Ulrich Zwingli kam, sah und reformierte. In nur zwölf Jahren veränderte sich das Gesicht der Stadt Zürich unter seiner geistlichen Leitung nachhaltig.
Ulrich Zwingli wurde am 1. Januar 1484 in Wildhaus (Kanton St. Gallen) geboren. Er studierte in Basel und auch ein Jahr in Wien. Anschliessend wurde er zum Priester geweiht und wurde Pfarrer in der Ostschweiz in der Nähe seines Heimatorts. Unter dem Einfluss von Erasmus von Rotterdam wandte er sich dem Humanismus zu. Am 1. Jänner 1519 trat er seine neue Pfarrstelle am Grossmünster in Zürich an. Im Herbst desselben Jahres erkrankte er schwer an der Pest. Seine Genesung bestärkte ihn in seinem G‘ttvertrauen und darin, als Werkzeug G‘ttes den Menschen dienen zu wollen. Bald schon leitete er erste Reformen ein und ging damit immer stärker auf Konfrontationskurs zur Amtskirche. Zürich wurde zwar reformiert, aber in der Folge erhöhten sich die Spannungen mit den katholischen Nachbarkantonen. Als Feldprediger zog der Reformator in den Krieg und fiel am 11. Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel. Von seinen Feinden wurde er gevierteilt und anschliessend verbrannt. So sehr hassten sie ihn.
Ulrich Zwingli auf einem Portrait von Hans Asper, 1549. Quelle: Hans Asper - Rudol Meier, Fred Winkler: Wollishofen - Damals und heute; Niggli Verlag, Sulgen 1993. Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77918675
Sozialrevolutionär und Provokateur Ulrich Zwingli war gelehrt, rhetorisch begabt und musste wohl grosse Überzeugungskraft besessen haben. Denn die Stadt Zürich wurde von Räten regiert, die sich aus Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen zusammensetzten. Zwingli fand also in Zürich schon vordemokratische Strukturen vor, und er gewann dort immer stärker an Einfluss. Nur so war es möglich, dass Zürich sich der Reformation anschloss.
Der Reformator bekämpfte vieles von dem, was der Kirche heilig war. Die Grundlage seines kirchlichen und politischen Reformprogramms war allein die Bibel. In der Bibel steht: Du sollst dir kein Bildnis machen, also liess er Bilder und Statuen aus den Kirchen entfernen. In der Bibel steht nichts von Prozessionen und Wallfahrten, um G‘tt gnädig zu stimmen. Also setzte er sich für die Beendigung solcher ein, ebenso für die Abschaffung des Reliquienkults. Er bewirkte die Aufhebung der Klöster. Mit dem Erlös baute er eine Armenfürsorge und ein Spitalswesen auf. Mit diesen Aktionen zog er sich den Zorn der katholischen kirchlichen Obrigkeit zu.
Ulrich Zwingli provozierte die kirchliche Obrigkeit auch ganz persönlich. So veranstaltete er ein Wurstessen, mitten in der Fastenzeit, weil auch das Fasten nicht biblisch vorgeschrieben und dazu noch besonders heuchlerisch wäre. Zwingli brach ganz bewusst den Zölibat. Er lebte zuerst heimlich mit einer Frau zusammen und liess sich später öffentlich trauen. Seine Angriffe richteten sich aber nicht nur gegen die Kirche, sondern auch gegen die weltliche Obrigkeit. Er wetterte gegen das damals sehr beliebte und einträgliche Söldnergeschäft. Zwingli übte aber nicht nur scharfe Kritik an Kirche und Gesellschaft, er reformierte beide nach humanistischen und biblischen Vorstellungen. Ein Eckpfeiler der Erneuerung war die Bildung. Ein anderes wichtiges Element war die Bekämpfung der Armut. Er schaffte das Betteln ab, organisierte aber gleichzeitig die Verteilung von warmen Mahlzeiten. Und er setzte sich für eine bessere Entlohnung der Arbeiter ein. Zwingli leitete seinen Einsatz für soziale Gerechtigkeit direkt aus der Bibel ab.
