Ein 1970er Jahre-Reihenhaus im Umland Wiens birgt einen unerwarteten Schatz. Dort, wo der Vorbesitzer ein Schwimmbad eingebaut hatte, befindet sich heute auf zwei Ebenen eine der bestbestückten privaten Judaica-Bibliotheken des Landes, und eine ausserordentliche Sammlung von Archivmaterial und Daten zu zwei sehr speziellen Themen: jüdischen Medaillen und Medizinstudenten.
DAVID: Herr Doležal, was hat Sie zu jüdischen Medaillen und Medizinstudenten geführt – wie entwickelt sich ein Sammlerleben?
Doležal: Mein Sammlerleben entwickelte sich trotz – oder gerade wegen – widriger Umstände, die mich lange Jahre beruflich weit weg von meinem Interesse an historischer Forschung führten. Fangen wir am Anfang an. Geboren im Jahr 1939, bin ich als Jugendlicher im Wiener siebten Bezirk, in der Lindengasse 1 aufgewachsen. Die Wohnung war gross, alleine das Vorzimmer hatte 44 Quadratmeter, es gab vier Zimmer und Nebenräume. Da das Haus wegen der Nähe zur Stiftskaserne während des Kriegs in gefährdetem Gebiet lag, wurde meine Familie evakuiert – nach Hustopeče (dt. Auspitz; heute Tschechische Republik) ins sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren. Als die Rote Armee auf Hustopeče vorrückte, musste mein Vater beim Volkssturm bleiben. Meine Mutter floh mit uns zwei kleinen Kindern nach Prag. Dort wurde 1945 Jagd auf Deutsche gemacht, aber Österreicher wurden nach zwei Tagen verschont, wenn sie eine entsprechende Armbinde trugen. Meine Mutter konnte mit meiner Schwester und mir im Herbst mit dem letzten möglichen Zug bestehend aus Viehwaggons Richtung Wien flüchten. Unterwegs spannten uns die Russen die Lokomotive aus, wir warteten dann zwei Wochen auf freiem Feld auf eine andere Lok. Es war Oktober, es war kalt, aber die örtliche Bevölkerung versorgte die Frauen und Kinder notdürftig mit Essen. In Wien angekommen, fanden wir unsere Wohnung leer vor. Mein Vater hatte sich in der Zwischenzeit von Hustopeče Anfang Mai 1945 nach Oberösterreich durchgeschlagen. Er war schwerer Diabetiker und verbrachte drei Tage und Nächte in einem Wald bei Linz, zum Essen hatte er nur ein Sackerl Würfelzucker. Die Amerikaner haben ihn dann sofort ins Spital gelegt. Meine ältere Halbschwester – sie war beim Arbeitsdienst – verschlug es zufällig auch nach Linz und sie kam dann mit meinem Vater zurück nach Wien, wo er im Jahr 1948 starb.
DAVID: Welche Ausbildungsmöglichkeiten hatten Sie im Wien der Nachkriegszeit?
