil / Wenn es so ist, dann ist es Refusnik [er ersetzt "Refusnik" oft durch "neugierig", was sich auf die hebräische Bezeichnung für Einwand reimt] / Wenn wir ausgehen, machen wir es billig / Wenn wir ausgehen, dann Rock n‘ Roll“.

 

Tene sagt, dass er „ein grosser Anhänger des sinnlichen Triebs ist. Ich glaube nicht daran, diesen Antrieb einzudämmen.“ Es liegt auf der Hand, dass Tene sich immer freiwillig meldet, um ausserhalb von Militärgefängnissen aufzutreten, in denen israelische Refusniks eingesperrt sind.4

 

Zeev ist am besten, wenn er sich über den Militarismus in Israel lustig macht. Einer seiner früheren Songs5 handelt von einer geheimnisvollen, mutigen Frau: der Sänger interessiert sich aber nicht für ihre glorreichen Kampfhandlungen oder aussergewöhnlichen sexuellen Abenteuer, sondern will lediglich wissen, ob sie ihre Haare blond färbt oder ob diese von Natur aus so wären. Das Lied Machalot Tovot (dt. Gute Krankheiten)6 beschreibt, wie Asthma den Sänger vor einem Einsatz im Libanon während des Krieges von 1982 rettete. Und in Omed Li  B’tzfira (dt. Steif während des Trauerg’ttesdienstes) singt Tene, es fühle sich schrecklich an, während eines Trauerg’ttesdienstes eine Erektion zu bekommen.7

 

Als sein Sohn aus dem Militärdienst entlassen wurde, schrieb Tene das emotionale Lied Schelo Teda Od Tzahal (dt. Mögest du die israelische Verteidigungsarmee nie mehr kennen), ein Wortspiel über übliche Beileidssprüche);8  er wünscht ihm stattdessen:

„Höre den anderen zu / Wisse, aufzugeben / Wisse, dass wir alle hier zusammen leben / Sei ein freier Mann.”

Und Tene freut sich, wenn er über heuchlerische Trauerkultur und -sprache lachen kann. In Kivro (Dt. Sein Grab)9 singt er: „Seit seinem Tod hat er sich so gut entwickelt / Das würde ihm sein Leben lang nie passieren.” In Alex Lo Holech le’levayot (dt. Alex geht nicht zu Begräbnissen)10  singt er:

„Alex geht nicht zur Beerdigung / Alex ist zu empfindlich / Alex kann Kaddisch nicht hören … Alex geht zu Trauerfeiern, wenn es ihm passt / Du kannst dort eine schöne Frau treffen.”

 

Eines von Tenes persönlichsten und aktuellsten Liedern behandelt sein Alter. Tzair Ani Kvar Lo Amut (dt. Ich werde nicht mehr jung sterben)11 verspottet die hohlen Geschichten, die von jungen toten israelischen Soldaten in einer Weise erzählen, als stünde ihnen eine grosse Zukunft bevor. Aber dann, plötzlich, und ohne Kontextualisierung ihres frühen Sterbens im laufenden israelisch-palästinensischen Konflikt und der Besetzung, seien ihre Leben „gekürzt” oder „ausgerupft”.

 

Tene sorgt dafür, dass nichts dergleichen über ihn erzählt werden wird. Man merkt, dass er nicht in Kyoto meditiert hat, nicht auf Hawaii gesurft ist, immer davon geträumt hat, in der Fussballmannschaft von Juve(ntus) zu spielen, niemals einen Sado-Maso-Club besucht und nie mit Tom Waits gesungen hat – aber man wird nicht sagen können, er sei zu früh gestorben:

„Ich fühle jetzt mein Alter, aber ich bin immer noch ein wütender Mann. Meine Generation war sich immer bewusst, dass wir vielleicht morgen sterben werden, aber ich habe überlebt und aus heiterem Himmel erkannt, dass ich nicht mehr jung sterben werde. Ich kann mich jetzt entspannen. ”

 

 

 

Anmerkungen

1 https://youtu.be/RAauJqRALeM

2 „Ich bombte Korea” zu „Beirut” https://youtu.be/ik1sY1jhzbU

3 https://youtu.be/hiKJsEQJLug)

4 https://youtu.be/hx86ZBHxEeU

5 https://youtu.be/GGQ_W0os-cg

6 https://www.youtube.com/watch?v=TeDx7pkdb38

7 https://youtu.be/Xqatqjphgrg

8 https://youtu.be/jYH7kXBk7iM

9 https://youtu.be/LNCXQqPbshQ

10 https://youtu.be/PC2GWWIsEVY

11 https://youtu.be/PL594BTSJVI

 

Über den Autor: Eyal Hareuveni ist Researcher bei der israelischen Menschenrechts-NGO B‘Tselem und freiberuflicher Journalist. Er lebt in Jerusalem.

 

 

(Übersetzung aus dem Englischen: Monika Kaczek)

 

 

Alle Abbildungen: Zeev Tene-Konzert, Barby Club, Tel Aviv. Fotos: Shay Lee Uziel. Mit freundlicher Genehmigung: E. Hareuveni.