Am 7. November 1938 schoss der siebzehnjährige Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris auf den dort tätigen Diplomaten Ernst vom Rath. Als furchtbare Rache der Nationalsozialisten erfolgte zwei Tage später die Reichspo-
gromnacht. Herschel Grynszpan wäre heuer am 28. März 100 Jahre alt geworden.
Hannover- Brüssel - Paris
Herschel Grynszpan wurde am 28. März 1921 in Hannover in eine polnisch-jüdische Familie geboren. Seine Mutter Ryfka arbeitete als Aushilfe in der Flickschneiderei ihres Mannes Sendel. Ihr Sohn besuchte von 1927 bis 1935 die Bürgerschule und 1935 wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft suspendiert. Herschel besuchte weiterhin den jüdischen Sportverein Makkabi und den jüdischen Religionsunterricht in der Misrachi, einer zionistisch-orthodoxen Gruppe in Hannover. Die Misrachi übernahm die weiteren Ausbildungskosten von Herschel, der die Rabbinische Lehranstalt in Frankfurt am Main besuchte. Doch ein Jahr später kehrte er nach Hannover zurück und war auf der vergeblichen Suche nach Arbeit.
Im Juli 1936 brach er zu Verwandten nach Brüssel auf und bald gelang es Grynszpan ohne Visum nach Paris zu kommen, wo er von seinem Onkel Abraham liebevoll aufgenommen wurde. Grynszpans Situation wurde schwieriger, da seine Papiere abliefen und er daher illegal in Paris lebte. Am 3. November 1938 erhielt er eine Nachricht, die sein Leben veränderte. In einer Postkarte berichtete ihm seine Schwester Berta, dass sie und die Eltern zur polnischen Grenze gebracht und im Niemandsland abgeschoben wurden, da Polen die Aufnahme der Vertriebenen verweigerte.
Das Attentat und der Prozess
Am 6. November des Jahres 1938 verliess Herschel die Wohnung seines Onkels Abraham endgültig und zog unter falschem Namen in einem Pariser Hotel ein. Am darauffolgenden Tag besorgte er sich einen Revolver und erschien bei der deutschen Botschaft. Beim Portier gab er sich als Bote aus, der ein wichtiges Dokument abzugeben hätte. Als er in das Büro des Botschaftssekretärs Ernst vom Rath vorgelassen wurde, zog Herschel den Revolver und schoss mehrmals auf den Attaché, der später seinen Verletzungen erlag.
Vom November 1938 bis Mai 1940 befand sich Herschel Grynszpan in Untersuchungshaft im Jugendgefängnis Frèsnes. Die französische Behörde bereitete den Prozess vor und im Juni 1940 wurde Grynszpan aufgrund der deutschen Besatzung in ein anderes Gefängnis nach Bourges evakuiert. Nach seiner Flucht gelangte er in das Gefängnis von Toulouse, das nicht von den Deutschen besetzt war. Im Juli 1940 wurde Grynszpan von der französischen Vichy-Regierung an Deutschland ausgeliefert. Nach einer Gestapo-Haft in Berlin war Grynszpan vom Jänner 1940 bis 1941 im Konzentrationslager Sachenhausen interniert. Überraschend wurde er im Sommer 1941 wieder in das Untersuchungsgefängnis nach Berlin-Moabit gebracht. In diesem Zeitraum erhielt die Reichsanwaltschaft des Volksgerichtshofs in Berlin vom Justizministerium die Anweisung, Anklage gegen Grynszpan zu erheben.
Herschel Grynszpan bei seiner Verhaftung am 7. November 1938. Quelle: Deutsches Bundesarchiv, Sammlung von Repro-Negativen (Bild 146), 146-1988-078-07// CC-BY-SA 3.0;
https://de.wikipedia.org/wiki/Herschel_Grynszpan#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_146-1988-078-07,_Herschel_Feibel_Grynszpan_(cropped).jpg , Creative Commons.
Das Propagandaministerium schaltete sich ein und im Februar 1942 informierte Propagandaminister Joseph Goebbels die Presse über den geplanten Prozess. Anfang 1942 wurde dieser verschoben und im Sommer des Jahres wurde Grynszpan ins KZ Sachsenhausen transportiert. Nach einem erneuten Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis Moabit wurde er im Frühjahr 1943 wieder nach Sachsenhausen gebracht. Der Prozess gegen ihn fand nicht mehr statt, da Deutschland zu sehr im Kriegsverlauf involviert war.
Nach 1945
Im KZ Sachsenhausen verlor sich Grynszpans Spur und es existieren verschiedene Vermutungen über sein Schicksal. Diese reichen von einer Befreiung durch die Rote Armee 1945 bis zu seinem Tod in einer Haftanstalt oder einem Lager.
Seine Eltern, die in die Sowjetunion fliehen konnten, überlebten den Holocaust. Nach 1945 versuchten sie verzweifelt, etwas über das Schicksal ihres Sohnes zu erfahren. 1960 wurde Herschel Grynszpan für tot erklärt. Der Totenschein wurde auf das Datum 8. Mai 1945 ausgestellt. „Diese Erklärung wurde angezweifelt und daher erst im Januar 1961 endgültig rechtskräftig. Mit gewisser Verzweiflung und tiefer Verletzung hat der Vater am 6. Oktober 1957 eidesstattlich erklärt, dass es absurd sei, von einem Überleben seines Sohns auszugehen.“1
1 Benjamin Ortmeyer: Herschel Grynszpan. „Ich muss protestieren.“ In: Frankfurter Rundschau, https://www.fr.de/kultur/ich-muss-protestieren-10965715.html
Literatur
Friedrich Karl Kaul: Der Fall des Herschel Grynszpan. Berlin: Akademie Verlag 1965.
Jonathan Kirsch: The short. Strange life of Herschel Grynszpan. A boy avenger, a Nazi diplomat, and a murder in Paris. New York (u.a.): Liveright 2014.
Uwe Klussmann: Pogrome 1938 „Alles saust gleich an die Telefone. Nun wird das Volk handeln“. In: DER SPIEGEL; 06.11.2020, https://www.spiegel.de/geschichte/herschel-grynszpans-attentat-und-die-pogrome-1938-nun-wird-das-volk-handeln-a-82efd337-0a8c-478c-9456-a1566cc35fa1 (abgerufen: 02.02.2021)
Kathrin Schamoni: Herschel Grynszpan – der Attentäter. In: Planet Wissen, 26.11.2019, 09.11.2018,
https://www.planet-wissen.de/geschichte/nationalsozialismus/novemberpogrome/pwieherschelgrynszpanderattentaeter100.html (abgerufen: 03.02.2021)