Doležal: In der Zollergasse lag meine Volksschule. Dort, im Kellerturnsaal, befand sich die Lebensmittelkartenausgabestelle für den Bezirk: so hatten wir vier Jahre keine einzige Turnstunde. Im Gymnasium in der Kandlgasse konnte ich nur bis zur 4. Klasse bleiben. Von dieser Schule aus kam ich in den Sommerferien zweimal für je sechs Wochen in das Mittelschülerheim am Wolfgangsee. Dort wurde, für die damalige Zeit ganz ungewöhnlich, Selbständigkeit gefördert. Man durfte sich bei Ausgängen ganz frei und unabhängig bewegen. Die Schule hatte aus den eingereichten Bewerbungen Kandidaten ausgewählt, finanziell schlechter gestellte Familien wurden bevorzugt. Meine Mutter war mit uns zwei kleineren Kindern alleinerziehend. Nach dem Schulaustritt ging meine Mutter mit mir zur Berufsberatung, empfohlen wurde uns eine Ausbildung zum Bürokaufmann. In der Webgasse bekam ich eine Lehrstelle, in einer Grosstischlerei, die Radio- und Fernsehkassetten für die Firma Minerva in der Zieglergasse herstellte. Nach einigen Jahren Firmenzugehörigkeit kündigte ich und fuhr im Jahr 1961 mit einer von der ÖKISTA organisierten Studentengruppe zwecks Ferialjob nach Schweden. Ich war der einzige Nicht-Student dieser Fahrt, die eineinhalb Tage dauerte, bis wir zeitig in der Früh in Stockholm ankamen. Unrasiert und fern der Heimat fragte ich mich: Was machst Du hier eigentlich? Ilse Hofer (aus der Andreas Hofer-Verwandtschaft) aus dem Zug und ich gingen aufs Arbeitsamt. Ich wollte Leichenwäscher werden, da das angeblich sehr gut bezahlt war. Das Arbeitsamt nahm dafür aber nur Medizinstudenten auf – in jenem Jahr war Stockholm besonders von österreichischen Studenten überschwemmt. Also bekam ich einen „Frauenjob“ in der Wäscherei eines Altersheims. Während der Reisevorbereitungen hatte mir mein 24 Jahre älterer Halbbruder die Adresse von jemandem gegeben, den er in Schweden kannte. Mit diesen Freunden meines Bruders versuchte ich in Kontakt zu kommen, eine Schwedin – bei der ich auf der Suche an der Wohnungstür geläutet hatte – half mir dabei. Heraus kam, dass die Familie in ihrem Sommerhaus in den Scheren war – es war der 15. Juli. Dort gab es ein Telefon, die Mutter sprach Deutsch, ich bat um Hilfe. Allein aufgrund des telefonischen Kontakts erlaubte mir die Familie, in ihrer Stadtwohnung drei Tage zu übernachten – daraus wurden sechs Wochen bis Schulbeginn! In Österreich wäre das absolut unüblich gewesen. Die Familie hatte einen Sohn in meinem Alter, 12-jährige Zwillingsmädchen und im Alter dazwischen noch eine Tochter. Nach dem Schulbeginn bekam ich ein Personalzimmer im Altersheim. Die Studenten aus Süd- und Mitteleuropa waren zu Sommerende wieder abgereist, im Winter kamen stattdessen Finnen zum Arbeiten nach Schweden. Mitte Dezember kehrte auch ich wieder zurück in die Lindengasse.
Horst Doležal an seinem Schreibtisch.
DAVID: Erfuhren Sie denn all die Jahre gar keine Förderung Ihres Interesses an Geschichte und Kultur?
Doležal: Schon aus meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich an mein grosses Interesse für Geschichte. Im Gymnasium hatte ich leider kein gutes Verhältnis mit meinem Geschichte- und Geografielehrer, der viel Wert auf Sport legte. Ich aber war unsportlich, also mochte er mich nicht sehr. Der Englischlehrer hingegen war Kommunist, wusste meine Mutter, der mochte mich nicht wegen meines Vornamens. Dann habe ich die Lehrstelle für mich gefunden. Als ich 1961 aus Schweden zurückkehrte, begann ich im Dezember mit der Arbeitssuche in Wien. Ein Chemie-Industriebetrieb in Floridsdorf suchte Mitarbeiter, Herr Brunbauer, der heuer 100 Jahre alt wird, nahm mich damals in die Firma auf. Er wurde eine meiner drei Vaterfiguren. So begann ich am 2. Januar 1962 in der Firma, die später von einem schwedischen Konzern übernommen wurde, zu arbeiten. 1976 bekam ich als Prokurist die Leitung für Einkauf und Personal übertragen. 1990 wurde die Produktionsstätte aus Umweltgründen stillgelegt, ich wechselte per 1.10.1990 als zweiter Geschäftsführer in einen Wirtschaftsverlag. Am 1.1.2001 habe ich dann meine Pension angetreten.
