Ende Oktober war ich für sechs Tage unterwegs auf dem Weg von Rechnitz nach Mauthausen, im Begleitfahrzeug, mit Maria Pammer, der Initiatorin der „Peace Road 2020 – Ungarn-Österreich“. Das Motto war: „Wege können verbinden“. Auf dieser Route des Todesmarsches wurden ungarische Juden, Kriegsgefangene aus vielen Ländern und Roma-Angehörige im Frühjahr 1945 aus den Zwangsarbeitslagern nach Mauthausen getrieben. Viele sind auf dem Weg umgekommen. Diese Geschichte ist so schrecklich und umso vieles mehr als Worte es beschreiben können.
Zwei Monate im Voraus haben mein Mann Robert und ich zusammen mit Maria und Friedrich Pammer die Strecke und den Hintergrund erkundet. So vieles kam zum Vorschein, was wir noch nie gehört hatten. Auch, dass wir in unserer Gegend Zwangsarbeiterlager hatten und Massengräber haben. Roberts Mutter hat immer nur vom Zuschütten des Süd-Ost-Walls erzählt. Im Laufe der Zeit haben wir in all den Orten, wo Mahnmale stehen, engagierte Menschen getroffen, die über Jahre schon Bewusstseinsarbeit geleistet haben, die uns willkommen hiessen.
Unsere Radtour von fast fünfhundert Kilometern ging von Rechnitz zur Grenze nach Ungarn, um dann beim Kreuzstadl in Rechnitz mit einer würdigen Eröffnungsfeier zu starten. Am ersten Tag waren fast einhundert Kilometer zu bestreiten, über Burg – Eisenberg – Deutsch-Schützen – Bildein – Eberau – Fürstenfeld. Die weiteren Tage führten von Fürstenfeld nach Nitscha – Gleisdorf – Graz – Peggau – Bruck an der Mur – Leoben – Trofaiach – Präbichl – Leopoldsteiner See – St. Georgen an der Gusen – Mauthausen – Steyr.
Die Teilnehmer der Peace Road 2020. Foto: M. Spiegl mit freundlicher Genehmigung.
Fünf tapfere Radfahrer und zwei tapfere Radfahrerinnen haben die gesamte Strecke durchgehalten. Unterwegs wurden wir von vielen Mitwirkenden ein Stück begleitet. Wir erlebten Wind und Sonne, Kälte und Nässe, Dunkelheit, Muskelkater und Müdigkeit, aber im Herzen trugen wir die Sehnsucht, den Schmerz und die Trauer zu lindern.
Meine Frage: Was kann so eine Radtour schon bewirken? 75 Jahre sind schon lange her. Die Natur hat Gras über die Orte des Schreckens wachsen lassen. Die Herbsttage waren so wunderschön. Sind unsere Gebete an den Mahnmalen und auf dem Weg gehört worden? Die Bitten um Verzeihung, um Trost und Befreiung der gepeinigten Seelen aller Beteiligten? Das Motto: „Wege können verbinden“ wurden für mich zum „Wege verbinden!“
Ich habe sie gefunden, die losen Enden, die abgeschnittenen, versteckten, scheinbar verloren gegangenen, und habe sie verknüpfen können. Im Herzen spüre ich jetzt eine Verbundenheit mit den Menschen vor langer Zeit, die denselben Weg so schmerzlich gehen mussten, aber auch mit den jungen Menschen, die sich an den Untaten beteiligten, die vor Angst vor dem eigenen Tod in die Knie gegangen sind und sich haben manipulieren lassen, diese Gräuel zu begehen.
Was nützt Vergessen, ein äusserer oberflächlicher Frieden im Schosse der Ignoranz, wenn tief im Herzen ein schwerer, kalter Stein liegt. Deshalb ist mein Bewusstwerden um diese Geschichte ein Teil meiner Herkunft, meines Seins geworden. Ich nehme sie an und werde sie weitererzählen, meinen Kindern und Enkeln, damit diese schrecklichen Fehler eine Mahnung sind und sie sich für eine liebevollere Zukunft entscheiden.
Nachlese: www.peaceroadaustria.wordpress.com