Christoph Tepperberg
Otto Hans Ressler: Kardinal und Hure. Die Geschichte eines Gemäldes. Roman. Mit einem Vorwort von Christan Rainer.
Wien: Edition Splitter 2022.
256 Seiten, Euro 28,00.-
ISBN: 978-3-9504404-7-8
In dem historischen Roman geht es um die Entstehung von Kunst im Schatten der Ignoranz kirchlicher und staatlicher System-Eliten. Der Autor erzählt entlang des 1912 entstandenen Gemäldes Kardinal und Hure ein trauriges Stück österreichischer Kunst- und Mentalitätsgeschichte. Nach dem frühen Tod des Künstlers erwirbt ein jüdischer Sammler das Gemälde, der es während der NS-Herrschaft unter Zwang und weit unter Wert einem Kunst-Ariseur verkaufen muss. Der Sammler und dessen Frau werden von den Nazis ermordet, ihren Kindern gelingt die Flucht ins Ausland. Nach 1945 wird das Gemälde an die Kinder des Sammlers restituiert, jedoch von der österreichischen Nachkriegsbürokratie mit einem Ausfuhrverbot belegt und wieder unter Zwang und weit unter Wert dem Wiener Belvedere verkauft. In den 1950er Jahren bringt ein Sammler die Republik Österreich dazu, Kardinal und Hure gegen ein anderes Gemälde zu tauschen. Der Tausch erfolgt staatlicherseits unter zweifelhaften Motiven, jedoch mit parlamentarischer Zustimmung.
Protagonist des Romans ist Edmund Schwarz (1890–1918), ein aus Zwettl im niederösterreichischen Waldviertel stammender begabter Maler und Schöpfer freizügiger Kunst. Dabei werden Zwettl, der katholische Klerus, das Zisterzienserstift, Stadthonoratioren und Schulverantwortliche zum Sinnbild für Missgunst und mangelndes Kunstverständnis. Die Figur des Edmund Schwarz ist unausgesprochen dem österreichischen Expressionisten Egon Schiele (1890–1918) nachempfunden. Die Geliebte des exzessiven Edmund Schwarz heisst Franzi, Schieles Gefährtin war Wally Neuzil (1894–1917). Die Genese des vom Autor erdachten, 1912 von Edmund Schwarz geschaffenen monumentalen Ölgemäldes Kardinal und Hure wird ausführlich beschrieben (S. 63-68). Das 1912 entstandene Gemälde Egon Schieles Kardinal und Nonne (Liebkosung) hängt heute im Wiener Leopold Museum. Aus mangelndem Verständnis für zeitgenössische Kunst und Bosheit gegenüber dem Zwettler Künstler wird Edmund Schwarz als vermeintlicher Sexualstraftäter vorverurteilt und 1912 in einem spektakulären Strafprozess zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt (S. 40-53). Schwarz erkrankt an Typhus und verliert nach längerem Spitalsaufenthalt seine Kreativität. Egon Schiele fiel 1918 der berüchtigten Spanischen Grippe zum Opfer, Edmund Schwarz stirbt 1918 unter ungeklärten Umständen auf einem seiner ausgedehnten Spaziergänge in den Wäldern um Zwettl (S. 84-90).
Ein weiterer Protagonist ist der feinsinnige jüdische Kunstsammler Dr. Viktor Obowsky (1868–1942). Der mit seiner Familie in Wien und Baden bei Wien lebende wohlhabende jüdische Arzt erwirbt nach dem Tod des Künstlers mehrere von Edmunds Arbeiten, drunter auch Kardinal und Hure. Nach dem Anschluss muss Obrowsky seine Zeichnungen und Gemälde zu einem Spottpreis an den Kunst-Ariseur Franz Welser verkaufen. Die Kinder des Kunstsammlers schaffen es ins Ausland, Viktor und dessen Gattin Hermine kommen 1942 in Izbica bei Zamość und Belzec ums Leben (S. 115-118). Das Buch beschäftigt sich ausführlich mit den Vorgängen nach 1945. In dieser Phase spielen der kunstbesessene Wiener Rechtsanwalt Ernst Friedrich Hammer (geb. 1925) beziehungsweise dessen Aktivitäten gegenüber der Familie Obrowsky und der österreichischen Kunstbürokratie eine entscheidende Rolle (S. 158ff.). Hammer lanciert, der Kardinal auf dem Gemälde weise eine gewisse Ähnlichkeit mit Kardinal Theodor Innitzer (1875–1955) auf, es erschiene somit ratsam, dieses „abscheuliche, blasphemische Machwerk“ aus den Beständen österreichischer Kunstmuseen zu entfernen. Mit Parlamentsbeschluss vom 23. Januar 1956 wird das „Machwerk“ gegen ein Gemälde eines mittelmässigen Künstlers zwischen dem Belvedere und Hammer still und leise getauscht, Kardinal und Hure danach aber international bekannt (S. 162-168).
