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Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen im Interview

Monika KACZEK

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Alexander Van der Bellen, 1944 in Wien geboren, zählt zu den renommiertesten Politikern Österreichs. Nach dem Volkswirtschaftsstudium an der Universität Innsbruck und einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt am Wissenschaftszentrum Berlin erhielt er 1980 einen Ruf an die Universität Wien. 1994 bis 2012 war er Abgeordneter zum Nationalrat für die Grünen, von 1997 bis 2008 war er auch Bundessprecher beziehungsweise Klubobmann der Partei. Von 2010 bis 2015 war er als Beauftragter der Stadt Wien für Universitäten und Forschung tätig. Am 8. Jänner dieses Jahres gab Alexander Van der Bellen seine offizielle und unabhängige Kandidatur für die österreichische Präsidentschaftswahl bekannt, die am 24. April stattfindet.

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Foto: Wolfgang Zajc, mit freundlicher Genehmigung Verein „Gemeinsam für Van der Bellen".

DAVID: Weltweit herrscht grosse Erschütterung über die Flüchtlingsdramen, die in Europa tagtäglich geschehen. Auch die Geschichte Ihrer Familie ist von Flucht geprägt.1 Haben Ihre Eltern mit Ihnen über ihre Erlebnisse gesprochen oder waren sie ein Tabu? Was würden Sie all denen, die gegen Flüchtlinge hetzen, ins Stammbuch schreiben?

A.Van der Bellen:

Meine Eltern haben mit mir über ihre Fluchten gesprochen, aber ohne besonderes Aufheben darum zu machen. All jenen, die gegen Flüchtlinge hetzen, würde ich gerne einen Satz des ehemaligen tschechischen Aussenministers und Beraters von Vaclav Havel Karel (Karl) Schwarzenberg in Erinnerung rufen. Er sagte: „Wir sollten uns bewusstmachen, dass jeder von uns zum Flüchtling werden kann." Ausserdem, wenn die Flüchtlinge im Land fair verteilt werden, ob das in Bregenz, Neusiedl oder Bruck an der Leitha ist, dann ist Integration machbar.

DAVID: Während viele österreichische Bürgerinnen und Bürger ein grossartiges Engagement bei der Hilfe für Flüchtlinge zeigen, flüchtet sich unsere Regierung in Forderungen nach Grenzzäunen und „Obergrenzen". Sie sprechen sich eindeutig dagegen aus. Welche Massnahmen - vor allen im Bereich der Humanität - müsste die Politik in Bezug auf die Einwanderung setzen?

A.Van der Bellen: Es ist von einem Flüchtlingskind wie mir wohl ein bisschen viel verlangt, zu sagen: Meine Eltern hätte man abweisen sollen. Sie mussten drei Mal in ihrem Leben flüchten. Es kann nicht sein, dass wir jetzt die Grundrechte beim 37.501. Flüchtling ausser Kraft setzen. Für Flüchtlinge nach der Genfer Konvention kann es keine Obergrenze geben. Das hat ja auch der Präsident des Europäischen Gerichtshofes unmissverständlich klar gestellt. Und die Aufgabe des Bundespräsidenten ist es, auf die Rechtsgrundlagen hinzuweisen. Gesetze und Verfassung sind einzuhalten. Ich habe zudem grösste Sorge, dass die Union an der Flüchtlingsfrage zerbricht. Wenn die EU aber damit nicht fertig wird, mit welchem Problem wird sie dann fertig? Als Ökonom kann ich nur  warnen, Schengen aufzugeben. Das wird uns alle Milliarden kosten. Das Geld sollten wir doch dazu verwenden, die Integration jener voranzubringen, die schon da sind. 

DAVID: In Ihrem Wahlkampfvideo „Mutig in die neuen Zeiten!" plädieren Sie für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die drei zentralen Grundwerte der Demokratie. Bei rassistischen oder antisemitischen Statements mancher österreichischer Politikerinnen und Politiker stellt sich die besorgte Frage, ob der Grundgedanke demokratischer Werte von besagten Personen überhaupt gewürdigt wird. Wie sollte ein Bundespräsident in solchen Fällen agieren?

