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Eine verschlossene Welt

Christoph KLUGE

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Der israelische Fotograf Jacob Nachumi zeigt in seinen Bildern Einblicke in das Leben der ultraorthodoxen Juden, das von religiösen Ritualen und einer auch für viele Israelis unverständlichen Bildsprache bestimmt wird.

Der wachsende Einfluss der Strenggläubigen auf die israelische Politik führt immer wieder zu Spannungen mit liberalen Israelis. Die meisten Haredim leben in materieller Armut, weil ihre hauptsächliche Beschäftigung nicht in weltlicher Arbeit sondern im Studium religiöser Schriften und im Ausführen einer Vielzahl unterschiedlicher Rituale besteht, die den Alltag der Gemeinschaft strukturieren.

Doch die Atmosphäre verändere sich etwas, behauptet der Fotograf Jacob Nachumi in einer Email.  Ultraorthodoxe würden häufiger weltliche Berufe annehmen und so Einblick in andere Bereiche der Gesellschaft erhalten. Nachumi ist in Bnei Berak aufgewachsen, nordöstlich von Tel-Aviv, und hat selbst an einer religiösen Hochschule studiert. Wenn die Menschen Geld verdienen, reisen und an kulturellen Aktivitäten teilnehmen, dann verändern sie auch ihre Ansichten und werden offener, hofft er.

Als Nachumi begann, die Zeremonien der Strenggläubigen zu fotografieren, war es zunächst schwierig, deren Vertrauen zu gewinnen. Viele der Gruppen und Clans leben abgeschottet von der Öffentlichkeit. Der Fotograf meint, seine Bilder würden manchen Strenggläubigen erst vor Augen führen, wie sehr sie sich vom Rest der Gesellschaft unterscheiden. Im Verlauf seiner Arbeit lernte der Fotograf Rituale kennen, von denen er selbst noch nie gehört hatte.

Autor:

Christoph Kluge, geboren 1981, Studium der Literatur- und Geschichtswissenschaft, freischaffender Autor in Berlin. Homepage: www.leverage-magazine.com

Purimfest

An Purim wird der Befreiung der persischen Juden im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gedacht, die - dem alttestamentarischen Buch Esther zufolge - nur knapp der Ermordung durch den  Perserkönig entgangen sind. Das heutige Purimfest ähnelt der christlichen Tradition des Karnevals, wobei Umzüge in den Strassen und Kostüme eine wichtige Rolle spielen. Den Erwachsenen, ob strenggläubig oder nicht, ist an diesem Tag geboten, möglichst viel Alkohol zu trinken.

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Ein kostümiertes Kind in der Synagoge am Tag des Purimfestes. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Wehrpflicht

2014 beschloss die Knesset, das isralische Parlament, dass die allgemeine Wehrpflicht auch uneingeschränkt für Ultraorthodoxe zu gelten habe - gegen deren erbitterten Protest. Der Entscheidung gingen eine lange politische Kontroverse und ein Urteil des Obersten Gerichts voraus. Seit der Staatsgründung waren strenggläubige Männer, die sich in Vollzeit dem Studium religiöser Texte widmen, vom Wehr- beziehungsweise Ersatzdienst freigestellt gewesen.

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Tanz bei einer politischen Demonstration gegen die Ausweitung der Wehrpflicht. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Chassidische Hochzeit:

Bei einer chassidischen Hochzeit steht die Braut, die von einem Schleier verborgen ist, bewegungslos inmitten der Festgesellschaft. Nacheinander tanzen der Rabbi und die Männer der Familie den Mitzvah Tantz vor ihr. Erst nach Grossvater und Brautvater kommt der Bräutigam an die Reihe. Nur Vater und Bräutigam dürfen die Braut berühren. Im Verlauf des Rituals wird im Publikum mitunter die Mechitza entfernt, eine Absperrung, die normalerweise Männer und Frauen trennt.