Allgemein geht es um die Opfer des NS-Terrors und die Rolle der österreichischen Kunstbürokratie, um Restitution, Ausfuhrverbote, Kunsthandel, Kunstmarkt, Kunstpreise, Kunstmanagement und Ausstellungen. Der Autor spricht von der Mentalität einer „Mauer der Wagenburg der Bürokratie“, der „Opferrolle Österreichs“ (S. 190f., 200f.), davon, dass Ausfuhrverbote von Kunstwerken einer nochmaligen Enteignung gleichkamen (S. 213). Ressler lässt Elias Obrowsky, Sohn der im Holocaust ermordeten Eltern sagen: „Zuerst hat uns ein faschistischer Kunsthändler beraubt. Dann haben uns die Nazis beraubt. Dann haben die Nazis meinen Vater und meine Mutter ermordet. Und zu guter Letzt hat uns die Republik Österreich beraubt!“ (S. 189). Einen Mitarbeiter der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde lässt Ressler sagen: „Das Bild wurde der Familie Obrowsky abgepresst, dann restituiert und gleich wieder abgepresst.“ (S. 231). Andererseits erwarteten viele jüdische Exilanten und Nachkommen von NS-Opfern materielle Entschädigung und Restitution. In dem Zusammenhang ist die Rede vom Shoa-Business (S. 223). Wir lesen über Antisemitismus in beiden staatstragenden Parteien, wobei besonders Innenminister Oskar Helmer (SPÖ) genannt wird, erst Jahrzehnte später räumte Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) eine Mitschuld der Österreicher an den NS-Verbrechen ein, Restitutionen und Entschädigungen wurden endlich in grossem Stil realisiert, tausende Kunstwerke restituiert (S. 200f.).
Seine Geschichte erscheint an manchen Stellen ein wenig konstruiert. Doch zweifellos ist es Otto Hans Ressler gelungen, die Thematik Kunst und Künstler – Juden und Raubkunst – Erpressung und Restitution professionell zu kommunizieren, sein zum Teil autobiographisch geprägtes Anliegen gut verständlich zu vermitteln. Dabei konnte er auf sein breites Wissen über Kunst und reiche Erfahrung in der Kunstszene zurückgreifen. Das auffallend flache Vorwort des Profil-Chefredakteurs Christan Rainer tut dem keinen Abbruch.
Zum Autor
Otto Hans Ressler, Schriftsteller, Kunstexperte, Auktionator und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, wurde 1948 im steirischen Knittelfeld geboren. 1978 übernahm er die Leitung des Dorotheum in Graz, 1986 die Leitung der Kunstabteilung des Wiener Dorotheums 1993 gründete er mit mehreren Kunsthändlern Die Wiener Kunstauktionen GmbH (seit 1999 Auktionshaus im Kinsky GmbH) und ist seit 2014 geschäftsführender Gesellschafter der Ressler Kunst Auktionen GmbH – ein durchaus bekannter Mann in der österreichischen Kunstszene. Sein Sohn ist der 1970 in Knittelfeld geborene Projektkünstler und Filmemacher Oliver Ressler. Otto Hans Ressler veröffentlicht seit 1976 zahlreiche Erzählungen, historische Romane und kritische Sachbücher zum Thema Kunst und Gesellschaft. Am 24. Juli 2022 war im ORF-Radio Ö1 in der Sendereihe Gedanken die Sendung Zwischen Hochgefühl und Schattenseiten. Der Kunstexperte und Auktionator Otto Hans Ressler über die Kunst und ihren Markt zu hören.