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Raubkunst in Israel

Lissy KAUFMANN

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Israel kümmert sich heutzutage verstärkt um die Rückerstattung der von den Nazis geraubten Kunstwerke an ihre rechtmässigen Erben.

Woher kommt der Bettler? Wie kam er nach Israel? Wohin gehört er heute?  Es sind Fragen, die sich derzeit Kunst- und Restitutionsexperten in Israel stellen. Was sie bisher wissen: „Der Bettler" ist das Gemälde des jüdischen Malers Eugène Zak, der in Russland geboren wurde und Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris lebte. Es zeigt einen Mann, der einen rotbraunen Anzug trägt und am Boden kniet, die rechte Hand ausgestreckt, nach Almosen bettelnd. Jahrelang hing das Bild im Museum in Ein Harod im Norden Tel Avivs. Bis Anfang des Jahres eine Doktorandin aus Polen das Bild in einer Datenbank für Raubkunst entdeckte. Das Museum verglich die Nummer dort mit dem Stempel auf der Rückseite des Bildes: MA-B 1330. Damit stand fest: Das Bild war im Dritten Reich von den Nationalsozialisten gestohlen worden. Ziel des Museums ist es nun, die rechtmässigen Erben des Gemäldes ausfindig zu machen.

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„Der Bettler“, mit freundlicher Genehmigung von Ein Harod Museum.

Restitutionsforschung steht heutzutage auch auf den To-Do-Listen der Museen hierzulande. Lange Zeit war das nicht so. Die Suche nach Kunstobjekten, die im Dritten Reich von den Nazis geraubt worden waren, fand bis vor einigen Jahren nur in anderen Ländern statt. Oftmals herrschte die Meinung vor, dass Israel als jüdischer Staat und israelische Museen die richtige Heimat für derartige Kunstobjekte seien. Es war auch der Fall Gurlitt, der Schwabinger Kunstfund, der diese Einstellung änderte. Vor rund zwei Jahren hat vor allem das staatliche Unternehmen HaShava mit Sitz in Petach Tikwa bei Tel Aviv den Stein ins Rollen gebracht: unter anderem mit einer Konferenz Anfang 2014, bei der auch die Vertreter der wichtigsten Museen, des Ministeriums für Kultur und Sport sowie des Justizministeriums mit am Tisch sassen. Ursprünglich bemühte sich HaShava nur um die Rückerstattung von Kapital, Aktien und Immobilien. Denn schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Juden in Israel Bankkonten eröffnet oder Immobilien gekauft. Seit rund zwei Jahren sind nun auch Kunstgegenstände und Judaika dazugekommen. Das Unternehmen versucht, die rechtmässigen Erben zu ermitteln. Die Provenienzforschung sei eine „moralische Verpflichtung", findet Elinor Kroitoru, die Leiter der Forschungs- und Informationsabteilung von HaShava.

Raubkunst, die sich heute in israelischen Museen verbirgt, kam vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ins Land. Kunstexperten kümmerten sich im Auftrag der Alliierten um geraubte Schätze. Wo die Erben nicht gefunden werden konnten, gingen die Werke an die Jüdische Restitutionsnachfolger-Organisation JRSO. Von dort gelangten sie in das Bezalel National Museum, den Vorläufer des heutigen Israel Museum in Jerusalem. Die Mitarbeiter von HaShava wälzen deshalb heute Verkaufskataloge und versuchen alles über den Künstler herauszufinden. Sie schauen sich auch das Kunstwerk genau an, ob es irgendwo eine Spur des ehemaligen Besitzers gibt, eine Nummer oder einen Namen auf der Rückseite. Werden die rechtmässigen Erben ermittelt, können diese die Werke dann zu sich nehmen, dem Museum zurück verkaufen oder schenken. „Solange es da draussen noch Raubkunst gibt, solange ist der Kampf gegen die Nazis noch nicht zu Ende", sagte Eric Pickles, britischer Politiker und Sonderbeauftragter für Post-Holocaust Angelegenheiten, im Dezember 2015 bei der zweiten Restitutionskonferenz von HaShava in Tel Aviv. Israel sollte die Restitutionsarbeit weltweit anführen, das Land hätte ein starkes moralisches Gewicht, so Pickles, der sich selbst als Freund Israels bezeichnete.

Zwar hat zum Beispiel das Israel Museum in Jerusalem bereits einige Bilder als Raubkunst enttarnt und die Erben ermittelt. Dennoch sei bisher nicht genug getan worden, Archive seien oft nicht zugänglich. Pickles mahnte zur Eile: „Je mehr Zeit verkehrt, desto geringer werden die Chancen, Erben ausfindig zu machen." Es gibt Fortschritte, sagt Elinor Kroitoru. Dazu zählt die Entscheidung von HaShava, dass Raubkunst ohne Erben in den Museen bleiben und somit als Erinnerungsstücke der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Dennoch sei in Israel noch Einiges zu tun, um die Erben von Raubkunst ausfindig zu machen. Denn die Washingtoner Prinzipien von 1998 zu Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaust wurden von Israel bisher nicht gesetzlich verankert. Laut dem Washingtoner Abkommen soll Raubkunst gesucht, veröffentlich und mit den Erben eine faire und gerechte Rückgabelösung ausgehandelt werden. „Wir haben drei Hauptziele: eine Gesetzgebung, Budget und Training. Wir hatten bereits zwei professionelle und sehr erfolgreiche Workshops für die Museumsmitarbeiter. Und der Gesetzgebungsprozess begann mit der vorigen Regierung. Wir hoffen, dass nach dem Forum nun auch Fortschritte mit der neuen Regierung erzielt werden können", so Kroitoru. Auch Ayala Oppenheimer, Kuratorin des Ein Harod - Museums, in dem das Gemälde „Der Bettler" entdeckt wurde, weiss, wie wichtig dieser drei Ziele sind. Grundsätzlich sei das Museum bereit, an der Provenienzforschung mitzuwirken: „Die Museumsmitarbeiter müssen aber weiterhin geschult werden, um Raubkunst überhaupt als solche entdecken zu können."