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Chassidische Hochzeit: der Rabbi und die Männer der Familie tanzen den Mitzvah Tantz vor der Braut. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Simchat Tora

Mit dem Simchat Tora endet der jährliche Zyklus der Tora-Lesung - und beginnt gleichzeitig von vorn. Die Tora entspricht den christlichen fünf Büchern Mose, sie wird in der Synagoge jedes Jahr Zeile für Zeile gelesen, nach einem festen Plan an mehreren Tagen in der Woche. Wenn an Simchat Tora das Ende der Textrolle erreicht ist, wird sie siebenmal durch das Gebetshaus getragen und danach zurückgerollt zum Anfang. Kinder erhalten an diesem Feiertag Geschenke.

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Tanz anlässlich des Festes Simchat Tora zum Ende des jährlichen Zyklus der Tora-Lesung. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Pidjon ha-Ben Zeremonie

Dem traditionellen jüdischen Gesetz zufolge muss der Vater seinen erstgeborenen Sohn beim Pidjon ha-Ben für fünf silberne Schekel freikaufen. Das Baby ist dabei vom Goldschmuck der anwesenden Frauen umgeben. Hintergrund ist der rabbinischen Überlieferung zufolge die biblische Geschichte vom Goldenen Kalb. Weil sich nur der Stamm der Leviten nicht des Götzendienstes schuldig gemacht hatte, erhielten seine Angehörigen die Priesterwürde zugesprochen, die zuvor allen Erstgeborenen zugestanden hatte.

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Bei der Zeremonie Pidjon ha-Ben wird der erstgeborene Sohn symbolisch ausgelöst. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Taschlich-Ritus

Am Neujahrstag vollziehen die Strenggläubigen an einem Gewässer den Taschlich-Ritus, bei dem sie ihre Sünden symbolisch im Wasser versenken. Nachdem das Vergebungsgebet gesprochen wurde, werfen sie Brotkrümel aus den Taschen ihrer Kleidung in das Wasser. Die Fische im Wasser sollen daran erinnern, dass der Mensch sich in seinen Sünden verfangen kann wie in einem Fischnetz. Weil er keine Lider hat, sind die Augen des Fisches immer offen - wie die Gttes.

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Beim Taschlich-Ritus werden die Sünden in Form von Brotkrümeln symbolisch im Wasser versenkt. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Rav Aschi

Rav Aschi (352-427) ist einer der Hauptredaktoren des babylonischen Talmud. Der traditionellen jüdischen Überlieferung zufolge befindet sich sein Grab auf einem Hügel an der israelisch-libanesischen Grenze. Muslime aus dem Libanon hingegen glauben, dass darin Scheich Abbad begraben liegt, ein schiitischer Geistlicher. Die Ultraorthodoxen können hier nur mit militärischer Genehmigung beten. Auf der israelischen Grenzseite patroullieren IDF und UN-Soldaten, auf der libanesischen zeigt die schiitische Hezbollah Präsenz.

Ein Teil der ultraorthodoxen Juden spricht dem Staat Israel aus religiösen Gründen seine Legalität ab. Ihrer Ansicht nach ist allein die Idee häretisch, es könne einen jüdischen Staat geben vor der Ankunft des Messias. Kleinere Sekten halten unter anderem anlässlich des Purimfestes Flaggenverbrennungen ab. In den Medien  präsent ist vor allem die Guppierung Neturei Karta, deren Mitglieder sogar an der weltweit umstrittenen „Holocaust-Konferenz" 2006 in Teheran teilnahmen.

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Gebet an einem Grab an der libanesischen Grenze, in dem der Gelehrte Rav Aschi liegen soll. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.

Tisch-Zeremonie

Die strikt antizionistische Dynastie Toldos Aharon hat ihre Zentrale in Mea Shearim. Die Tisch-Zeremonie ist im Grunde ein symbolisches Festmahl an einem Feiertag. In einigen Varianten beobachtet die Gemeinschaft den Rabbi beim Speisen und schreibt den Essensresten am Rand der Tafel eine rituelle Bedeutung zu. Die Geschichte des vereitelten Genozids im antiken Persien, die den Hintergrund des Purimfestes bildet, wird von strenggläubigen Juden mitunter in einem Zusammenhang mit der Shoa gesehen.

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Tisch-Zeremonie der Dynastie Toldos Aharon im Jerusalemer Stadtteil Mea Shearim. Foto: J. Nachumi, mit freundlicher Genehmigung.