Wie sich die musikalische Entwicklung, über Wien hinauswachsend, von der Operette zur Filmmusik spannt,
spiegeln die mit einander verwobenen Musikerbiografien auf eindrücklichste Weise.
Gustav Mahler (7.7.1860 Kalischt, Böhmen–18.5.1911 Wien), dessen Todestag sich heuer zum 110. Mal jährt, war bereits in den frühen Jahren seiner Karriere als Dirigent berühmt, aber auch bekämpft. Als Künstler in einer Umbruchszeit um 1900, an der Wende zur Moderne, wurde er zu einem der wichtigsten Trendsetter und gab den nachfolgenden Künstlergenerationen wegweisende Impulse, vor allem den Musikern, wirkte aber auch prägend auf Schriftsteller und selbst bis in die Malerei. Mit Arnold Schönberg, Alban Berg und Alexander Zemlinsky verbanden ihn enge Freundschaften; es folgten noch viele andere, vor allem jüngere Künstler, aber auch eine für Neuerungen und Zeittrends aufgeschlossene Zuhörerschaft. Wiewohl von einem traditionell gesinnten Konzertpublikum oft missverstanden und in der Öffentlichkeit obsessiv karikiert, wurde Mahler von zeitgenössischen Künstlern und jüngerem Publikum gleichermassen verehrt.
Seine Karriere begann Mahler als Zwanzigjähriger in Bad Hall 1880, es folgten Engagements in Laibach 1881/82, Olmütz 1883, Kassel 1883 bis 1885, Prag 1885/86, Leipzig 1886 bis 1888, Budapest 1888 bis 1891, und schliesslich ab 1891 für sechs Jahre in Hamburg. Dann gelang endlich der grosse Sprung: 1897 wurde Mahler Erster Kapellmeister und Direktor
der k. k. Hofoper in Wien. Neben Triumphen am Dirigentenpult rückte sein eigenes Schaffen als Komponist in jenen entscheidenden Jahren zunehmend in den Vordergrund, Anfeindungen kamen hinzu, und 1907 wurde Mahlers Vertrag in Wien beendet. Er wechselte als Dirigent an die Metropolitan Opera New York und bekam schliesslich in seinen letzten Lebensjahren 1909-1911 sein „eigenes“ Orchester, die späteren New Yorker Philharmoniker. In New York begeistert aufgenommen als Dirigent und Komponist, erkrankte Mahler im Februar 1911 schwer an einer bakteriellen Entzündung des Herzens und starb wenige Monate darauf im Wiener Sanatorium Löw. Sein Grabmal, entworfen von Josef Hoffmann, findet sich auf dem Friedhof Grinzing.
Alexander Zemlinsky
Heuer jährt sich auch der 150. Geburtstag von Alexander Zemlinsky (14.10.1871 Wien–15.3.1942 Larchmont, New York). Der Maestro hatte den nur zehn Jahre jüngeren Komponisten und Pianisten im entscheidenden Moment seiner Karriere energisch gefördert; so wurde Zemlinskys Oper Es war einmal… im Jahr 1900 an der Wiener k. k.Hofoper durch Gustav Mahler uraufgeführt. Es war ein grosser Erfolg. Um diese Zeit hatte der junge Komponist zu seiner eigenen musikalischen Formensprache gefunden. Noch im selben Jahr wurde er Chefdirigent am Carl-Theater, 1903 wechselte er ans Theater an der Wien, als Musikdirektor 1904 ans Kaiser-Jubiläums-Stadttheater (die heutige Volksoper) und 1907 schliesslich auf Vermittlung Mahlers an die k. k. Hofoper Wien. Nach Mahlers Abgang folgte der Posten eines ersten Kapellmeisters zurück an der Volksoper, bis Zemlinsky den nächsten entscheidenden Schritt seiner Karriere antrat: den Wechsel ans Neue Deutsche Theater in Prag (heute Statní opera Praha). Als Musikdirektor war Zemlinsky dort ungeheuer erfolgreich, er wurde in Prag sehr verehrt und konnte selbst über die schwierigen Jahre des Ersten Weltkriegs bis weit in die Nachkriegszeit seine Position wahren.
1927 wechselte Zemlinsky für vier Jahre als erster Kapellmeister an die auf experimentelle Musik spezialisierte Krolloper Berlin. Als ein weiterer Aufenthalt in der Stadt 1933 wegen aggressiv-antisemitischer Anfeindungen unmöglich wurde, folgte die Übersiedlung zurück nach Wien. 1934 bezogen Alexander und Louise Zemlinsky ein für sie neu errichtetes Haus in der Grinzinger Kaasgrabengasse (Architekt: Walter Loos), in unmittelbarer Nachbarschaft zu Josef Hofmanns Villenkolonie, bewohnt von Mahlers Biograf Egon Wellesz und dem Konzerthaus-Direktor und alten Schulfreund Hugo Botstiber. 1938 wurden die Zemlinskys enteignet und verloren ihr Heim. Nach der Scheinlegalisierung der Beraubung („Reichsfluchtsteuer“) gelang am 15. September 1938 die Flucht nach New York. Dort erlitt der traumatisierte Künstler als Reaktion auf die Verfolgung einen Nervenzusammenbruch; aus der Arbeitsunfähigkeit resultierten Verarmung und noch ein Schlaganfall. Nunmehr gelähmt war Zemlinsky zu einem Pflegefall geworden, er verstarb schliesslich bald darauf an einer Lungenentzündung. Erst 1985 wurde seine Asche nach Wien überführt und ruht seither in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof.
