Das Lebenswerk der im Jahre 2000 verstorbenen Graphikerin, Malerin und Bildhauerin Lydia Schulgina erntet seit vielen Jahren das Interesse des deutschen, russischen und internationalen Publikums; viele Museen und Sammlungen, darunter die namhaftesten Museen Russlands, bewahren Arbeiten der Künstlerin. Ihre Werke befassen sich in einer formal einzigartigen Weise mit Themen der Religion wie des modernen Lebens und wagen den Versuch, beide Themenbereiche zu vereinen. Insbesondere haben ihre Arbeiten verschiedene Facetten des jüdischen Glaubens und Lebens zum Vorwurf, nicht zuletzt sind viele ihrer Skulpturen ein von schmerzhafter Tragik erfülltes Abbild des furchtbarsten Kapitels der jüdischen Geschichte.
Fotoportrait der Künstlerin von Igor Palmin. 1986.
Die Künstlerin Lydia Schulgina wurde 1957 in Moskau als Tochter des jüdisch-moldawischen Schriftstellers und Wissenschaftlers Michail Friedmann geboren, dessen gesamte Familie in Moldawien dem faschistischen Völkermord zum Opfer gefallen war. Seine Gedichte und Romane (u.a. der autobiographische Roman „Das Buch Josephs") sind in erster Linie diesen Erinnerungen gewidmet. Lydia Schulgina studierte in Moskau Buchillustration, erlangte schnell Bekanntschaft als Kinderbuchillustratorin („Pu der Bär", „Alice im Wunderland") wandte sich aber schon bald auch Motiven des jüdischen Lebens und der Tora zu. Ihre Grafiken sind gleichsam Bauwerke aus lebenden Körpern („Klagemauer") und ihre Leinwände scheinen - trotz ihrer kühnen Bildsprache - eben gerade von den Wänden jüdischer Tempel genommen worden zu sein („Erschaffung der Welt", „Der arme Hiob"). Während ihrer letzten Lebensjahre arbeitete die Künstlerin in Hamburg und schuf aus Zeitungspapier und Wandfarbe Skulpturen, die nicht bloss biblische Thematik besitzen, sondern allem voran Ausdruck der gegenseitigen Durchdringung von moderner Welt und alttestamentarischer Bedeutung sind („Stimmen").
Aus dem Zyklus »Klagemauer«. 1994, Papier, Tusche, Stäbchen, 32x42.
Lydia Schulgina verstarb im Jahre 2000 in Pinneberg. Sie war Mitglied des Russischen Künstlerverbandes, des Bundesverbandes Bildender Künstler sowie der Internationalen Künstlervereinigung. Ihre Werke wurden in über 60 Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt (darunter über 30 Einzelausstellungen) und befinden sich nun in zahlreichen Museen und Sammlungen der Welt, u.a. in der Tretjakow-Galerie und im Zentrum für moderne Kunst (Moskau), im Russischen Museum (St. Petersburg) und im Altonaer Museum (Hamburg). Die Künstlerin wurde mit vielen Preisen und Stipendien ausgezeichnet („Bestes Buch des Jahres", Preis des Landkreises Bamberg, Stipendium des Künstlerverbandes Russland, Arbeitsstipendium der „Landdrostei", Pinneberg u.v.m.).
Aus dem Zyklus »Figuren«. 1998. Zeitungspapier, Wandfarbe, 100x75x60.
Alle Abbildungen: L. Schulgina, mit freundlicher Genehmigung A. Estis.
Zum Autor
Alexander Estis (*1986), Studium der alten Sprachen, danach Lehrtätigkeit an den Universitäten Hamburg, Genf und Freiburg i. Br. Derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich. Arbeitet sowohl an wissenschaftlichen und essayistischen Publikationen als auch an literarischen Kleinformen.