Ausgabe

Endlich reden wir über »unser« Nazi-Denkmal...

Christoph Tepperberg

Inhalt

Ursula Mindler-Steiner / Walter Reiss (Hrsg.): »Darüber reden...«.

Das »Anschlussdenkmal« von Oberschützen. Gedanken, Erinnerungen, Meinungen.

Edition lex liszt 12, Oberwart: 2021

243 Seiten, Klappenbroschur, zahlreiche Farb- und SW-Abbildungen

ISBN: 978-3-99016-215-6

Zu beziehen über das Gemeindeamt Oberschützen, Hauptplatz 1, A-7432 Oberschützen,

Telefon: 03353/7524-24, E-Mail: elke.kainz@oberschuetzen.bgld.gv.at

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In unserer Zeitschrift wurde bereits ausführlich über das Oberschützer »Anschlussdenkmal« berichtet.1 In der vorliegenden Ausgabe findet sich ausserdem ein Beitrag mit dem Titel Das nationalsozialistische  »Anschlussdenkmal« von Oberschützen – ein »Ort der Verantwortung«. Im Rahmen des Gesamtprojekts zum Denkmal wurde unter dem Titel »Darüber reden...« ein »Oral History«-Projekt gestartet. Durch dieses sollte in einem breit angelegten Beteiligungsprozess das kulturelle Erbe der Region nachhaltig erhalten und vor allem die Bevölkerung dafür sensibilisiert werden. Bei einer Informationsveranstaltung konnte Bürgermeister Hans Unger die Menschen dazu bewegen, ihre Erinnerungen, Erlebnisse, Betrachtungen und Einschätzungen zum »Anschlussdenkmal« in Interviews oder selbst verfassten Texten zum Projekt beizutragen. Die Oberschützer Ortsbevölkerung hatte nach 1945 viele Jahrzehnte unter dem Denkmal gelebt, ohne dessen Bedeutung und Symbolik wirklich zu reflektieren. Nun wurde erstmals eine Teilhabe der Bevölkerung sichergestellt. Früher galt das Prinzip: »Nur nicht darüber reden!«. Jetzt wird endlich darüber geredet. Der vorliegende Band dokumentiert und präsentiert erstmals die unterschiedlichen Meinungen und Reflexionen der Bevölkerung von Oberschützen und Umgebung zu »ihrem« Denkmal.

 

Der Band beginnt mit einleitenden Abhandlungen der Herausgeber über das Konzept der Publikation, Interviewerfahrungen, die Geschichte des »Anschlussdenkmals« und die beim Denkmal hinterlegten Gästebücher (S. 6-46). Darauf folgt das Herzstück der Publikation: die Interviews und Texte von 49 Personen: Ortbewohnern, Pädagogen, Schülern, Lokalpolitikern, Künstlern und Kulturschaffenden des Südburgenlandes. Die Beiträge / Interviews sind jeweils mit einem Portraitfoto versehen und wurden von den Herausgebern in Fussnoten sorgfältig kommentiert (S. 47-197). Ein von den Herausgebern zusammengestellter »Anhang« enthält Literatur, Quellen, Webseiten, Abkürzungen, Glossar, Zeitleiste, Burgenland in der NS-Zeit, eine Stellungnahme der Gemeinde Oberschützen zum Projekt »Pflöcke / Korridor« des Künstlers Peter Wagner vom Gedenkjahr 2008, Projektüberblick zum »Denk-, Informations- und Lernort ›Anschlussdenkmal‹ Oberschützen«, die Einladung zur Auftaktveranstaltung am 17. Mai 2019, den Informationsfolder »Darüber reden...« und einige Abbildungen (S. 198-227). Den Abschluss bildet die »Farbfotoecke«, bestehend aus einer Fotoserie zum »Anschlussdenkmal« von Eveline Eberhardt und einer Projektbeschreibung »Der späte Wandel eines Denkmals« von Peter Wagner (S. 228-242).

