Im Interview erzählt der wissenschaftliche Projektleiter Werner Sulzgruber von Erfolgen und Rezepten der Pionierarbeit in der Forschung über „Landjuden“ in Österreich. Die Bereitschaft der Gemeinden und der Region als Ganzes zu diesem einzigartigen Projekt ist besonders hervorzuheben.
DAVID: Was ist das Besondere an diesem Forschungsprojekt zur jüdischen Bevölkerung in der Buckligen Welt und im Wechselland?
Sulzgruber: Es handelt sich um ein in Österreich bislang einzigartiges Projekt zur Regionalgeschichte der jüdischen Bevölkerung. Erstmalig wurde die jüdische Vergangenheit der beiden Landstriche konsequent erforscht.
Historische Ansicht des Gebäudes, in dem in Bad Erlach das Museum für Zeitgeschichte entstanden ist; Hacker-Haus & Museum für Zeitgeschichte in Bad Erlach. Haus der Familie Max und Theresia Hacker, einst Erlach 28, mit Geschäftsportal. Ausschnitt aus einer Postkarte von Erlach. Quelle: Gemeinde Bad Erlach/Sammlung Jeitler.
DAVID: Sehen Sie in regionalen Forschungen spezifische Probleme?
Sulzgruber: Probleme gibt es nur, wenn man es verabsäumt, vor Ort möglichst intensiv Kontakte zu suchen. Wir haben in einem hohen Masse von persönlichen Verbindungen profitiert, weil eine grosse Zahl der Forschungsteam-Mitglieder, darunter viele Ehrenamtliche, direkt aus der Region stammen.
Das soziale Leben in der Region: Krumbach. Einige jüdische Familien waren weit verzweigt und hatten über den lokalen Umkreis hinaus soziale Kontakte. V. li., sitzend: Anna Steurer, Dir. Schwarz, Carla Gebhart; v. li., stehend: Josef Steurer, die Lehrertochter aus Bad Schönau Tilde Heissenberger, August Glatz, Moritz („Motz“) Blum, Martha Krenauer, Fritz Haindl- Posch, David („Tusch“) Blum. Quelle: Sammlung Rainer Holzbauer, um 1928.
DAVID: Sehen Sie auch weitere wichtige Voraussetzungen?
Sulzgruber: Um die Qualität zu gewährleisten, sind Schulungen aller Mitarbeiter*innen sinnvoll. Dies ist zum Beispiel durch mich bezüglich der Quellen- beziehungsweise Archivarbeit erfolgt. Wichtig sind der Austausch innerhalb des Teams sowie die durchgehende Prozess-Dokumentation, aber auch die professionelle Archivierung aller Quellen. Wir hatten das Glück, noch einige Interviews mit jüdischen und nicht-jüdischen Zeitzeugen*innen führen zu können. Hier hatten wir als Experten Gert Dressel an unserer Seite. Gert Dressel und Johann Hagenhofer haben bereits vorweg im Team mit lokalen Historikern wichtige Grundlagenforschung zur Zeitgeschichte in der Region geleistet. Dies war der Grundstein für die Forschungsarbeit zur jüdischen Bevölkerung in der Region.
Das Wirtschaftsleben – vorrangig Gemischtwarenhandel. Beispiel (aus Kirchberg/W.) für ein typisches Handelsgeschäft in den Dörfern der Region: Produktangebote wurden mit Schriftmalerei an die Wand geschrieben; mit Werbeschildern wurde für bestimmte Produkte gezielt geworben (z. B. Maggi, Titze-Feigenkaffee). Quelle: Wolfgang Riegler.
DAVID: Wie konnten Sie die Bevölkerung erreichen?
Sulzgruber: Johann Hagenhofer war für die kommunikativen Verbindungen in der Region massgebend. Es gab zusätzlich regelmässige mediale Aufrufe und Berichte, die über das Projekt informierten.
DAVID: Ergebnisse des Projekts wurden nicht nur in einem Buch präsentiert, sondern auch in einer Ausstellung. War das von Anfang an ein Ziel?
Sulzgruber: Ja, bereits in der Projektplanung waren drei Meilensteine anvisiert worden, nämlich eine Buchproduktion, eine Ausstellung und zusätzliche Vermittlungsvarianten der Erinnerungsarbeit. Ergebnisse waren das Buch Eine versunkene Welt und die Ausstellung im Museum für Zeitgeschichte im Hacker-Haus in Bad Erlach. Mit der Dauerausstellung wird ein aussergewöhnlicher Einblick in die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Region erfahrbar gemacht, wie es dies in Österreich einzigartig ist. Der Zeitzeugin Frau Doktorin Adler-Kastner aus London und der Kuratorin Martha Keil ist speziell für die gelungene Ausstellungsumsetzung zu danken.
Leben im Land der tausend Hügel. Mitglieder der Familie Winkler an einem schattigen Platz im Freien in Hochwolkersdorf von links: Hans, Martha und Erich Winkler, Haushälterin. Quelle: Chaya Flint, Tel Aviv, 1937.
DAVID: Sehen Sie dieses einmalige Projekt als abgeschlossen?
Sulzgruber: Projekte dieser Qualität sind nie wirklich abgeschlossen und lassen die Verantwortlichen nie wirklich los. So ergibt sich kontinuierlich das eine oder andere an weiteren kleinen „Entdeckungen“.
Ausstellungsräumlichkeiten im Hacker Haus, Bad Erlach. Foto: Stefan Knittel, mit freundlicher Genehmigung: Hacker Haus.
Nachlese
Johann Hagenhofer/Werner Sulzgruber/Gert Dressel (Hg.): Eine versunkene Welt. Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt – Wechselland. Kral Verlag 2019. 288 Seiten, Euro 29,90.- ISBN 978-3-99024-797-6