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Mozart war kein Antisemit Eleonora Eskeles und ein Brief Mozarts an seinen Vater Zur Geschichte der Familie Eskeles, Teil III

Tina Walzer

„Die Sau Eskules“, schreibt Mozart in seinem Brief an den Vater vom 11. September 1782 und meint damit eine Jüdin: die gefeierte, bewunderte Salonière Eleonora Flies, geb. Eskeles.1 
Jeder Autor, der in den vergangenen 80 Jahren darüber geschrieben hat, zeigt sich von der Ausdrucksweise schockiert. War Mozart ein Antisemit?

Inhalt

Eleonora Eskeles wurde am 15. April 1752 geboren, sie war fast vier Jahre älter als Wolfgang Amadeus Mozart, drei Jahre älter als Marie Antoinette, die Königin von Frankreich, und elf Jahre jünger als Joseph II., der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Als ältere Schwester des späteren Finanzgenies und grossen Wohltäters Bernhard Eskeles (1753–1839), Mitbegründer der Oesterreichischen Nationalbank und der Ersten oesterreichischen Spar-Casse, wuchs sie mit ihm nach dem Tod des Vaters 1753 zunächst in den Niederlanden, im Haushalt ihrer wiederverheirateten Mutter auf – wohlbehütet, gut gebildet und mässig liberal orientiert. In jungen Jahren verheiratete die Mutter sie nach Berlin, in den Familien-Clan des Gemeindevorstehers und Hoffaktors Daniel Itzig (1723–1799), lange bevor ihr Bruder mit Itzigs Tochter Cäcilie dort ebenfalls einheiraten sollte. Von ihrem Ehemann Moses Fliess, einem Itzig-Neffen, trennte sie sich, er konvertierte zum Christentum, im Gegensatz zu ihr. Dieses Schicksal teilte sie mit ihrer zukünftigen Schwägerin, Cäcilie Itzig (1760–1836), deren erster Ehemann (und Itzig-Cousin) Benjamin Wulff in Berlin ebenfalls Christ wurde, während sie sich entschied, Jüdin zu bleiben, und die Scheidung einreichte. Cäcilies zweiter Ehemann wurde Bernhard Eskeles, Eleonoras Bruder. Cäcilie und Eleonora waren in Berlin mit einander vertraut, wo sie in den gerade aufkommenden Salons die säkularen Seiten des Gesellschaftslebens eines für damalige Verhältnisse maximal aufgeklärten Judentums kennenlernten. Es war die Zeit Moses Mendelssohns und Gotthold Ephraim Lessings. Die beiden Damen wechselten nach Wien, weitaus konservativer als Berlin und Sitz der mit Preussen verfeindeten Habsburgermonarchie, in den strengergläubigen Familienclan der Arnsteins. Cäcilies Schwester Franziska Itzig („Fanny“, 1758–1818) hatte auf Wunsch ihres Vaters Nathan Adam Arnstein (1748–1838), den ältesten Sohn dieser Alt-Wiener jüdischen Dynastie geheiratet.

