Ausgabe

Nach der Shoah. Politik und Antisemitismus in Österreich nach 1945.

Barbara Serloth: Nach der Shoah. Politik und Antisemitismus in Österreich nach 1945.
Mandelbaum Verlag. Wien-Berlin: 2019 
304 Seiten, Englische Broschur, 25.00 Euro 
ISBN: 978385476-841-8 
Leseprobe siehe unter https://www.mandelbaum.at/extracts/leseprobe-serloth-kern.pdf 
 

Inhalt

Dr. Barbara Serloth, geb. 1963, studierte Politikwissenschaft und Ethnologie an der Universität Wien (Diplomarbeit 1986, Dissertation 1989). Sie ist Senior Parliamentary Advisor im österreichischen Parlament und war langjährige Lehrbeauftragte an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Antisemitismus, Nationalismus und Demokratie. Schon 2016 hatte der Mandelbaum Verlag ein vielbeachtetes Buch der Autorin herausgebracht: „Von Opfern, Tätern und jenen dazwischen. Wie Antisemitismus die Zweite Republik mitbegründete“. Ihre neue Studie „Nach der Shoah. Politik und Antisemitismus in Österreich nach 1945“ beschäftigt sich wieder mit der Ablehnungskultur gegenüber Juden und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Frage der Restitution von jüdischem Vermögen, das während der NS-Zeit entzogen worden war. 

Abgeleitet von einer Formulierung der alliierten Aussenminister in der Moskauer Deklaration (1943), bestand im Österreich der Nachkriegszeit ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Österreich das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggression gewesen sei. Es entwickelte sich ein „Opfermythos“, der mit Modifizierungen lange Jahre wirksam blieb. „Österreich hat nichts wiedergutzumachen, weil Österreich nichts verbrochen hat.“ Dieses „Unschuldsnarrativ“, legitimierte eine restriktive Haltung gegenüber „Restitutionen“ und „Wiedergutmachung“, die mit Ausnahme von Abgeordneten der KPÖ von allen Parlamentsparteien vertreten wurde (S. 71-79).

Mitbestimmend für die restriktive Restitutionspolitik gegenüber jüdischen Ansprüchen war auch die angespannte wirtschaftliche Lage im besetzten Österreich 1945-1955. Es galt der offenbar allgemein akzeptierte Grundsatz, dass man die ohnehin knappen Ressourcen „für die eigenen Leut‘ “ benötige. Selbst Staatskanzler Karl Renner (SPÖ) stand der Restitution jüdischen Vermögens ablehnend gegenüber (S. 67-71). Signifikant im Zusammenhang mit jüdischen Rückstellungsforderungen war eine Äusserung von Innenminister Oskar Helmer (SPÖ): „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen.“ Jüdinnen und Juden wurden nicht als Opfer des Nationalsozialsozialismus, sondern als „Emigranten“, daher nicht als Österreicher wahrgenommen. Flucht und Exil wurden ignoriert oder zumindest verharmlost (S. 217-257). Erschwerend wirkten sich widersprüchliche Zielsetzungen der auf jüdischer Seite involvierten Organisationen aus, was von Regierungsseite ausgenutzt wurde (S. 257-258). 

Ein wesentliches Instrumentarium dieser restriktiven Rückstellungspolitik war das „Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung“, das sogenannte „Krauland-Ministerium“. Minister Peter Krauland (ÖVP) agierte als Garant der Restitutionsverschleppung und der Verweigerungshaltung bei „arisierten“ Vermögen, der „Härtemilderung“ gegenüber den „Ariseuren“. Auffallend war auch die Personalentwicklung im Krauland-Ministerium. Es wurden ehemalige Nationalsozialisten, die man wegen ihres hohen „Belastungsgrades“ nicht in den Staatsdienst hätte aufnehmen dürfen, mit Konsulentenverträgen angestellt. Dabei ging es auch um Fachkompetenz: Personen, die während der NS-Zeit Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Vermögensverwaltung erworben hatten, konnten nunmehr im „Krauland-Ministerium“ beste Dienste leisten. So ergab sich das fatale Paradoxon, dass gerade in diesem für die Rückstellung jüdischer Vermögen zuständigen Ministerium der Anteil an ehemaligen Nationalsozialisten besonders hoch war (S. 51-53). 

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Anderseits begannen die politischen Parteien die „Ehemaligen“ zu umwerben, sich um deren Integration zu bemühen und für das Wahlrecht der sogenannten „Minderbelasteten“ einzutreten (S. 135-216). Zeugnis dafür liefert das Kapitel der „Ehemaligen“ als Regierungsmitglieder, National- und Bundesräte (S. 203-208). 

Fazit: Der von den Politikern der Nachkriegszeit vertretene Standpunkt der Opferrolle Österreichs war eine kluge Schutzhaltung, die zugleich Österreichs neue Stellung innerhalb des westlichen Systems ermöglichte. Ehemalige Nationalsozialisten waren mehr akzeptiert als jüdische Emigranten und Opfer des Nationalsozialismus. Die restriktive Ausformung der sogenannten „Rückstellungsgesetze“ und die Verschleppung von Rückstellungverfahren waren nicht nur den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen geschuldet, sondern auch einem aktiven Desinteresse an jüdischen „Emigranten“. Dabei spielte das Krauland-Ministerium eine besondere Rolle, aber auch das Parlament, das die Gesetzesentwürfe zu verabschieden hatte. Der vorbehaltlose politische Wille zur Rückstellung und Entschädigung stellte sich erst nach dem „Bedenkjahr“ 1988 ein und erhielt durch den 1995 gegründeten und beim Parlament beheimateten „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus“ eine unentbehrliche Anlaufstelle. 
Für ihre Forschungen hatte die Autorin neben der umfangreichen einschlägigen Literatur insbesondere die Stenographischen Protokolle des österreichischen Nationalrates 1945–1961, die österreichischen Kabinettsrats- und Ministerratsprotokolle 1945–1947 sowie die Berichte der Österreichischen Historikerkommission 2003–2004 herangezogen (S. 294-303). Nicht berücksichtigt hingegen wurden die von Gertrude Enderle-Burcel bearbeiteten Tagebuchnotizen von Adolf Schärf, worin ausführlich auf die Antisemitismusproblematik eingegangen wird.1 

Christoph Tepperberg

1 Siehe auch den Beitrag Gertrude Enderle-Burcels: Antisemitismus in den Regierungen Figl und Raab (1945–1961). In: DAVID 127 (2020), S. 60-61.