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Das Gewissen Israels In memoria Abraham B. Jehoschua s.A. (1936–2022)

Monika Kaczek

Gemeinsam mit Amos Oz und David Grossman gehörte der Autor Abraham B. Jehoschua zu den prominentesten Persönlichkeiten der israelischen Literatur und Friedenbewegung. Am 14. Juni ist seine Stimme für immer verstummt.

Inhalt

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Abraham B. Jehoschua 2017. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei:

https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_B._Jehoshua#/media/Datei:A_B_Yehoshua_DSC0153.jpg ; CreativeCommonshttps://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Abraham Gabriel Jehoschua wurde am 9. Dezember 1936 in Jerusalem als Sohn sefardischer Eltern geboren. Sein Spitzname Bulli, den er Zeit seines Lebens trug, leitete sich von seinem Mittelnamen Gabriel ab.1 Seine Mutter Malkah Rosilio, die in der marokkanischen Stadt Essaouria aufwuchs, emigrierte 1932 nach Palästina. Die Vorfahren seines Vaters, des Historikers Jaakov Jehoschua, stammten ursprünglich aus Thessaloniki; die Familie lebte in dritter Generation in Jerusalem. Von 1954 bis 1957 diente Abraham B. Jehoschua in der israelischen Fallschirm-Brigade und kämpfte im Sinai-Feldzug. Anschliessend studierte er Literatur und Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem. In dieser Zeit verfasste er seine ersten Werke. 1960 heiratete er die Psychoanalytikerin und klinische Psychologin Rivka, mit der er die drei Kinder Sivan, Gideon und Naum hat. Von 1963 bis 1967 unterrichtete er an der Sorbonne in Paris und war währenddessen Generalsekretär der World Union of Jewish Studies. Ab 1972 lehrte er Vergleichende Literaturwissenschaft und Hebräische Literatur an der Universität Haifa. Einladungen führten ihn ans St. Cross College in Oxford, wo er 1974 Writer in Residence wurde; Gastprofessuren an den Universitäten von Harvard, Chicago und Princeton folgten.

 

Als politischer Aktivist war er zunächst Mitglied der Arbeiterpartei, später schloss er sich der linken Gruppierung Meretz3 an und war Mitglied im Rat der NGO B’Tselem4 Während des Zweiten Libanonkriegs 2006 riefen Abraham B. Jehoschua und seine Freunde Amos Oz und David Grossman den damaligen israelischen Premierminister Ehud Olmert an und forderten eine sofortige Beendigung des Krieges:

„Stunden später wurde Grossmans Sohn Uri5 in diesem verfluchten Krieg getötet. Ich erinnere mich, dass mein Vater und Jehoschua wie verrückt zum Haus der Grossmans in der Nähe von Jerusalem fuhren, David und seine Familie umarmten, bitterlich weinten und die volle Last der Unfähigkeit des Intellektuellen zu spüren bekamen, Blutvergiessen zu verhindern. Und beide forderten David auf, sein eigenes Leben zu retten, indem er zu seinem Schreibtisch und zu einem fast fertigen Roman zurückkehrte, der unglaublicherweise den Tod dieses Sohnes vorhersagte.“6

 

Abraham B. Jehoschua starb am 14. Juni 2022 im Ichilov Hospital im Tel Aviv Sourasky Medical Center infolge eines Krebsleidens. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Drei Tage und ein Kind (hebr. Schloschah Jamim We-Jeled, 1975), Der Liebhaber (hebr. Ha-Me‘ahev, 1977), Späte Scheidung (hebr. Geruschim Meucharim, 1982) und Die Manis (hebr. Mar Mani, 1989).

 

Fania Oz-Salzberger erinnert sich an den Freund ihres Vaters:

„(…) er war warmherzig, enthusiastisch, einfühlsam am Wohlergehen seiner Freunde und seines Landes beteiligt, menschlich bis in die Knochen. Ich kannte ihn gut und liebte ihn sehr. Er stand meinem verstorbenen Vater Amos Oz sehr nahe, und als ich älter wurde, entwickelten wir unsere eigene Beziehung.“7

 

Für die Übersetzerin Ruth Achlama war Abraham B. Jehoschua das „Gewissen Israels. (…) Abraham B. Jehoschuas Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina konnte der israelische Schriftsteller nicht erleben. (…) Trotzdem sei er bis zuletzt immer optimistisch gewesen, was die Versöhnung mit den Palästinensern anging, sagt Ruth Achlama, die Jehoschuas Werke ins Deutsche übersetzt hat. ‘Ich kann nicht sagen, dass er irgendwie verzweifelt gewesen wäre oder meinte, sein Lebensziel nicht erreicht zu haben – so kannte ich ihn nicht.’ Dann müssten eben andere Wege gesucht werden, das sei bis zuletzt Jehoschuas Credo geblieben.“8

 

 

 

 

 

Anmerkungen

1 https://momentmag.com/bulli-in-loving-memory/?fbclid=IwAR2qSofiH4fnINiyI8Jd5fxBkCTH9N3AleSP9Wm9q55kTT_VDEeaOU83gbI

2 Die Ehe endete mit Rivka Jehoschuas Tod im Jahre 2016.

3 Meretz entstand 1992 als Wahlbündnis der Bürgerrechtsbewegung Ratz, der Vereinigten Arbeiterpartei Mapam und der liberalen Schinui. 1996 wurde das Bündnis in eine Partei umgewandelt. Dabei übernahm Meretz von Mapam die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationalen.

4 https://www.btselem.org/about_btselem

5 Uri Grosman wurde während des Zweiten Libanonkriegs am 12. August 2006 von einer Rakete der Hisbollah getötet.  Er wurde nur zwanzig Jahre alt. Sein Vater verfasste den Roman Aus der Zeit fallen/Nofel mi chuz lae-sman - ein bewegendes Werk über Verlust und Trauer.

6 https://momentmag.com/bulli-in-loving-memory/?fbclid=IwAR2qSofiH4fnINiyI8Jd5fxBkCTH9N3AleSP9Wm9q55kTT_VDEeaOU83gbI

7 https://momentmag.com/bulli-in-loving-memory/?fbclid=IwAR2qSofiH4fnINiyI8Jd5fxBkCTH9N3AleSP9Wm9q55kTT_VDEeaOU83gbI

8 https://www.deutschlandfunkkultur.de/nachruf-abraham-jehoschua-israel-schriftsteller-100.html