Micha Brumlik: Preussisch, konservativ, jüdisch. Hans-Joachim Schoeps‘ Leben und Werk.
Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 2019
294 Seiten, 11 s/w-Abbildungen
Hardcover, 39,00 Euro
ISBN: 978-3-412-51501-0
Autor des Buches ist der Erziehungswissenschafter und Publizist Micha Brumlik. Er wurde 1947 zu Davos in der Schweiz geboren, nachdem seine Eltern Josef und Recha Brumlik als deutsche Juden vor dem Nazis hatten fliehen müssen. Brumlik war 2002-2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts (Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust) in Frankfurt am Main, bis 2013 Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt, ist seit 2017 Seniorprofessor ebendort und seit 2013 Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg.
In der Biographie des jüdischen, preussisch gesonnenen und konservativen Religionshistorikers Hans Joachim Schoeps (1909-1980) zeigen sich beispielhaft jene Wünsche, Widersprüche und Enttäuschungen, die deutsche Juden im 20. Jahrhundert hegten und verarbeiten mussten. Vergeblich um die Anerkennung durch das antisemitische NS-Regime bemüht, wurde Schoeps im schwedischen Exil zu einem bedeutenden, das frühe Christentum auf neue Weise erforschenden Religionswissenschafter. Die inneren Widersprüche, die fatalen Fehleinschätzungen, betrogenen Erwartungen und trotzigen Hoffnungen des deutschen Judentums haben sich kaum woanders so deutlich niedergeschlagen wie in Leben und Werk von Hans-Joachim Schoeps.
Hans-Joachim Schoeps wurde am 30. Januar 1909 in Berlin geboren. Sein Vater Julius Schoeps (1864-1942), ehemals preussischer Stabsarzt, war Allgemeinmediziner in Berlin, Mutter Käthe geb. Frank (1886–1944) stammte aus Brandenburg. Schoeps wurde im preussischen Geiste erzogen. Er fühlte sich dem Wandervogel verbunden, einer Bewegung von Schülern und Studenten bürgerlicher Herkunft, die in einem einfachen, gesunden Leben mit Natur, Wandern und Gesang ihre Erfüllung zu finden glaubten. Seit 1914 waren Juden beim Wandervogel nicht sonderlich willkommen: „Der Wandervogel, der aus dem tiefsten des deutschen Wesen hervorgegangen ist, ist rassisch mit dem Juden unvereinbar.“ (S. 33-50). Bestimmend für die bündische Jugend war auch eine spürbare Körperlichkeit, die sich bei jungen jüdischen Menschen auch in jüdischen Sportvereinen, in zionistischen Studentenverbindungen und im Linkszionismus manifestierte. Eine Wehrhaftigkeit, die sich dem alten christlichen Vorurteil des nichtwehrhaften, unterwürfigen jüdischen Mannes entgegenstellte. Daraus ergab sich im Kontext mit der männerbündischen Wandervogelbewegung auch eine gewisse Äquidistanz zur Homosexualität (S. 200-215).
Nach dem Studium der Religionsphilosophie, Geschichts- und Literaturwissenschaft in Berlin, Marburg und Leipzig promovierte Schoeps 1932 zum Dr. phil. Obwohl Jude und Monarchist, stand Schoeps dem Nationalsozialismus zunächst positiv gegenüber. Im Februar 1933 gründete er den Verein Der deutsche Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden, um national gesinnte Juden in den Nationalsozialismus zu integrieren. Schoeps‘ beharrliche Versuche, sich im nationalsozialistischen Deutschland Existenz und Akzeptanz aufzubauen mussten misslingen. Es gelang ihm zu Weihnachten 1938 nach Schweden zu fliehen. Dort verfasste er umfangreiche Abhandlungen zur Geschichte des Judentums und zu jüdisch-christlichen Religionsbeziehungen. Hier lag die eigentliche Bedeutung seines wissenschaftlichen Schaffens. Bahnbrechend waren die Forschungen über das frühe Judenchristentum, die sogenannten Ebioniten. Trotz mancher methodischer Defizite hatte Schoeps Pionierarbeit geleistet, wurde zum Vordenker späterer Forscher (S. 154-157).
Schöps‘ Eltern waren in Deutschland zurück geblieben. Sein Vater Julius Schoeps, der sich in völliger Verkennung der Sachlage freiwillig zur Wehrmacht hatte melden wollen, starb Ende 1942 im KZ Theresienstadt an Hunger und Entkräftung, seine Mutter wurde 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet (S. 34-35). Im schwedischen Exil heiratete Schoeps Dorothee Busch (1915–1996), eine Enkelin des Bankiers Ernst von Mendelssohn-Bartholdy. Der Ehe, die nach etwa fünf Jahren geschieden wurde, entstammen der Historiker Julius Hans Schoeps (geb. 1942) und der Immobilienunternehmer Manfred Schoeps (geb. 1944). Krank vor Heimweh kehrte Schöps 1946 mit den beiden Söhnen nach Deutschland zurück. 1947 konnte er sich an der Universität Marburg habilitieren. Noch im selben Jahr berief man ihn als a.o. Professor an die Universität Erlangen, ab 1950 war er ordentlicher Professor und Vorstand des Seminars für Religions- und Geistesgeschichte ebendort. 1948 gründete Schoeps die vielbeachtete Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte (ZRGG), 1958 die Gesellschaft für Geistesgeschichte (S. 218-226). Seit den 1970er Jahren sass Schoeps im Beirat der Stiftung Preussischer Kulturbesitz und war im Zollernkreis aktiv. Er verstarb am 8. Juli 1980 in Erlangen, wurde zunächst auf dem Neuen Israelitischen Friedhof zu Nürnberg bestattet, 1996 nach Berlin überführt und dort im Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weissensee beigesetzt. Sein Lehrstuhl, den man in Erlangen als Wiedergutmachung eingerichtet hatte, wurde noch zu seinen Lebzeiten aufgelöst und in einen Konkordatslehrstuhl umgewandelt.
Micha Brumlik gelang es in diesem Buch, dem Leser neben den erforderlichen geistesgeschichtlichen Einordnungen auch die Gefühlswelt des bemerkenswerten Hans-Joachim Schoeps zu vermitteln.
Christoph Tepperberg