Im Arnsteinschen Haus am Graben in Wien lebten 1782 nicht nur Fanny und Nathan unter dem Dach des traditionsbewussten Ehepaares Adam Isak und Sibylle Arnsteiner, sondern auch ein umjubeltes, wiewohl ständig um Aufträge kämpfendes Genie: Wolfgang Amadeus Mozart, der zu Sommerbeginn dort seine Oper Die Entführung aus dem Serail vollendete (Uraufführung: 16.7.1782). Mehr denn je mühte sich der junge Komponist um Aufträge, denn er hatte Grosses vor: gegen den Willen seines Vaters wollte er seine geliebte Constanze heiraten, die Liebe legalisieren, der zukünftigen Schwiegerfamilie im Wort stehend. Beruflich half ein direkter Kontakt zum Herrscherhaus: der engste Vertraute unter Josephs II. Beamten, Johann Valentin Günther, war Mozart freundschaftlich zugetan über die gemeinsam besuchte Loge und legte verlässlich ein gutes Wort beim Kaiser für Mozart ein. Doch Günthers intimes Vertrauensverhältnis zum Reformherrscher war dem beharrungsorientierten Hofadel ein Dorn im Auge. Das, wovor Josef II. seine Schwester in Versailles so inständig warnte: die ersten Familien des Landes nicht vor den Kopf zu stossen durch Bevorzugung junger, ihr sympathischerer Günstlinge – genau dies tat er in Wien selbst. Der Adel rächte sich mit einer Intrige, so wie die Hofschranzen Marie Antoinette mit der Halsband-Affaire übel mitspielten und damit den Untergang des Königtums einläuteten. Als Mittel zum Zweck in der Wiener Affaire diente: eine Frau, Eleonora Eskeles. Es fragt sich in weiterer Folge, was Liberalität, aufgeklärtes Denken, verbürgerlichte Haltung anno 1782 eigentlich bedeutet haben mögen, denn ganz offensichtlich hat es wenig Sinn, der Situation heutige Massstäbe anzulegen: man wird ihr damit nicht gerecht. Valentin lebte seit Jahren in (wie wir heute sagen würden ) ausserehelicher Lebenspartnerschaft mit Eleonora Eskeles, die beiden hatten zwei Kinder gemeinsam. Seine Tage verbrachte Valentin als Kabinettssekretär in Gesellschaft des Kaisers bei Hofe, die Abende und Nächte eheartig bei seiner Partnerin. Die Beziehung des Günstlings mit einer Jüdin wurde vor Joseph II. strikt geheim gehalten, und offenbar nicht ohne Grund. Hier hakte nun die Intrige ein: Valentin wurde bezichtigt, Staatsgeheimnisse an „die Jüdin“, die noch dazu unbestritten familiäre Kontakte nach Preussen, zum Erzfeind hatte, verraten zu haben. Wegen Spionage wurden beide aus Wien verbannt, gewaltsam voneinander getrennt. Valentin wurde verheiratet.

Mozart aber war aufgebracht, denn sein Fürsprecher beim Kaiser war ihm abhanden gekommen. Und was war schuld daran: eine "Frauengeschichte", eine illegitime Affaire, etwas, was Mozart gerade mit aller ihm zu Gebote stehender Macht für sich selbst zu vermeiden gesucht hatte, nachdem er den verehrten Vater um seine Zustimmung zur geplanten Ehe mit Constanze Weber angefleht und sich schliesslich sogar über dessen Willen hinweggesetzt hatte, um diese Beziehung zu legalisieren. Die Worte, derer er sich bedient, um seinem Unmut Luft zu machen, sind die des Gesellschaftstratschs in Wien: Die Jüdin, die Sau. Verwunderlich daran ist nicht, dass Mozart sie genauso wiedergibt: verwunderlich wäre vielmehr jedes Abweichen von dem jahrhundertelang eingeübten und unhinterfragten Jargon. Zur selben Zeit hielt sich der Fürst Liechtenstein den Mohren Angelo Soliman an seinem Hofe. Er wurde geehrt, geachtet, geschätzt – doch nachdem er gestorben war, wurde er ausgestopft und, einem seltenen Tier gleich, als Museumsstück vorgeführt. Juden, Afrikaner als Menschen zu sehen – das hatte sich in der ReichsHaupt- und Residenzstadt noch nicht durchgesetzt. Zu Gesicht bekommen hat Eleonora Mozarts Brief übrigens nicht.

Wenn Mozart also Eleonora Eskeles die Schuld an seiner drohenden Existenzkrise gibt, so ist er trotz seiner Wortwahl nach heutigem, an Luegers Politik über Schönerer und Mein Kampf bis hin zur Shoah gemessenem Verständnis (wiewohl eins zum anderen führte), kein Antisemit im modernen Sinn. Er hat verinnerlicht, was Christen gelehrt wurde: Juden stehen im Abseits und unter Generalverdacht, wann immer Konflikte sich abzeichnen im Zusammenleben. Dass das Paar Eleonora – Valentin jede Anschuldigung entkräften konnte, änderte an der realpolitischen Unmöglichkeit ihrer Beziehung nichts: denn, wie Mozart seinem Vater schreibt: die Herren müssen immer recht behalten. Also wurden die beiden bestraft, ob schuldig oder nicht. Die Liebesverbindung mit einer Jüdin hatte am kaiserlichen Hof keinen Platz – dem widersprach die Staatsräson. So sehr auch das fürstliche Geschwisterpaar, der Kaiser, die Königin, mit den Ideen des Bürgertums sympathisierten – selbst Beaumarchais‘ aufmüpfige Hochzeit des Figaro (1784, Vorlage für Mozart/Da Pontes Oper 1786) wurde auf der Bühne ihres Versailler 
hideaways, des Petit Trianon, von der Königin selbst in der Rolle der Rosina dargestellt –, im wirklichen Laben war für derlei Eskapaden kein Platz.