DAVID: In Ihrem Erwachsenenleben haben Sie immer wieder nach Wegen gesucht, neben dem profanen Berufsalltag Ihren eigentlichen Interessen nachzugehen, Sie haben sich autodidaktisch zum Forscher herangebildet. Wie ist Ihnen das gelungen?
Doležal: Schon als junger Erwachsener, in den 1960er Jahren, begann ich damit, historische Vereine zu „sammeln“. Wo immer es mir möglich war, trat ich solchen Vereinen bei, vor allem, um Zugang zu Vorträgen und Fachzeitschriften zu erhalten. Aus ihnen habe ich sämtliche Artikel katalogisch aufgenommen: das war meine Grundlage für das Lernen von Geschichte. Unter diesen Vereinen war auch die Heraldisch-Genealogische Gesellschaft Adler. Ich war öfters dort, ich bot meine Mitarbeit an, es wurde nichts daraus – doch dann brauchte der Schatzmeister Ing. Mansfeld Unterstützung. Er zeigte mir probehalber einiges von seiner Arbeit, und als drei Wochen vergangen waren, rief er mich an, er müsse ins Spital, ich solle mir die Unterlagen für die Kassaführung abholen und seine Arbeit inzwischen weiterführen. Er starb kurz darauf, und ich wurde Schatzmeister des Adler. 1970 feierte die Gesellschaft ihr 100jähriges Bestandsjubiläum. Ich wurde in den Vereinsvorstand berufen, spasseshalber sagte ich, ich sei das „Jahrhundertgeschenk“ für den Adler, denn erstens war ich der einzige Nicht-Akademiker im Vorstand, und zweitens war ich mit 31 Jahren für dortige Verhältnisse wirklich jung. Prof. Hanns Jäger-Sunstenau, der Präsident, unterstützte mich sehr, er war damals stellvertretender Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs und ein international anerkannter Genealoge. Im Laufe der Jahre wurde ich zweiter, dann erster Vizepräsident. Nach einigen Jahren als Schatzmeister wurde ich zusätzlich Redakteur der Zeitschrift. Nach einigen Jahren fand ich dann endlich einen Nachfolger als Schatzmeister, blieb weiter Redakteur, eine Funktion, die ich 30 Jahre lang ausübte. Nach Prof. Jäger-Sunstenau folgte als Präsident Hofrat Berthold Waldstein-Wartenberg vom Staatsarchiv, ein echter Sir, nach ihm kam zu meiner Zeit noch Hofrat Georg Kugler vom Kunsthistorischen Museum. Die Gesellschaft war quasi mein „Sprungbrett“, wenn ich Kontakt zu anderen historischen Institutionen suchte. 2010 habe ich dann meine Funktion als Redakteur zurückgelegt, fünf Jahre später schied ich nach 45jähriger Zugehörigkeit aus dem Vorstand aus. Neben meiner Tätigkeit beim Adler begann ich schon sehr früh Daten und Archivmaterial über Wiener Büchsenmacher zu sammeln. 1984 kam ich nach Mödling und wollte hier etwas in Richtung Zeitschrift aufbauen. Herausgekommen ist die Kulturzeitschrift medilliha. Sie existiert seit 2009 und erscheint zweimal jährlich.
DAVID: Wie wurden denn gerade Büchsenmacher zum Objekt Ihrer Sammelleidenschaft?
