Ausgabe

Ich hatte eine Weisung; von woher weiss ich nicht

Monika KACZEK

Content

Recha Freier wird als Recha Schweitzer am 29. Oktober 1892 in der ostfriesischen Stadt Norden als Tochter einer jüdisch-orthodoxen Familie geboren. Da sie aus religiösen Gründen am Schabbat nicht schreiben darf, wird Recha in der Schule sowohl von ihren MitschülerInnen als auch den Lehrern verspottet. Als Vierjährige erlebt sie bei einem Spaziergang über den Markt, wie ein Plakat an der Umzäunung des Blücherplatzes die Familie am Weitergehen hinderte. Die Eindrücke schildert sie später in ihrem Gedicht Erdbeben:1

 

Der Stadtgarten.
Das goldglänzende Gitter.
Geschlossen ??
Ein grosses weisses Pappschild.
Ein Rahmen aus schwarzem Papier.
„Eintritt für Hunde und Juden verboten."

  

Im Jahre 1897 zieht Familie Schweitzer in die Kleinstadt Glogau/Glogów (preuss. Niederschlesien; heute Polen), wo der Vater eine neue Stelle findet. Nach dem Sprachstudium an der Universität Breslau ist sie als Lehrerin und als Pianistin tätig. Im Jahre 1919 heiratet sie den Rabbiner Moritz Freier und zieht mit ihm nach Sofia in Bulgarien. Sieben Jahre später wird ihr Mann als Oberrabbiner nach Berlin berufen. Dort erlebt Recha Freier im Alltag immer stärkere antisemitische Aktionen. So reift in ihr der Plan, die Ausreise jüdischer Jugendlicher ins damalige Palästina zu fördern. Am 30. Jänner 1933, dem Tag von Hitlers Machtübernahme, gründet Recha Freier den Verein „Jüdische Jugendhilfe", wo sie allerdings später ausgeschlossen wird, weil sich der Vorstand nicht mit ihren mutigen Aktionen, die gegen das Gesetz verstossen, arrangieren will. Während der Pogromnacht hält sich Recha Freier mit ihrer Familie in London auf, kehrt aber sofort nach Deutschland zurück, als sie hört, was passiert. Sie wird von einem Kollegen denunziert. Rechtzeitig gewarnt, gelingt ihr auf abenteuerlichen Wegen die Flucht nach Palästina. Sie kann mehr als 7.600 Kinder aus Nazideutschland retten und doch leidet sie ihr ganzes Leben daran, nicht mehr Seelen gerettet zu haben. Als Albert Einstein Recha Freier 1954 vergeblich für den Friedensnobelpreis vorschlägt, können durch die Jugend-Aliyah Kinder aus 72 Ländern nach Israel gebracht werden. Im Jahre 1981 erhält Recha Freier für ihre Leistungen den Israel-Preis, die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel vergibt.

Sie stirbt am 2. April 1984 in Jerusalem. In einem Brief schreibt sie: „Ich hatte eine Weisung; von woher, weiss ich nicht. Ich fühlte diese Weisung in mir und die Gewissheit, ich würde Erfolg haben."2

1  Elke Kirsten: Recha Freier. Leben und Wirken 1892 - 1985. Redaktionelle Mitarbeit und Beratung: Astrid Homann, Elke Kirsten, Almut Holler. Stadt Norden 2014, S. 4

2 End., S. 2