Daniel Bussenius: Von der Hauptstadtposse zur Erfolgsgeschichte. Die Entstehung des Jüdischen Museums Berlin 1971-2011. Schriften des Jüdischen Museums Berlin - Band 001
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014
216 Seiten mit 16 S/W-Abbildungen. Euro 39,90
ISBN 978-3-525-30071-8
Seit seiner Eröffnung im September 2001 haben insgesamt 8 Millionen Menschen dem Jüdischen Museum Berlin einen Besuch abgestattet. Ein bemerkenswerter Erfolg. Dass es anfangs, 1971, gar nicht danach aussah bzw. als es danach aussah, als werde es lediglich eine kleine jüdische Abteilung innerhalb des Berlin Museums geben, hätte sich das wohl niemand vorgestellt. Angesichts dieses Erfolgs des Jüdischen Museums erscheint der Krimi oder, wie der Verfasser es nennt, die Posse um die Entstehung des Jüdischen Museums Berlin geradezu befremdlich.
Die frühen jüdischen Museen in Europa, genannt seien, neben anderen, Berlin, Breslau, Budapest, Danzig, Krakau, Lemberg, München entstanden meistens in den 1920er und 1930er Jahren. Sie waren in der Trägerschaft der jüdischen Gemeinden, und das Publikum war weitgehend jüdisch. Nach 1945 ging die Initiative für die Gründung neuer jüdischer Museen generell nicht von den jüdischen Gemeinden aus, die auch nicht mehr die Träger jüdischer Museen waren, und auch das Publikum war ein nichtjüdisches.
Deshalb überraschte es wohl, als zwischen dem 17. Juni und 22. Juli 1966 in der Berliner Allgemeinen unabhängigen jüdischen Wochenzeitung insgesamt sechsmal ein Spendenaufruf für ein Jüdisches Museum erschien. Vier Jahre später veranstaltet das damals noch junge Berlin Museum in der Lindenstrasse in Kreuzberg, also in Westberlin, anlässlich des 300. Jahrestags der Gründung der jüdischen Gemeinde der Neuzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Leistung und Schicksal - 300 Jahre jüdische Gemeinde zu Berlin". Die Anregung zu dieser Ausstellung kommt vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski. Am Ende der Ausstellung tritt er an die damalige Leiterin des Berlin Museums, Irmgard Wirth mit der Bitte heran, die Geschichte des jüdischen Berlins weiterhin im Museum zu zeigen. Unterstützung bekommt Galinski von vielen Seiten. Irmgard Wirth wendet sich an den Museumsreferenten der Wissenschafts- und Kulturverwaltung Reiner Güntzer, und schlägt ihm vor, dem Thema Judentum nicht nur einen Raum im Berlin Museum zu widmen, sondern eine Abteilung „Berliner Judaica" zu schaffen und sie zusammen mit der Theaterabteilung in einem hinter dem Kollegienhaus, in dem sich das Berlin Museum befindet, in einem noch zu errichtenden Neubau unterzubringen.
Am 18. November 1975 gründet sich die Gesellschaft für ein Jüdisches Museum e.V. Von Anfang an wird damit Zwietracht gesät: Zwar spricht ihr Name von einem „Jüdischen Museum", die Satzung sieht dagegen eine „jüdische Abteilung im Museum Berlin" vor. Der schon zuvor erwähnte Reiner Güntzer wendet sich von Anfang an gegen ein wie auch immer geartetes eigenständiges Jüdisches Museum, für ihn ist und bleibt es eine Abteilung des Museums Berlin, gleichgültig, wo es untergebracht wird. Anfangs liebäugelt man mit dem wieder aufzubauenden Palais Ephraim, was scheitert, als die DDR-Behörden beschliessen, das Palais bis 1987 zum 750. Jubiläum der Stadt Berlin in unmittelbarer Nähe zu seinem ursprünglichen Standort aufzubauen. Das ist in Ostberlin. Eine weitere Station ist der Martin-Gropius-Bau, in dem der jüdischen Abteilung einige Räume übergeben werden. Auf einer eigens einberufenen Tagung im Berliner Aspen Institut wird beschlossen, einen „Wettbewerb für einen Erweiterungsbau des Berlin Museums mit der Abteilung Jüdisches Museum" auszuschreiben. Davon sollte die jüdische Abteilung anfangs ein Drittel, später nur das Untergeschoss erhalten. Im Juni 1989 wird der Entwurf von Daniel Libeskind für den Erweiterungsbau angenommen, nach der Wiedervereinigung gerät die Realisierung jedoch in Gefahr - vor allem, um Kosten zu sparen, denn nun steht ja wieder das Palais Ephraim zur Verfügung ebenso wie die Neue Synagoge, die gerade gründlich renoviert wird. Und da ist auch noch ein - teures -- Mahnmal zur Erinnerung an die ermordeten Juden Europas im Gespräch.
