Am 1. März 2016 wurde im Theater Nestroyhof/Hamakom Robert Schindels Stück Dunkelstein uraufgeführt. In dessen Zentrum steht die umstrittene historische Figur des Wiener Rabbiners Benjamin Murmelstein und seine Rolle im Ältes-tenrat der Juden Wiens während der NS-Zeit. Der Autor rechnet sein Überleben Murmelsteins Erfolg zu: Er wurde als Kind von ihm gerettet.
Szenenbilder "Dunkelstein" Michael Gruner (Dunkelstein) und Eduard Wildner (Friedell) Alle Fotos: © Nick Mangafas
Viel jüdische Prominenz war am Theaterabend Anfang März diesen Jahres im einst jüdischen Theater im Leopoldstädter Nestroyhof erschienen. Mit Spannung erwartete das Publikum Robert Schindels Interpretation des umstrittenen Wiener Rabbiners Benjamin Murmelstein (1905 Lw‘iw - 1989 Rom), der für sich in Anspruch nahm, durch eine gelungene Kooperation mit Adolf Eichmann hunderttausenden Juden während der Shoa das Leben gerettet zu haben. Wie sich herausstellte, folgte Schindel der bereits vom Filmemacher Claude Lanzmann (Le Dernier des Injustes, 2013) vor drei Jahren initiierten Linie der moralischen Rehabilitation Murmelsteins. Murmelstein, seine Frau und sein Sohn hatten die Shoa überlebt, doch wollte damals keine jüdische Gemeinde ihn mehr als ihr Mitglied aufnehmen. Nicht einmal ein jüdisches Begräbnis in seinem Exil-Ort Rom wurde ihm gewährt.
Sämtliche Abbildungen: Szenenbilder "Dunkelstein", Ensemble. Alle Fotos: Nick Mangafa. Mit freundlicher Genehmigung Theater Hamakom.
Im Mittelpunkt des Theaterstücks standen Murmelsteins Wiener Jahre der Zusammenarbeit mit Adolf Eichmann (1906 Solingen, Deutschland - 1962 Ramla, Israel, hingerichtet), Hitlers Cheforganisator für die Vertreibung und Deportation der Juden und in Österreich Leiter einer zu diesem Zweck gegründeten Institution, beschönigend „Zentralstelle für jüdische Auswanderung" benannt. Eichmann war als Leiter der Abteilung für Vertreibung und Deportation von Juden im Berliner NS-Reichssicherheitshauptamt mit verantwortlich für die Ermordung von 6 Millionen Menschen. Murmelstein hatte im Wien der NS-Zeit mit Eichmann kooperiert, bevor er 1944/45 die Funktion des letzten Judenältesten im Lager Theresienstadt (heute Terezín, Tschechische Republik) ausübte.
In der ganz modernen Inszenierung (Bühnenbild: ein leerer Raum) werden verschiedene Stücke nebeneinander gespielt. Höhepunkt ist der Auftritt eines nackten Mannes gegen Ende zu, der Saul Dunkelstein umarmt. Die Figur symbolisiert die Lage der überlebenden Juden, die buchstäblich nichts mehr hatten. Der Theaterabend stimmt unendlich traurig. Dies gelingt dem Autor, ohne die wirklich traurigen Ereignisse auch nur ansatzweise auf der Bühne zu zeigen: das Ghetto Theresienstadt, der von Murmelstein mit organisierte Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", die Transporte in die Vernichtungslager kommen nicht vor. Das Stück beginnt mit einer Rahmenhandlung hinter einem Vorhang, SchauspielerInnen unterhalten sich in der Garderobe über die Geschichte, die hinter dem Stück steht, das sie gleich aufführen werden . Als der Vorhang sich öffnet, werden Episoden aus den Leben von Wiener Jüdinnen und Juden erzählt, die zeigen sollen, wie heterogen das jüdische Leben vor 1938 war, dann beginnt die Zeit der Auswanderung. Menschen kommen wohlhabend in das NS-System hinein und kommen (im besten Falle) mit nichts am Leib wieder heraus. Ein Intermezzo bilden die Novemberpogrome vom 10./11. November 1938: Linde (der im Stück für Eichmann steht) regt sich über den Leiter des Reichssicherheitshauptamts Reinhard Heydrich auf - man hätte als Vergeltungsaktion für den Anschlag auf Ernst Eduard vom Rath durch Herschel Grynszpan lieber ein paar hundert Menschen erschiessen sollen und er hätte sich viel Mühe erspart. Als Linde während der Pogrome mit seinem Stock an einem am Boden liegenden Gebetsmantel, einem Tallit, herumspielt, nimmt ihm Dunkelstein diesen weg: „Das ist wertvoll", erklärt er Linde. Dunkelstein - der Mann mit dem „eisernen Herz".
Ein im Laufe des Stückes immer wiederkehrender Handlungsstrang zeigt das Schicksal einer Familie. Im ersten Akt lernt das Publikum sie kennen: der Sohn ist behindert, die Tochter will sich der Roten Armee anschliessen. Im zweiten Akt übernimmt der Rabbiner Dunkelstein seine Tätigkeit bei der Zentralstelle und verschafft dem alten Mann und seiner Familie ein Ausreise-Visum. Der Tenor lautet: „Entweder, sie fahren weg, oder sie kommen nach Dachau." Alles muss schnell gehen, Linde hat keine Zeit. 40.000 Juden sollen möglichst schnell das Land verlassen haben. In einer Nebenrolle kommt neben Linde noch ein zweiter Nazi vor, ein kleiner Funktionär, der die berüchtigten Reibpartien organisiert und eine Frau zum Beischlaf zwingt. Sie hofft, dadurch ihre Mutter retten zu können. Als ein weiteres seiner Opfer zwingt der Funktionär einen Mann, wie ein Hund „Zwetschkenröster" aufzuschlecken. Im dritten Akt teilt Linde Dunkelstein schliesslich mit, sein Auftrag in Wien sei nun beendet, er habe für ihn eine interessante neue Aufgabe, in Theresienstadt. Doron Rabinovici fasst den dargestellten Konflikt zusammen: „ein Stück über die Vernichtung, ein Stück für die Ohnmächtigen und ein Stück vom Überleben". Robert Schindel meint dazu: „ Auch in dem Theaterstück Dunkelstein geht es um Simulation. Man muss zeigen, dass man simuliert, dass man eine Simulation macht, dann kann man auch etwas transportieren, Aber nur, wenn man das offen macht." Und: „Ich habe grosses Misstrauen gegenüber allem Moralischen, gegen alle offen moralisch ausgesprochenen Kategorien, wie man damit umgehen soll."
Die Aufführung wurde von glänzenden Schauspielern getragen, die ausgezeichnete Inszenierung besorgte Frédéric Lion. Im Juni 2016 sind weitere Aufführungen geplant.
Termine: 08.-11.06.2016
Für weitere Termine und Karten:
www.hamakom.at
Darüber hinaus präsentierte Salon 5 als Beitrag zur Präsidentenkür 2016 an zwei Abenden, am 6. und 8. März 2016, im Theater Nestroyhof/ Hamakom Der Kalte, eine szenische Aufstellung von Karl Baratta und Anna Maria Krassnigg nach dem Roman von Robert Schindel.