Salomon Hermann Mosenthals gesellschaftliche Kontakte und beruflicher Werdegang führen den Erfolg der Aufklärungsbewegung für die Integration der Juden Mitte des 19. Jahrhunderts eindrücklich vor Augen. Sogar ein hoher Ministeriumsposten wurde ihm übertragen; damals war er damit einer von vielen – heute eine Seltenheit.
Salomon Hermann Mosenthal wurde am 14. Januar 1821 als zweiter Sohn des jüdischen Kaufmanns Herz Mosenthal1 in Kassel geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in Armut, nachdem das Geschäft des Vaters in der wirtschaftlichen Krisenzeit, die nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und der französischen Herrschaft über das Kurfürstentum Hessen einsetzte, Pleite gegangen war und die Familie nur durch die Mutter mit ihrer Putzmacherei (Huthandwerk) notdürftig ernährt werden konnte. Auf Vermittlung seines Onkels Karl Weil (1806 Bockenheim/Frankfurt am Main – 5.1.1878 Währing bei Wien, Journalist, k.k. Hofrat im Ministerium des Äusseren, 1864 Ritterstand) konnte er 1840 in Karlsruhe das Polytechnikum besuchen, die technische Laufbahn lag ihm aber wenig. Vielmehr begann er sich auch beruflich für Literatur zu interessieren und suchte den Kontakt zu Schriftstellern, unter ihnen Nikolaus Lenau und dessen Mentor Gustav Schwab (heute noch bekannt durch seine Neuübersetzung von Sagen des klassischen Altertums).
In der Zwischenzeit hatte der Onkel für den Neffen eine Stelle als Hauslehrer bei Moriz Jacob Rt. v. Goldschmidt (9.6.1803 Frankfurt am Main – 5.4.1888 Wien) in Wien organisiert, dem Bankier, preussischen Konsul, Prokurist von Salomon Mayer Rothschild und Mitbegründer des Wiener Bankhauses Rothschild. Mosenthal trat seine Stelle 1842 an und unterrichtete gemeinsam mit dem etwa gleichaltrigen Leopold Kompert (1822 Münchengrätz, Böhmen – 23.11.1886 Wien), der in jener Zeit seine frühen journalistischen und schriftstellerischen Arbeiten verfasste, die sechs Goldschmidt-Kinder. Die solchermassen abgesicherte Existenz ermöglichte ihm erste Schritte als Autor, vier Jahre später wurde bereits sein Drama Der Holländer Michel (nach Wilhelm Hauffs Schwarzwaldsage Das kalte Herz von 1828) am Theater an der Wien aufgeführt. Mosenthal wurde Mitglied der Künstlergesellschaft Concordia und nutzte diese Zeit, um ein weitläufiges internationales Netz an Beziehungen zu Akteuren und Förderern des Kulturlebens zu knüpfen. Nach einem Intermezzo als politischer Aktivist der Bürgerwehr während der Bürgerlichen Revolution in Wien 1848 hatte er mit seinem in Hamburg uraufgeführten „Bauernstück“ Deborah grössten Erfolg. Es wurde in zwölf Sprachen übersetzt, darunter von Léon Halévy, dem Bruder des Komponisten Jacques Fromental Halévy, ins Französische, und weltweit aufgeführt – im Jahr 1862 wurde es allein in New York vierhundertmal, in der darauffolgenden Saison sogar fünfhundert Mal in London gespielt. Deborah erinnert inhaltlich sehr an Halévys Oper La Juive (Libretto: Eugène Scribe), die 1935 in Paris uraufgeführt und in Wien bereits seit dem darauffolgenden Jahr auf der Bühne zu sehen gewesen war, das Thema: religiöse Toleranz.
Zeitgleich mit Mosenthal war der kaum ältere Otto Nicolai 1842 nach Wien gekommen, der in jenem Jahr mit seinen Philharmonischen Konzerten die Wiener Philharmoniker begründete. Nicolai war damals bereits sehr erfolgreich als Operettenkomponist und hatte eben einen Vertrag am Kärntnertor Theater erhalten; zu der Stelle gehörte auch der Auftrag, eine deutsch(sprachig)e Oper zu schreiben. Nicolai entschied sich für den Stoff aus William Shakespeares Lustigen Weibern von Windsor, und für den jungen Mosenthal als seinen Librettisten. Die Zusammenarbeit der beiden geriet zum Erfolg: Nicolai versorgte Mosenthal mit sehr genauen Textvorgaben und verfasste die gesprochenen Dialoge selbst, das Libretto war bald zeitgerecht zur geplanten Uraufführung 1845 fertig gestellt. Die Komposition allerdings liess auf sich warten, tatsächlich wurde die fertige Oper dann nicht mehr in Wien, sondern erst 1849, kurz vor dem frühen Tod des Komponisten, in Berlin uraufgeführt.