Bibelverständnis
In einem Kollegium von Gelehrten übersetzte Zwingli in nur wenigen Jahren das Alte und das Neue Testament, aus dem Hebräischen bzw. Griechischen. 1531, im Jahr seines gewaltsamen Todes, erschien die erste vollständige deutsche Bibelübersetzung.
Anders als in anderen christlichen Traditionen genoss bei ihm das Alte Testament eine besondere Hochschätzung. Er lehnte die Zuordnung Altes Testament ist Gesetz, Neues Testament Evangelium entschieden ab. Er sah in beiden Testamenten Gesetz und Evangelium. Zwinglis Bibelverständnis unterscheidet ihn von anderen Reformatoren, ebenso sein Verhältnis zum Judentum und zu Juden. Seine Einstellung zum Judentum und zu Juden ist auf dem Hintergrund massiver Judenfeindlichkeit und Hetze und einer langen antijüdischen Tradition zu sehen.
Verhältnis zum Judentum
Ulrich Zwinglis Verhältnis zum Judentum war höchst ambivalent, ja widersprüchlich. Zur Zeit Zwinglis gab es keine Juden in Zürich. Im Spätmittelalter wurden sie für die furchtbaren Pestepidemien verantwortlich gemacht und fielen grausamen Pogromen zum Opfer. Der Rest wurde aus der Stadt vertrieben. Daher hatte Zwingli kaum eine Möglichkeit, Juden kennenzulernen, mit einer Ausnahme, des jüdischen Arztes, Mosche von Winterthur, der Zwingli beim Hebräisch lernen vermutlich behilflich war. Für Übersetzungstätigkeiten stellte Zwingli den Humanisten und Lehrer Konrad Pelikan an, der zwar selbst kein Jude war, aber später rabbinische Literatur ins Lateinische übersetzte.
Einerseits übernahm Zwingli negative Stereotypen, die er in der christlichen Tradition vorfand, zum Beispiel, dass das nachchristliche Judentum verworfen sei. Die Kirche wäre als das neue Israel an seine Stelle getreten. Auch war er der Überzeugung, dass das Judentum auf Äusserlichkeiten fixiert wäre, auf Gesetze und Riten.
Andererseits kam er zur Einsicht, dass das Christentum nur aus dem Alten Testament und dem Judentum verstanden werden konnte. Daher begründete er die Taufe von der Beschneidung her und das Abendmahl aus dem Passahmahl.
An einer Stelle warnte er sogar die heidenchristliche Kirche, sie solle nicht überheblich sein und solle Juden nicht verächtlich behandeln.
Zwingli lobte die jüdische Heiligung des G‘ttesnamens und die strenge Einhaltung des ersten Gebots, ein radikales Bekenntnis zum Monotheismus.
Und dort, wo Zwingli jüdische Gesetzlichkeit und Pharisäertum angriff, hatte er gar nicht das zeitgenössische Judentum vor Augen, sondern vielmehr die g‘ttlose römische Papstkirche. Wie intensiv er sich mit hebräischer Lehre auseinandersetzte, lässt sich auch daran erkennen, dass ihm seine Gegner vorwarfen, er habe seine ganze reformatorische Theologie bei Juden gelernt.
Titelblatt der reformierten Zürcher Bibel von 1531. „Die gantze Bibel der ursprünglichen Ebraischen und Griechischen waarheyt nach / auffs aller treüwlichest verteütschet. Getruckt zuo Zürich bey Christoffel Froschouer / im Jar als man zalt M.D. XXXI.“ Quelle: Christoffel Froschauer (Druck) - Sigmund Widmer: 1484 Zwingli 1984. Zürich 1984. Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3941124
Die Reformation und die Theologie des Zürcher Reformators haben die Evangelisch-reformierte Kirche geprägt, vor allem mit seiner prophetischen Kritik an Missständen und mit seinem Einsatz für soziale Gerechtigkeit.
Thomas Hennefeld ist Landessuperintendent der Evangelisch-reformierten Kirche in Österreich und Gemeindepfarrer der Evangelisch-reformierten Pfarrgemeinde Wien-West, Zwinglikirche.