Nach vielen kontroversen Diskussionen beschliesst das Berliner Abgeordnetenhaus endlich den Baubeginn im Jahr 1993. Schon im November 1992 erfolgt die Grundsteinlegung. Man sucht einen Direktor und entscheidet sich im November 1993 für den Israeli Amnon Barzel. Von Anfang an moniert Barzel, das geplante Jüdische Museum, denn das ist es für ihn, keine Jüdische Abteilung im Berlin Museum, benötige mehr Geld, mehr Personal und den ganzen Ergänzungsbau. Reiner Güntzer von der Berliner Kulturverwaltung will, dass Barzel geht. Damit hat er schliesslich Erfolg. Einen Tag nach den Wahlen für den neuen Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wird Barzel gekündigt. In diesem Zusammenhang fällt auch der in der Überschrift stehende Satz; im Klartext, es gibt keine Schoa-Überlebenden mehr im Vorstand, die unbequem werden könnten, denn Heinz Galinski, der langjährige Vorstand, ist schon im Juli 1992 gestorben, sein Nachfolger Kanal abgewählt. Ein neuer Museumsdirektor muss nun her, ganz dringend!
Im November 1997 wird W. Michael Blumenthal, ursprünglich aus Berlin, mit den Eltern 1939 über Shanghai in die USA geflohen, wo er u.a. US-amerikanischer Finanzminister war, zum Interimsdirektor berufen. Man meinte wohl, man habe einen freundlichen Pensionär gewonnen, der vor allem Spenden einwerben und Berlins Image verbessern soll. Man kann sich irren! Innerhalb kürzester Zeit setzt W. Michael Blumenthal alles durch, wofür Amnon Barzel vergeblich gekämpft hat: Er bekommt nicht nur den gesamten Erweiterungsbau, sondern auch noch das ganze Kollegienhaus dazu -- für ein Jüdisches Museum, nicht nur ein Untergeschoss mit Spreewaldtrachten darüber! Er bekommt sein Budget und gewinnt die Bundesregierung als Trägerin des neuen Jüdischen Museums Berlin. Als die feierliche Einweihung am 23. Januar 1999 mit einem Fundraising Dinner beginnt, streitet sich all-Berlin um einen Platz. Dabei sind der Bundespräsident und der Bundeskanzler und eine ganze Reihe von Millionären. Es werden nicht nur schwungvolle Reden gehalten und wird Gutes gegessen, nein W. Michael Blumenthal sammelt für sein Museum an diesem Abend den hübschen Betrag von 1,2 Millionen DM. Einer, der auch dabei ist und sich ganz besonders freut, ist Amnon Barzel.
Die Kurzbeschreibung des Inhalts gibt lediglich sehr oberflächlich die vielen Verästelungen dieses byzantinischen Intrigenspiels wider, denen der Verfasser, Daniel Bussenius nachgegangen ist und die er minutiös beschreibt. Ihm sei Dank! Wem das Jüdische Museum Berlin am Herzen liegt, sollte dieses Buch unbedingt lesen, um zu wissen, welchen Menschen es sein Entstehen verdankt - trotz der Fussfallen und Schlingen, die ihnen immer wieder, aus welchen Gründen auch immer, gestellt bzw. gelegt wurden. Sehr, sehr lesenswert!