Ausgabe

Von Klagenfurt nach Israel.

Der Lebensweg von Erna Zeichner/Esther Schuldmann. Studien Verlag 2021. 
216 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 34,90 Euro 
ISBN 978-3-7065-6092-4 

Inhalt

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„Ich möchte sagen, dass Österreich meine unglückliche Liebe ist,“ drückte die 1922 geborene Esther Schuldmann, vormals Erna Zeichner, ihre Beziehung zu ihrer ehemaligen Heimat im Jahr 2006 aus. Bitter seien ihre Erinnerungen, die ihr zugleich „ein Lächeln auf die Lippen zaubern und einen schmerzlichen Druck in der Brust erzeugen“, ergänzte sie. Nach einer glücklichen Kindheit in einer jüdischen Grossfamilie in Klagenfurt veränderte sich mit dem Anschluss an den Nationalsozialismus 1938 alles für das Mädchen. Ebenso wie ihr älterer Bruder Otto musste sie die Schulausbildung abbrechen, die sie sich hart erkämpft hatte – war doch der Vater dafür gewesen, dass Erna nach der Pflichtschule zuhause bleibt und die Mutter im Lederhandel unterstützt. Doch das zierliche Mädchen setzte sich durch, lernte eifrig und nahm die Schulbücher sogar sonntags an den geliebten Wörthersee mit. 
Das Buch erzählt Erna Zeichners Geschichte vom Aufwachsen in Klagenfurt in einer weitverzweigten Grossfamilie, in der ihre Mutter eine wichtige Rolle als Vermittlerin und Vertrauensperson einnahm und stets Geborgenheit vermittelte. Die finanziellen Schwierigkeiten des elterlichen Lederbetriebs belasteten die Familie in einer Zeit, in der sich die Stimmung gegen Juden rapide zuspitze, aber niemand eine Vorstellung davon hatte, dass es bald um Leben und Tod gehen würde. Ein historischer Überblick über die Entwicklung jüdischen Lebens in Kärnten vom Mittelalter bis in die Gegenwart stellt die Geschichte der Familie Zeichner in den Kontext der historischen Ereignisse, zahlreiche Privataufnahmen der Familie und historische Fotos ergänzen die Erzählung anschaulich.
Viele Zufälle verhalfen Erna Zeichner Ende 1939 zur Flucht aus Österreich, während ihre Mutter mit der Tante alleine in Wien zurückblieb – die Hoffnung, bald in ein sicheres Land wegzukommen, erfüllte sich für die beiden Frauen nicht. Der Bruder Otto hatte bereits Monate zuvor auf eigene Faust einen Fluchtversuch gestartet, der ihn vorerst in die Niederlande führte, von dort jedoch, anstatt nach Palästina, ins Vernichtungslager Auschwitz, wo er mit 21 Jahren ermordet wurde. Erna selbst erreichte mit dem tragisch berühmt gewordenen Kladovo-Transport nach eineinhalb Jahren voller Angst das rettende Palästina. Der Grossteil jener jüdischen Flüchtlinge, die gemeinsam in Bratislava gestartet waren, wurde in Serbien ermordet. Erna selbst konnte durch mehrere glückliche Fügungen weiterreisen und änderte, in Palästina angekommen, ihren deutschen Vornamen Erna auf den hebräischen Namen Esther. Von ihrer Familie traf sie einzig ihren Vater wieder. Er hatte zwar sein Leben retten können, war jedoch schwer gezeichnet vom Erlebten und den Rest seines Lebens psychisch krank. „Er hat überlebt und war trotzdem ein Opfer,“ beschrieb Esther ihren Vater, der zwar in Palästina noch jahrzehntelang lebte, allerdings nie mehr ein selbständiges Leben führen konnte. 
Neben ihrer komplizierten Überlebensgeschichte – die Flucht mit dem Kladovo-Transport führte von Bratislava über Serbien und die Türkei erst nach eineinhalb Jahren und vielen herben Rückschlägen endlich nach Palästina - nimmt das Buch die Schwierigkeiten des Weiterlebens nach dem Holocaust in den Blick, den schwierigen Aufbau einer neuen Existenz in einem fremden Land, sowie das Leben mit den schmerzvollen Erinnerungen. In einem eigenen Kapitel wird aufgezeigt, inwiefern Gedenkprojekte in Klagenfurt positiven Einfluss auf die belastete Beziehung Esthers zur ehemaligen Heimat nahmen. Dies zeigt die positiven Effekte historisch-politischer Bildungsarbeit sowie Erinnerungsarbeit auf beiden Seiten: auf Seite der Lernenden und auf Seite der (spät) erinnerten Überlebenden und Ermordeten. Den Abschluss des Buches bildet ein Kapitel zu den Grundsätzen historisch-politischer Bildungsarbeit, in dem Chancen und Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit der lokalen NS-Geschichte aufgezeigt werden. Damit wird die grosse Relevanz der Dokumentation von einzelnen Biografien verdeutlicht. Das Buch über Erna Zeichner/Esther Schuldmann dient so mehreren Absichten: Es ist bedeutsam als historische Dokumentation, als Erinnerungsprojekt Ermordeter und Überlebender des Holocausts und als Anregung für historisch-politische Bildungsarbeit. 

Nadja Danglmaier