Doležal: Mein historisches Grundwissen eignete ich mir, wie schon erwähnt, aus Fachliteratur, Jahrbüchern, Zeitschriften an. Zusätzlich besuchten meine Frau und ich meist zweimal wöchentlich Vorträge und viele, viele Führungen von Professor Leopold Mazakarini im Akademischen Gymnasium. Er war meine dritte Vaterfigur. Der Cousin und der Onkel meiner Frau waren beide Büchsenmacher von Beruf. Mein älterer Halbbruder und der Vater meiner Frau waren befreundet, und so kannten meine Frau und ich uns von klein auf. Ich habe sie in der Sandkiste kennengelernt, sage ich immer. Auf Grund meiner Interessen sagte der Cousin einmal zu mir, ich solle doch bei Gelegenheit ein Buch über Büchsenmacher schreiben. Also fing ich an, Bücher über Büchsenmacher zu lesen und Daten von Büchsenmachern auf Karteikarten zu exzerpieren. 4.000 Karteikarten habe ich vollgeschrieben. Damit ging ich in die Waffensammlung des Kunsthistorischen Museums.
Erni und Horst Doležal in ihrer Bibliothek.
DAVID: Wie wurden Sie im Kunsthistorischen Museum mit Ihrer Sammelarbeit aufgenommen?
Doležal: Empfangen haben mich der Sammlungsleiter Hofrat Bruno Thomas, ein sprachgewaltiger Humanist und exzellenter Musiker, und Kustos Ortwin Gamber, ein vierschrötiger Tiroler. Die beiden waren verblüfft. Sie haben mir geraten, mich zu beschränken („Sie können nicht die ganze Welt aufnehmen“): auf ein Jahrhundert, oder eine Region, oder eine Waffengattung – ich entschied mich für eine Region: Wiener Waffenerzeuger. Von den Karteikarten blieben fünfundzwanzig Karten übrig und ich fing wieder von vorne an, sammelte aber diesmal primär aus Original-Dokumenten: Innungsbeständen, Sammlungsunterlagen, Steuerbüchern, seltenen Fundstellen wie beispielsweise Uhlirz. Das Wiener Stadtarchiv wurde für mich ein Nebenarbeitsplatz. Die Karteikästen füllten sich wieder. Verstärkt wertete ich auch Quellen wie Kirchenmatriken aus. Ich kann sagen, dass einige Historiker mich mit Hinweisen und von ihnen angefertigten Abschriften unterstützten, die ich alle eingearbeitet habe. Diese Kartei steht heute schon im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Auch gingen meine Frau und ich oft zu Vorträgen und Seminaren ins Museum für Angewandte Kunst zu Dr. Waltraud Neuwirth, besonders Alt-Wiener Porzellan war das Thema. Zur Ergänzung der erhaltenen archivalischen Bestände begann ich eine Personenkartei „Beschäftigte in der Wiener Porzellanmanufaktur 1718-1864“ anzulegen. Die Manufaktur befand sich ehemals in der Porzellangasse, die Mitarbeiter wohnten überwiegend in der näheren Umgebung, also waren die Pfarren Lichtenthal und Serviten zuständig. Dazu kamen die Vorläuferpfarren Währing und das Schottenstift. Geburten-, Trauungs- und Sterbematriken sah ich alle durch, inklusive der Zeugen, und nahm jeden Hinweis auf die Porzellanmanufaktur auf. Heute befindet sich diese Kartei im Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Dort steht sie neben den Originalunterlagen der Porzellanmanufaktur. Als ich damit fertig war, wandte ich mich meinem Hauptwerk zu: dem Universitätsarchiv.
DAVID: Wonach haben Sie im Universitätsarchiv gesucht, und aus welchem Interesse heraus?
