Ausgabe

Der österreichische Widerstand 1938-1945

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Wolfgang Neugebauer: The Austrian Resistance 1938-1945.

Aus dem Deutschen von John Nicholson und Eric Canepa

Wien: Edition Steinbauer 2014

336 Seiten, Gebunden, 35 Abb. in s/w

Euro 22,50 | Sfr. 39,00 [CH]

ISBN: 978-3-902494-66-5

Auch als E-Book erhältlich:

Euro 22,50 | Sfr. 39,00 [CH]

ISBN: 978-3-902494-71-9

Der Wiener Historiker Wolfgang Neugebauer, der nicht mit einem gleichnamigen deutschen Historiker zu verwechseln ist, arbeitete ab 1969 im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und war von 1983 bis 2004 dessen wissenschaftlicher Leiter. Er ist zudem ein durch zahlreiche Publikationen über Widerstand und Verfolgung in Österreich 1934 bis 1945, die Justiz und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, den Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, die FPÖ sowie die Geschichte der Sozialdemokratie ausgewiesener Honorarprofessor an der Universität Wien. Sein anzuzeigendes Werk beruht auf einer Übersetzung des 2008 erschienenen Buches Der österreichische Widerstand 1938-1945, bei der jedoch mehrere Kapitel inhaltlich überarbeitet und erweitert wurden. Auch und gerade die seit Jahrzehnten hinweg immer wieder gezeigten Aufnahmen vom Auftritt Adolf Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März 1938, der von einer grossen Menge umjubelt wird, suggerieren eine „allgemeine Unterstützung" in Österreich für den Nationalsozialismus, von der in der Realität zu keinem Zeitpunkt die Rede sein konnte. Der vorliegende Band deckt in einer Einleitung, 18 Abschnitten und einem Schlusskapitel praktisch alle Formen der Opposition gegen das NS-Regime in Österreich ab. Diese umfasste v.a. Kommunisten, Sozialisten und andere linke Gruppen; Konservative und Legitimisten; religiös motivierten Widerstand von Katholiken (mit Franz Jägerstätter als besonders prominentem Fall), Zeugen Jehovas, Adventisten usw.; Juden; Auslands- und Exilösterreicher; von den Alliierten abgesetzte Kommandos (mindestens 10.000 Österreicher kämpften in den alliierten Armeen gegen Hitlerdeutschland); Partisanen v.a. der Kärntner Slowenen; Widerstand im deutschen Militär (mit Carl Szokoll als wohl bekanntestem Exponenten); parteiübergreifende Gruppen wie die 1944 entstandene O5; Widerstand in den Gefängnissen und Konzentrationslagern, wo Zehntausende Österreicher inhaftiert waren; und individuellen Widerstand (darunter bekannte Vorgänge wie Hilfe für Juden und das „Schwarzhören" von alliierten Rundfunksendungen, aber auch den weniger bekannten Widerstand gegen das NS-Euthanasieprogramm sowie Spionage zugunsten der Alliierten). Ein eigenes Kapitel veranschaulicht den NS-Repressionsapparat in Gestalt der NSDAP, der Gestapo, der Konzentrationslager, der Polizei, des Sicherheitsdienstes, der Gerichte usw.

Dominierend im Widerstand waren die Kommunisten, von denen viele (d.h. vor 1938) Sozialdemokraten gewesen waren (vgl. S. 58f, 81). In keiner anderen Periode ihrer Geschichte kam der - naturgemäss verbotenen - KPÖ mehr Bedeutung zu als während der NS-Herrschaft in Österreich (S. 82). Die Möglichkeit einer Ausblendung des kommunistischen Widerstandes wegen der Verbrechen des Stalinismus weist der Autor zurück (S. 114). Man hätte an dieser Stelle allerdings hinzufügen können, dass die KPÖ explizit nicht für ein „bürgerlich demokratisches" Österreich (wie es dann 1945 entstand) eintrat, sondern für ein politisches System nach sowjetischem Vorbild. Der Holocaust forderte in Österreich ca. 66.000 Todesopfer. Etwa 9.500 Österreicher erlitten aufgrund politischer Verfolgung (inklusive Urteile der NS-Militärjustiz) einen gewaltsamen Tod. Euthanasieprogramme forderten zwischen 25.000 und 30.000 Menschenleben, und 9.000 Roma wurden ermordet (S. 256). Somit wurden vom Regime ca. 110.000 Österreicher zu Tode gebracht (was dann noch um die durch die Kriegsereignisse umgekommenen Zivilisten und Soldaten zu ergänzen wäre, doch diese sind nicht Forschungsgegenstand des Buches).

Der Autor arbeitet an mehreren Stellen heraus, dass der Nationalsozialismus jede österreichische Nationalität auslöschen wollte und doch das Gegenteil bewirkte, was sich auch und gerade auf die aus politischen Gründen Inhaftierten bezog: „In almost all prisoner accounts we see that the Austrians saw themselves as Austrians and that most of them had a vision of an independent Austria in the future." (S. 224). Das hatte wichtige Konsequenzen für die Zeit nach 1945, als - ganz im Unterschied zur Ersten Republik nach 1918 - der Gedanke des Anschlusses an Deutschland „tot" war und niemand mehr die Überlebensfähigkeit Österreichs bezweifelte.

Fazit: Es handelt sich hier um einen ausgezeichneten Überblick über alle Formen des Widerstandes gegen das NS-Regime in Österreich, der sich auf über Jahrzehnte hinweg gesammelte, gesichtete und ausgewertete Archivdokumente stützt. Kleine formale Ungenauigkeiten - so ist das deutsche Toponym „Weissrussland" nicht mit „White Russia" zu übersetzen (S. 209), sondern mit „Belorussia" - ändern nichts daran, dass diesem Buch international grösstmögliche Verbreitung zu wünschen ist.