Ausgabe

Margot Ringwald

Sabine Mayr

Inhalt

Martin Leuenberger: Margot Ringwald – Das Leben. Eine jüdische Geschichte aus Czernowitz. (= Lebenswelten osteuropäischer Juden, Bd. 19)

Köln: Böhlau Verlag 2021.

111 Seiten, Euro 25,00.-

ISBN: 978-3-412-52337-4

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„Ich bin mit den andern am Strassenrand gestanden und habe zugesehen, wie da die Deutschen flohen“, berichtet Margot Ringwald über den 29. März 1944 in Czernowitz. Alles war nun plötzlich anders, doch blieb die jüdische Kultur in Czernowitz auch in den folgenden Jahren unter Sowjetherrschaft zerschlagen. In den Jahren von 2018 bis 2020 führte Martin Leuenberger Gespräche mit Margot Ringwald, die 1930 in Czernowitz geboren worden war. Ihre Erinnerungen rahmt Leuenberger im 19. Band der von Monica Rüthers, Heiko Haumann und Julia Richers im Böhlau Verlag herausgegebenen Reihe Lebenswelten osteuropäischer Juden mit aufschlussreichen historischen und kulturgeschichtlichen Ergänzungen.

 

Wer überlebt hatte, zog ins Ausland oder nach Bukarest. So auch Margot Ringwald und ihre Eltern, Mendel Gottesmann und Henriette Türkisch. Dass sie der Hölle entkommen waren, schrieb Margot dem Geschick und der Willenskraft ihrer Mutter zu, die aus einer sefardischen Familie kam. Martin Leuenberger schildert den kulturellen Reichtum von Czernowitz, wo sich ukrainische, rumänische, russische, polnische, ostjüdische, ungarische, österreichische und deutsche Lebensweisen und Traditionen trafen, und unter Jüdinnen und Juden nochmals eine religiös gelebte und soziale Vielfalt herrschte, die sich auch darin zeigt, dass es in der Stadt mehr als siebzig Synagogen und Betstuben gab. Trotz staatlich verordneter Rumänisierung ab 1918 sprach mehr als die Hälfte aller Czernowitzer und Czernowitzerinnen bis in die Mitte der 1930er Jahre Deutsch oder Jiddisch als Muttersprache, erklärt Leuenberger.

 

Briefe und Korrespondenz Verwandter, etwa des Onkels mütterlicherseits Isidor Türkisch, ergänzen Margot Ringwalds Erinnerungen an eine untergegangene Welt. Isidor Türkisch wurde von seiner grossen Liebe Elfe Hödl unter dem Druck der Rassengesetze schliesslich doch verlassen und konnte ihr dies später nie verzeihen, obwohl die Familie Hödl Henriette, Mendel und Margot im Überleben im Untergrund geholfen hatte. Ergreifend ist auch die Darstellung des Schicksals Josef Gottesmanns, des Onkels väterlicherseits, der 1940 als „Kapitalist“ – er war Leiter der Delka-Filiale in der Bukowina – von sowjetischen Behörden verhaftet und mit seiner Frau Sali nach Sibirien deportiert wurde. Er starb 1959 in Novy Vasyugan im Distrikt von Tomsk im Alter von beinahe 80 Jahren, obwohl er immer wieder versucht hatte nach Israel auszuwandern. Dank Leuenbergers bedachter Kontextualisierung bieten Margot Ringwalds Lebenserinnerungen einen berührenden Einblick in eine aus den Fugen geratene Welt. Wie Leuenberger selbst betont, halten Margot Ringwalds lesenswerte Erinnerungen trotz allem immer auch „die Poetik des Moments“ fest.

 

 

Zum Autor

Martin Leuenberger, geboren 1954, studierte Geschichte und Lateinische Philologie und wurde zur Geschichte krimineller Jugendlicher in Basel zu Ende des 19. Jahrhunderts promoviert. Er publizierte zur 1848er Bewegung, zur jüdischen Geschichte, und zur Schweizer Friedensbewegung. Er arbeitete viele Jahre in der Bildungsverwaltung und lebt in Basel.