Ausgabe

Ideen in Gestalten darstellen Stefan Zweig als Biograf

Tina Walzer

Stefan Zweig ist mit seinem belletristischen Werk und vor allem den Essay- Bänden Sternstunden der Menschheit und Die Welt von Gestern einem weltweiten Publikum bis heute bestens vertraut. Weniger bekannt ist, dass der Autor auch historische Studien von beachtlicher Aussagekraft verfasst hat, die in ihren Analysen politischer Phänomene weit über den zeitgenössischen Horizont hinausreichen.

Inhalt

 

Als Stefan Zweig nach der öffentlichen Verbrennung seiner Werke in Deutschland 1933 Richtung England floh und sich in London niederliess, begann er an einer Biografie des grossen Humanisten Erasmus von Rotterdam zu arbeiten – seinem, wie er schreibt, alter ego. Zweig identifizierte sich mit der pazifistischen Weltsicht dieses "erster bewussten Europäers" ebenso, wie er selbst auf wohlwollende Aufnahme und Unterstützung hoffte – so, wie sie, vierhundert Jahre zuvor, Erasmus bei Thomas More gefunden hatte.

Wandte Erasmus sich gegen eine Spaltung der Wertegemeinschaft, ausgelöst von den Wirren der sich abzeichnenden Reformation, so warnt sein Biograph anhand dieser Ikone humanistischer Werte vor dem Zerfall Europas durch das Aufkommen autoritärer, diktatorischer, aggressiv ausschliessender Regimes wie jenem des am eigenen Leib erfahrenen Terrors der Nationalsozialisten.

 

Biografische Analysen ziehen sich durch Stefan Zweigs Schaffen wie ein roter Faden, sie begleiten die Stationen seines Lebensweges vom Anfang bis zum selbstgewählten Ende. Es sind sorgfältig ausgearbeitete Studien politischer und sozialer Verflechtungen, dargelegt anhand angenommener Persönlichkeitsentwicklungen herausgehobener historischer Figuren. In ihnen verarbeitet Zweig eigene Erfahrungen mit Umständen in seinem höchst persönlichen Umfeld, sei es öffentlich, wie die Bücherverbrennungen in Deutschland, oder privat, wie die Hausdurchsuchung bei ihm daheim in Salzburg. In seiner Einleitung zur Biografien-Trilogie Die Heilung durch den Geist (Franz Anton Mesmer, Mary Baker-Eddy, Sigmund Freud) umreisst er die Funktion des Biographieschreibens für sich und den Leser gleichermassen:

„Mir ist es [nur] gegeben, Ideen in Gestalten darzustellen. Wie ein Gedanke in einem Menschen Wachstum gewinnt und dann über diesen Menschen hinaus in die Welt, dieses geistig-seelische Geschehnis scheint mir immer eine Idee sinnlicher zu veranschaulichen als jedes historisch-kritische Referieren.“

(Zweig, Die Heilung durch den Geist, Salzburg 1930)

 

Die erste Persönlichkeit, anhand derer er seine eigenen Lebensumstände thematisierte und Gedanken zur zeitpolitischen Lage formulierte, war 1921 der Schriftsteller Romain Rolland, der ihn mit seiner bedingungslos pazifistischen Haltung während des Ersten Weltkriegs tief beeindruckt hatte; am Ende seines Lebens stand die Arbeit an der Biographie des grossen französischen Autors Honoré de Balzac, die er im Exil 1939 begann und unvollendet liess.

Grandiose Höhepunkte seiner Auseinandersetzung mit  gesellschaftlichen Umbruchphasen ähnlich jener, die er als Zwischenkriegszeit mit ihrem Aufstieg totalitärer Regime selbst durchlebte, erreichte sein biografisches Schaffen bei zwei packenden Frauendarstellungen. Für seine Zwecke dienten ihm die Persönlichkeiten Marie Antoinettes (1932), deren angebliche Funktion als Auslöserin der Französischen Revolution er messerscharf sezierte, um dies energisch als Manipulation in Abrede zu stellen, und jene der intrigenumsponnenen schottischen Kindkönigin Maria Stuart (1935).

Die französische Monarchin, zum verkörperten Österreich-Feindbild der Grande Nation hochstilisiert, war im Kolportageroman Das Halsband der Königin Alexandre Dumas des Älteren grob verunglimpft worden; Zweig rehabilitierte ihre Position nachhaltig. Antal Szerb griff das Thema wenige Jahre nach Zweig nochmals in seiner gleichnamigen Studie 1943(!) auf und geht dabei einen Schritt weiter als Zweig, indem er sich virtuos auf die ausschliesslich psychologische Entwicklung seiner Heldin konzentriert.

 

Zweigs Verteidigung der missbrauchten Habsburgertochter vorangegangen waren Studien zu Entstehung und Folgen der revolutionären Umbrüche Frankreichs, die Zweig in seiner Darstellung Joseph Fouchés (1929) als politischem Chamäleon beklemmend schilderte – bei Zweig ein brandgefährlicher Populist, der sich, egal unter welchem Regime, erfolgreich an die Macht anbiedert und mit propagandistisch inszenierten Intrigen einen Aufstieg in den Parnass nicht nur seiner Zeit, sondern ebenso in jenen der Nachwelt schafft. Gerade Zweigs kritische Beobachtungen einer manipulierten Öffentlichkeit stimmen heute nachdenklich – in Zeiten der fake news und social media, die Realität und herbeiphantasierte Parallelwelten konsequent miteinander verschwimmen lassen und die Sicht auf klare Entscheidungsoptionen zugunsten autokratischer Partikularinteressen gezielt verstellen.

Zweig zu lesen lohnt sich, nach wie vor.

 

6_9783104001906.png

Biographie Erasmus von Rotterdams, 1934. Cover: Neuauflage, S. Fischer Verlag, 2009.

 

6_9783596903603.png

Biographie Marie Antoinettes, 1932. Cover: Neuauflage, S. Fischer Verlag, 2011.

 

6_9783596219155.png

Biographie Joseph Fouchés, 1929. Cover: Neuauflage, S. Fischer Verlag, 1988.