Gustav Mahler im Foyer der k. k. Hofoper in Wien, 1907. Foto: Moritz Nähr. Quelle: Bibliothèque nationale de France, Wikimedia commons, gemeinfrei, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3e/Mahler%2C_Gustav%2C_by_Moritz_Nähr%2C_BNF_Gallica.jpg?uselang=de
Max Steiner
In der dritten Musikergeneration der Familie Steiner führten die populärsten Entwicklungen der vergangenen einhundert Jahre zusammen. Max Steiner, geboren am 10.5.1888 in Wien im Hotel Nordbahn, Praterstrasse 72 und gestorben vor fünfzig Jahren am 28.12.1971 in Beverly Hills, Kalifornien (ein „Wunderkind“, er hatte seine erste Operette mit 12 Jahren komponiert), wird in den U.S.A. als „Vater der Filmmusik“ verehrt – ein Titel, der Erich Wolfgang Korngold mindestens ebenso gälte. Steiner wirkte zunächst wie seine Lehrer Mahler und Zemlinsky als Dirigent, daneben komponierte er, ganz in der Familientradition stehend, Theater- und Filmmusik. Zu seinem Glück übersiedelte er bereits 1929 nach Hollywood und stattete die berühmtesten Filme seiner Zeit mit eigenen Filmmusik-Kompositionen aus: King Kong (dt. King Kong und die weisse Frau) 1933, Gone with the Wind (dt. Vom Winde verweht) 1939, sowie Casablanca 1942.
Max Steiner war von Gustav Mahler und vor allem auch von seinem Taufpaten Richard Strauss ausgebildet worden. Bereits ab 1904 wirkte er in London als Dirigent und Arrangeur, ab 1914 dann in den U.S.A., und trat vor allem mit Arbeiten für Theater am Broadway hervor, unter anderem mit George Gershwin. Ab 1929, am Beginn der Tonfilm-Ära, wechselte er nach Hollywood und war seit 1937 bei Warner Brothers unter Vertrag. 1953 begründete er dann noch einen eigenen, erfolgreichen Musikverlag. Drei Oscars für die beste Filmmusik errang Steiner: für The Informer (dt. Der Verräter) 1935, Now, Voyager (dt. Reise aus der Vergangenheit) 1942, und Since You Went Away (dt. Als Du Abschied nahmst) 1944, und einen Golden Globe für Life With Father (dt. Unser Leben mit Vater) 1948.
Richard Gerstl: Gruppenbildnis mit Schönberg. Arnold Schönberg, Mathilde Zemlinsky, Alexander von Zemlinsky, 1907. Sammlung Kunsthaus Zug. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Richard_Gerstl-_Gruppenbildnis_mit_Schönberg,_1907.jpg?uselang=de
Schon Max Steiners namensgebender Grossvater Maximilian Steiner (27.8.1830 Buda, Ungarn – 29.5.1880 Baden bei Wien) hatte zu den Grössen des Kulturbetriebs gehört. Er war befreundet mit Johann Strauss Sohn und 1869-1880 Direktor des Theaters an der Wien. Dort begründeten Steiner und Strauss mit der Uraufführung der Fledermaus 1874 die Goldene Ära der Operette. Der in Wien überaus beliebte Impresario wurde nach Erkrankung und frühem Tod von seinen beiden Söhnen Franz und Gábor Steiner an der Spitze des Theaters an der Wien sehr erfolgreich vertreten. Gábor Steiner (28.5.1858 Temesvár – 9.9.1944 Beverly Hills), der Vater von Max Steiner, wurde künstlerischer Leiter des Carl-Theaters, bevor er die Bühne in der Wiener Rotunde übernahm und schliesslich die „Kaiserwiese“ im Prater pachtete, um dort einen Vergnügungspark nach englischem Vorbild zu eröffnen: Venedig in Wien (1895, Architekt: Oskar Marmorek). Noch bevor dessen Erfolg nachzulassen begann, setzte er sich für die Errichtung des Riesenrads ein. Geplant von englischen Ingenieuren, konnte die modische Attraktion 1897 anlässlich des 50. Thronjubiläums Kaiser Franz Josephs I. errichtet werden. Ab 1909 war Steiner Leiter des Etablissements Ronacher, 1913-21 ging er nach London, in die Schweiz und nach New York. Als er 1921 nach Wien zurückkehrte, konnte er bereits von seinem mittlerweile sehr erfolgreichen Sohn Max finanziell unterstützt werden. Gábor Steiners Flucht aus Wien glückte am 7. September 1938, nur wenige Tage vor jener der Zemlinskys. Hochbetagt schaffte er es, bis zu seinem Sohn in die U.S.A. zu gelangen und verstarb 1944. In Glendale, Kalifornien, fand er seine letzte Ruhe.
Vom Winde verweht, 1939, Filmposter. Foto: Armando Seguso, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Poster_-_Gone_With_the_Wind_01.jpg?uselang=de