1850 erhielt Mosenthal eine Stelle im Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien, dessen Bibliothekar er später wurde. Im Jahr darauf heiratete er die Tochter seines Onkels Karl,
Caroline geb. Weil (1832 – 19. 3. 1862). Die früh Verstorbene hatte er als junger Mann schon in Liebesgedichten verehrt:
„In Deinem tiefsten Innern/ Wirst Du es einst ermessen/ Wie wohl thut das Erinnern/ Wie weh thut das Vergessen.“ (Aus dem Gedicht Seifenblasen)2
1857 feierte Mosenthal mit einem weiteren „Bauerndrama“ namens Sonnwendhof (1854) Erfolge; wiederum war es Leon Halévy, der das Stück ins Französische übersetzte, und Hans Christian Andersen ins Dänische. Der englische Komponist George Alexander Macfarren schuf daraus seine Oper Helvellyn (1864; Libretto: John Oxenford). 1868 wurde Mosenthal in den Ritterstand erhoben. Insgesamt verfasste er achtzehn Dramen sowie zwanzig Libretti zu Opern, darunter der Publikumsrenner Die Königin von Saba (Karl Goldmark, 1875).
1868 bis 1871 war Mosenthal Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde und holte Anton Rubinstein als seinen Nachfolger für diese Position nach Wien. Mit dem acht Jahre jüngeren russisch-jüdischen Komponisten, der vor allem als herausragender Pianist Weltberühmtheit erlange, hatte er immer wieder intensiv zusammengearbeitet. Schon 1861 wurde Mosenthal von ihm als Librettist der Oper Die Kinder der Heide (nach Karl Beck) engagiert. Zehn Jahre später schufen die beiden in Wien die Oper Die Maccabäer (nach Otto Ludwig), uraufgeführt in Berlin 1875, sowie Moses, eine geistliche Oper, die erst zehn Jahre nach Mosenthals Tod kompositorisch fertig gestellt und in Riga 1894 konzertant vorgestellt wurde.
Mit Ignaz Brüll verband Mosenthal zur gleichen Zeit eine intensive Freundschaft. Gemeinsam schufen sie 1875 Brülls Oper Das Goldene Kreuz, eine Geschichte aus den Napoleonischen Kriegen nach einem Stoff von Anne-Honoré-Joseph Mélesville, die sich zum Bühnenhit entwickelte und Brülls übriges kompositorisches Schaffen in den Hintergrund rücken liess. Mosenthal war zu einem der gefragtesten Librettisten des deutschsprachigen Raumes geworden; seine Gedichte wurden unter anderem von Felix Mendelssohn-Bartholdy vertont. Gegen Ende seines Lebens verfasste Mosenthal Novellen, in denen er die prekären Lebensumstände seines jüdischen Umfelds zur Jugendzeit in der Heimatstadt Kassel schildert.3
Er verstarb unerwartet nach einem Riss der Herzwand am 17. Februar 1877 in Wien und wurde an der Seite seiner Gemahlin am jüdischen Friedhof Währing in der neuen Prominentengruppe 18, Reihe sechs, Nummer zwei, beigesetzt. Carolines Eltern fanden bald darauf noch in den benachbarten Gräbern drei und vier ihre letzten Ruhestätten.
Während der NS-Zeit, als die Exhumierung prominenter Persönlichkeiten durch das Naturhistorische Museum Wien für rassenkundliche Experimente drohte, wurden die Gebeine Mosenthals und seiner Frau durch die Wiener jüdische Gemeinde zur neuen jüdischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs überführt und dort in einem Notgrab wiederbestattet, wo sie seither ruhen (Gruppe 14 a, Reihe 13, Grabstelle Nummer vier). Die Schwiegereltern hingegen, Karl Ritter von Weil und Esther geborene Engelmann, liegen nach wie vor am Währinger Friedhof begraben; ihre Grabsteine wurden zwar umgeworfen, sind aber noch vorhanden.
Mosenthals Schwager war übrigens der Arzt und Leiter der Orthopädischen Heilanstalt in Döbling, Dr. Heinrich von Weil (1834 Stuttgart – 1903 Wien).
Salomon Hermann Mosenthal. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Salomon_Hermann_Mosenthal.jpg, gemeinfrei, aus: http://gutenberg.spiegel.de/autoren/bilder/mosenthl.jpg, abgerufen am 19.02.2021.
Quelle: https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/mosenthl.html
1 Angabe bei Anton Schönbach: Mosenthal, Salomon Hermann Ritter von. In: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 368–371, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mosenthal,_Salomon_Hermann_von&oldid=- (Version vom 20. Februar 2021)
2 Quelle: Gesammelte Gedichte von S.H.Mosenthal, Wien 1866, zitiert nach http://www.deutsche-liebeslyrik.de/mosenthal_salomon_hermann.htm), abgerufen am 19.02.2021
3 Stories of Jewish Home Life, 1907, dt. u. d. T. Tante Guttraud, Bilder aus d. jüd. Fam.leben, 1908, Neudr.1912 u. 1913; online unter https://de.wikisource.org/wiki/Aus_dem_jüdischen_Familienleben, abgerufen am 18.02.2021