Ausgabe

Mai 1968

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Sebastian Voigt: Der jüdische Mai `68. Pierre Goldman, Daniel Cohn-Bendit und André Glucksmann im Nachkriegsfrankreich. Schriften des Simon-Dubnow-Instituts Band 22

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015.

383 Seiten, Euro 69.99

ISBN 978-3-525-37036-0.

Sebastian Voigt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München, hat beispielhaft an drei Persönlichkeiten die jüdische Beteiligung am Mai 1968 untersucht.

Bewusst verzichtete er dabei auf Interviews mit seinen Protagonisten oder mit anderen Zeitzeugen. Pierre Goldman (1944 - 1979) kämpfte in den 1960er Jahren 14 Monate lang in Venezuela auf der Seite der Guerilleros. Zurück in Frankreich beging er mehrere Raubüberfälle. Er wurde angeklagt und inhaftiert; in der Haft schrieb er sein Buch „Dunkle Erinnerungen eines in Frankreich geborenen polnischen Juden", ein Schlüsseltext für die jüdische radikale Linke, der 1980 in der deutschen Übersetzung erschien. Als Anhänger Sartres war er ein Mitarbeiter von „Les Temps Modernes". Ein Komitee Gerechtigkeit für Pierre Goldman erreichte 1976 seine Freilassung. Goldman wurde 1979 auf offener Strasse in Paris erschossen; der Mord konnte nicht aufgeklärt werden. Im Abschnitt über Daniel Cohn-Bendit beschreibt Voigt ausführlich dessen Prägung durch den bedeutenden jüdischen Pädagogen Ernest Jouhy in der Odenwaldschule. Sein Religionslehrer war der Historiker und Journalist Harry Maor. Sein Vater, der Rechtsanwalt Erich Cohn-Bendit, lebte nach 1945 in Frankfurt am Main; obwohl nicht religiös, wurde er Mitglied der jüdischen Gemeinde. Im Sommer 1963 verbrachte Cohn-Bendit einen Monat in Israel. In den 1970er Jahren folgte auf Einladung linksradikaler Gruppen seine zweite Israel Reise. Voigt zitiert Cohn-Bendit mit dem Satz : „[I]ch kann mich nicht davor drücken, zu denken und zu wissen, dass ich, solange es Rassismus und Antisemitismus auf dieser Welt gibt, Jude bin" und folgert daraus: „So weist Cohn-Bendit weder in kultureller noch in religiöser Hinsicht ein positives jüdisches Selbstverständnis auf, sondern er versteht sich als kosmopolitischer Paria." Der dritte Protagonist der Studie, der 2015 verstorbene Philosoph André Glucksmann, verstand sich bis in die frühen siebziger Jahre als Kommunist. Seine Eltern lebten in den zwanziger Jahren in Wien. Sein Vater wurde 1940 ermordet. Seine Mutter Martha arbeitete 1944 in einem von der Familie Rothschild eingerichteten Heim für Flüchtlingskinder im Schloss Ferrières, in dem auch das Kind André lebte. Nach 1945 lebte Martha Glücksmann wieder in Wien, wo sie den KPÖ Funktionär Paul Kessler heiratete, während ihr Sohn in Paris bei Raymond Aron studierte, In den siebziger Jahren wurde er zu einem der wichtigsten antitotalitären Vordenker. 2006 veröffentlichte er seine Autobiographie.