A.Van der Bellen: Selbstverständlich werde ich meine Stimme erheben, wenn Menschenrechte oder der Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet sind, und insbesondere auch gegen antisemitische oder rassistische Tendenzen. Es ist meines Erachtens die Aufgabe des Bundespräsidenten, die demokratischen Grundwerte hochzuhalten und zu verteidigen.

DAVID: Im vergangenen Jahr erschien im Brandstätter Verlag Ihr Buch „Die Kunst der Freiheit. In Zeiten zunehmender Unfreiheit". Sie unternahmen auch eine Lesereise quer durch Österreich. Welche Reaktionen erlebten Sie vom Publikum während der Lesungen aus Ihrem Buch?

A.Van der Bellen:

In meinem Buch habe ich die Sorge ausgedrückt, dass unsere Freiheit zunehmend eingeschränkt werden könnte. Dass die Freiheit des Einzelnen zunehmend geringer wird durch Massenüberwachung oder wie zuletzt mit dem Ansinnen, das Bargeld abschaffen zu wollen. Das würde der Überwachung der Konsumgewohnheiten jedes Einzelnen Tür und Tor öffnen. Und wie soll ich dann etwa einem Strassenmusikanten oder Bettler ein paar Euro zustecken? Die Reaktionen im Publikum auf diese Ausführungen waren durchaus positiv. Was mich sehr gefreut hat.

DAVID: In einem Interview mit der „Presse" vom 16. Jänner betonen Sie, dass sich ein Bundespräsident zentralen Themen widmen müsse.2 In Details der Sozialpolitik oder Ausländerpolitik, würden Sie sich nur im Rahmen Ihrer Möglichkeiten einmischen. Wo sehen Sie die Grenzen in den Kompetenzen eines Bundespräsidenten?

A.Van der Bellen: Ich sehe die Aufgabe des Bundespräsidenten darin, zu grundsätzlichen Fragen der Gesellschaft Stellung zu nehmen. Dazu gehört auch, dass wir jetzt etwa bei den Kriegsflüchtlingen, die aus dem islamischen Kulturkreis kommen, aufpassen: Verstehen sie schnell genug, dass das Verhältnis zwischen Mann und Frau bei uns anders ist? Was ist mit Antisemitismus? Das sind zwei Punkte, wo durchaus mit Erziehungsproblemen zu rechnen ist. Ich glaube aber, dass das auf mittlere Sicht lösbar ist. Eine wesentliche Aufgabe des Bundespräsidenten ist es zudem, die Regierung zur Zusammenarbeit zu ermahnen und sie vermittelnd dabei zu unterstützen, gemeinsam für Österreich zu arbeiten. Ein Bundespräsident darf bei Konflikten und Streitereien nicht parteiisch auf einer Seite stehen. Er muss über den Parteien stehen, allein den Menschen im Land und seinem besten Wissen und Gewissen verpflichtet.

  

DAVID: Da unsere Zeitschrift ein Kulturmagazin ist, würden wir Sie gern auch nach Ihren musikalischen, literarischen und sonstigen kulturellen Vorlieben fragen. Ihre Wertschätzung für Carl Barks sowie sein Geschöpf Donald Duck ist ja bekannt. Was mögen Sie an diesem Erpel?

A.Van der Bellen:

Oberflächlich gesehen ist er ein Pechvogel, der doch immer wieder auf die Füsse fällt dank der Unterstützung seiner drei Neffen. Aber viele Geschichten gehen darüber hinaus und handeln von Neid, Eifersucht, Bosheit, Zuneigung und Liebe. Kurzum von menschlichen Leidenschaften. Ich bin begeisterter Krimileser, zuletzt etwa lagen südafrikanische Krimis auf meinem Nachtisch. Aber auch Tilmann Lahmes Buch über „Die Manns", also die Familie von Thomas Mann. Dann natürlich die grossen Russen Gogol, Tschechow und Dostojewski. Die interessieren mich allein schon wegen der Herkunft meiner Eltern. Musikalisch bin ich eher auf der barocken und klassischen Seite, und ich liebe den Jazz von John Coltrane und Ornette Coleman.

DAVID: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

 

1  Verwandte des Vaters von Alexander Van der Bellen kämpften in der „Weissen Armee" gegen die Bolschewiken und flohen nach der Oktoberrevolution ins unabhängige Estland ebenso wie sein Vater.

2  http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4905963/Ich-habe-den-grunen-Flohzirkus-zu-einer-Partei-gemacht