 

Der Inhalt der Beiträge ist vielfältig: Manche Texte enthalten bautechnische Details über das Denkmal und den rätselhaften Verbleib seines goldenen Reichsadlers (S. 142-143, 159-160). Eine junge Schülerin findet das Denkmal »eigentlich schön« (S. 52). Ein Mittelschullehrer meint, das Denkmal sei »zu einem Teil von Oberschützen geworden« (S. 54) und teilt dieses Empfinden – fern jeder Ideologie – mit den meisten Oberschützer/innen. Kindheits- und Jugenderinnerungen erzählen über das jährliche Osterfeuer, über Lagerfeuer mit feucht-fröhlichen Begegnungen (S. 91-92, 100-102, 140-141, 171-173). Das Monument war Beobachtungspunkt einer Sonnenfinsternis, zu der sich am 11. August 1999 unzählige Menschen des In- und Auslandes eingefunden hatten (S. 140-141). All diese Events hatten keinen ideologischen Hintergrund. Das »Anschlussdenkmal« diente nach 1945 weder als Bühne für politische Agitation noch als Treffpunkt für schlagende Schülerverbindungen (S. 172-173). Wir erfahren viel über Aktivitäten von Schülern/innen und Pädagogen zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Der ehemalige Kreisarzt erkannte »langsam [...] den Zusammenhang Denkmal – Krieg und den sinnlosen Tod hunderttausender Soldaten.« (S. 91). Zahlreiche Beiträge verurteilen reflexartig die NS-Gräuel, andere wiederum zeigen eine tiefe, unmittelbare Betroffenheit: »Das graue ›Anschlussdenkmal‹ auf der gegenüberliegenden Anhöhe kam mir vor wie ein grosses, schlafendes Tier. Immer wieder bäumte es sich in mir auf. ...« (S. 70). Ein evangelischer Pfarrer im Ruhestand schildert seine Begegnung mit dem Judentum vor dem Denkmal: »Im Rahmen der Vortragsreihe ›Oberschützer Gespräche‹ war ein Vortragender ein Enkelsohn des im Holocaust umgekommenen Oberrabbiners von Deutschkreuz. Mit ihm und seinen Freunden haben wir unter dem Klang des Schofarhornes im spirituellen Bereich das ›Anschlussdenkmal‹ freigesetzt und gereinigt« (S. 59).

 

Das Buch ist durch Fördermittel finanziert, daher nicht im Buchhandel erhältlich; es wird – »solange der Vorrat reicht« – beim Gemeindeamt Oberschützen kostenlos abgegeben. »Darüber reden...« bekommt durchwegs positives Feedback. Zurzeit wird an einer korrigierten Fassung gearbeitet, die online als »durchsuchbares File« im PDF-Format zum Download bereitstehen soll. Auch eine weitere (dann aber kostenpflichtige) Printausgabe ist im Gespräch. Geplant sind ausserdem die Texte zu den Informationspfeilern (Stelen) vor dem Denkmal (entworfen vom Ausstellungsdesigner Andreas Lehner), nebst Publikation von Unterrichtsmaterialien und einem Buch über die Denkmalgestaltung.

 

Die Herausgeber: Ursula K. Mindler-Steiner (Jahrgang 1979) ist Assistenzprofessorin am Institut für Geschichte der Universität Graz und Dozentin für Geschichte an der Andrássy Universität Budapest, Publikationen zum Nationalsozialismus, Widerstand und Verfolgung im Burgenland und Steiermark. Walter Reiss (Jahrgang 1951) ist Journalist, Redakteur und Moderator, ORF-Landesstudio Burgenland.

 

Christoph Tepperberg

 

Anmerkung:

1   Christoph Tepperberg: »Das ›Anschlussdenkmal‹ von Oberschützen im Burgenland. Die Last der Erinnerung und ihre Überwindung – Eine Ortschaft stellt sich ihrer Vergangenheit.«. In: DAVID Heft 118/2018: (https://davidkultur.at/artikel/das-anschlussdenkmal-von-oberschuetzen-im-burgenland)