Joseph II. verstarb am 20. Februar 1790, Mozart am 5. Dezember 1791, Eleonora Eskeles wurde von Leopold II. rehabilitiert. 1802 kehrte sie aus der Verbannung zurück nach Wien. In ihrem Salon trafen sich weiter die Künstler und Intellektuellen, darunter Johann Wolfgang von Goethe. Ihm, der Mozarts Autographen sammelte, schenkte sie noch im Juni 1812 ein Klavierstück von des Meisters eigener Hand,2 und Goethe war gerührt. Eleonora hatte es einst im Hause Arnstein vom Komponisten erhalten, als sie den gemeinsamen Haushalt teilten, in trauter Einigkeit mit Fanny, Cäcilie und Valentin, im Jahr 1782, zur Fertigstellung der Entführung, zwei Monate vor der eigenen Verbannung – und Mozarts Hochzeit im Stephansdom (am 4.8.1782). Mozart kam zu seiner Constanze, doch Valentin sollte seine Eleonora nie wiedersehen. Eleonora Eskeles starb am 20. August 1812, und es war Goethe, der ihren Nachruf verfasste. Am jüdischen Friedhof Währing wurde sie bestattet, im Familien-Cluster der Arnstein-Eskeles. Ihr Grabstein, zerbrochen und halb versunken, trägt den stolzen Namenszug Eleonora Flies geborene Eskeles, und hebräische Verszeilen loben ihre Verdienste, ihre Fürsorglichkeit. Sie durfte sich scheiden lassen, gelehrt sein, Salondame – doch durch ihr Zusammenleben, als Jüdin, mit einem Günstling des Hofes war eine Grenze überschritten. Die Autorität der Kirche, des Herrschers, des „Vaters“ im absolutistischen Staat ihrer Zeit war unwidersprochen. Juden wurden nur toleriert wegen ihrer Nützlichkeit. Sarastros Mensch Sein war auf Weisse und Christen beschränkt, von Lessings Ringparabel entdecken wir keine Spur.

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Grabstein von Eleonora Flies geb. Eskeles am jüdischen Friedhof Währing, Gr. 4 Reihe 2 Nr. 50. Foto: T. Walzer 2012, mit freundlicher Genehmigung.

Anmerkungen
1 Wolfgang Amadé Mozart, Wien an Leopold Mozart, Salzburg, Brief, 11.9.1782, Bauer/Deutsch No. 691 (Bd. 3, S. 227f). Quelle: Salzburg (AT), Internationale Stiftung Mozarteum, Bibliotheca Mozartiana, Mozart Briefe und Dokumente – Online-Edition, Link: http://dme.mozarteum.at/DME/briefe/letter.php?mid=1258&cat=
2 Wolfgang Amadeus Mozart: Fragment c-Moll für Klavier und Violine aus Goethes Sammlung, 1782; Goethe-und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar; online: https://100schaetze.klassik-stiftung.de/objekt/wolfgang-amadeus-mozart-1756-1791-fragment-c-moll-fuer-klavier-und-violine-kv-396-385f-1782/

Nachlese
Stefan Zweig, Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters (1931)
Antal Szerb, Das Halsband der Königin (1943)
Alexandre Dumas, Das Halsband der Königin (1846-55)
Hilde Spiel, Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation. Ein Frauenleben an der Zeitwende, 1758-1818. Frankfurt: Fischer 1962.