Doležal: Über Jahre habe ich jüdische Erinnerungsstücke gesammelt. Als Jugendlicher hatte ich zunächst ein Faible für das mittelalterliche Rittertum, dann dehnte sich mein Interesse aus: Warum war immer wieder die jüdische Bevölkerung Angriffsziel? Das war meine Ausgangsposition. Ich interessierte mich für Kultus und Religion und sammelte hauptsächlich Ausstellungskataloge aus Deutschland (besuchte nach Möglichkeit die Ausstellungen selbst – in Österreich war damals zu dem Thema nicht viel los), studierte Auktionskataloge von Sotheby’s und Christie’s, der Bilder und Beschreibungen wegen. In diesen Jahren entstanden tausende Fotos jüdischer Friedhöfe und Synagogen sowohl auf Geschäftsreisen wie im Urlaub, primär in Deutschland, Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn und Polen. Dies betrieb ich bis zu meiner Pensionierung, danach beschränkte ich mich auf Medaillen hauptsächlich jüdischer Ärzte. Als Hilfsmittel wollte ich mir eine Liste jüdischer Ärzte anlegen, um mich, z. B. am Flohmarkt, leichter zu tun. Auf der Fakultät für Medizin der Universität Wien suchte ich weiter. Schnell stellte ich fest, dass 1818 und in den Folgejahren das religiöse Bekenntnis oft nicht angegeben war, und genauso war es in den 1930-er Jahren, wohl aus durchaus parallelen Überlegungen wegen der politischen Situation. Ab 1997 bis 2003 erfasste ich daher sämtliche, nicht nur die jüdischen, Medizinstudenten aus den Rigorosen- und Promotionsprotokollen der Jahre 1818 bis 1938 in einer Access-Datenbank. Beide Protokollreihen deswegen, weil sich darin unterschiedliche Daten finden: Namen, Datum, Geburtsdatum, Unterschrift, Vorschule, Rigorosendaten, Namen der Eltern. Das war also in biografischer Hinsicht sehr ergiebig. So sass ich Tag und Nacht bei der Aufnahme der Daten, die auf Mikrofilmen im Universitätsarchiv zugänglich waren. Ich habe alles kopiert, teilweise fotografiert. Die Aufnahme war nicht immer einfach. So gibt es vereinzelt Bände ohne Folierung oder auch Mehrfachfolierungen in einem Band. Diese (und auch ein Teil der Dekanats-Rigorosenprotokolle) sind im Internet unter GenTeam einsehbar. Ich erhalte auch immer wieder Anfragen aus dem In- und Ausland zu meinen Rechercheergebnissen.
DAVID: Wie weit sind Sie mit Ihren Recherchen im Universitätsarchiv gekommen?
Doležal: Insgesamt wurden in den Jahren 1818 bis 1938 auf der Medizinischen Fakultät 26.000 Studenten promoviert, das ergab 52.000 Datensätze. Die habe ich mit Exzerpten aus den „Nationalen“ – einem 1862 eingeführten Formular mit den Personaldaten jedes Studenten (Name – Adresse – Eltern – Beruf des Vaters) ergänzt. Hier habe ich jedes achte Semester durchgesehen und nur die jüdischen Studenten erfasst. Dies waren weitere 18.000 Datensätze. Zurzeit arbeite ich die Dekanats-Rigorosenprotokolle auf. Der Unterschied besteht darin, dass zu Studienbeginn ein Eintrag ins Dekanatsprotokoll erfolgte, bei erfolgreichem Studienabschluss dann zusätzlich im Fakultätsprotokoll. Vieles verlief parallel mit den „Nationalen“. Ich versuche, das am Beispiel der handwerklich ausgebildeten Wund-
ärzte zu erläutern: diese sollten ebenfalls ein Diplom, aber kein Doktorat erwerben, kommen daher nur in den Dekanatsprotokollen vor. In dieser Arbeit bin ich noch mitten drin. Der Bestand des Universitätsarchivs, soweit ich ihn bisher aufgenommen und ins Netz gestellt habe, umfasst 81.000 Datensätze. Eine Kopie der kompletten Datenbank befindet sich bereits im Universitätsarchiv, nur die Einschulung der Archivmitarbeiter ist bisher an der COVID-Pandemie gescheitert.
DAVID: Ist das umfangreiche Material in Ihrer Datenbank auch im Ausland bekannt?
Nach Pensionseintritt kam ich in Kontakt mit einer medizinhistorisch arbeitenden Gruppe in Polen, in Oberschlesien, bestehend aus einem Universitätsprofessor, dem Leiter eines Staatsarchivs und dem Bibliotheksleiter der Universität Krakau. In diesem Arbeitskreis hielt ich auch Vorträge bei Symposien, die in den Tagungsberichten – oft als einziger deutscher Beitrag – publiziert wurden. In dieser Zeit arbeitete ich auch viele Tage in oberschlesischen Archiven wie Krakau, Oppeln oder Reuss. Die Mitarbeit in dieser Runde machte mir erst die Bedeutung der handwerklich ausgebildeten und innungsmässig organisierten Chirurgen und Wundärzte bewusst, denen nun seit Jahren mein Hauptaugenmerk gilt. Leider haben sich die anderen Arbeitskreismitglieder, wiewohl sie alle jünger als ich sind, mit Pensionseintritt zurückgezogen und widmen sich nur mehr ihren Familien.
DAVID: Hat Ihnen der Zugang über das Universitätsarchiv letztlich beim Sammeln jüdischer Medaillen weitergeholfen, war es eine brauchbare Methode, die Sie sich da zurechtgelegt haben?
Doležal: Ja, eine wesentliche für das Feststellen jüdischer Mediziner. Beim Sammeln jüdischer Medaillen habe ich drei Blickwinkel: Handelt es sich um eine dargestellte jüdische Person, handelt es sich um einen jüdischen „Anlass“ (Institution, religiöse Feier u.ä.), oder stammt die Medaille von einem jüdischen Künstler (nach dem Religionsbekenntnis zum Zeitpunkt seiner Geburt)? Meine bescheidene Sammlung stellt bewusst einen Querschnitt weltweit dar, unabhängig von Entstehungszeit oder Wert des Einzelstückes.
Horst Doležal beim Sichten seiner Diasammlung.
DAVID: Wie viele Datenbanken haben Sie im Laufe Ihres Forscherdaseins angelegt?
Doležal: Alles, was ich erfasse, kommt laufend in meine grosse „kunterbunte“ Datenbank, derzeit über 208.000 Datensätze, in der die einzelnen Bereiche bei Bedarf nach Abfragen sortiert werden können. Es gibt daneben keine weiteren, „kleinen“ Datenbanken. Die Schwerpunkte liegen bei Medizin und Juden. (Büchsenmacher und Porzellanmanufaktur - diese Sammlungen stehen auch als Scans auf der Homepage des Adler - waren beides noch Karteien). Nach wie vor fliesst mir so viel Material zu, dass es mein Ziel ist, alles, was möglich ist, weiter in diesem Sinne zu bearbeiten und zu erfassen. Aber ich möchte auch andere daran teilhaben lassen.
DAVID: Konnten Sie sich mit Ihrer enormen und bewunderungswürdigen Sammelleistung Ihren Traum erfüllen?
Doležal: Hätte ich die Möglichkeit einer Berufswahl gehabt, so wäre ich wahrscheinlich Archivar geworden. Aber das war nicht möglich. Schon als Kind hatte ich grosses Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen und ein gutes Gedächtnis für Jahreszahlen. Das nützte aber nichts, es gab keine Möglichkeit, einen anderen Beruf zu erlernen: bei der Berufsberatung, damals, mit meiner Mutter, wurde uns gesagt: „ins Büro“. Anderes war damals kein Thema, es war ja nicht so wie heute. Mein Interesse blieb also Privatsache, aber meinen Traum erfülle ich mir mit Verständnis und Unterstützung meiner lieben Frau in jeder Minute Freizeit.
DAVID: Herr Doležal, vielen Dank für diesen spannenden Einblick in Ihr Forscherleben! Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Ausdauer und Erfolg!
Alle Fotos: H. Doležal, mit freundlicher Genehmigung.