Ausgabe

Der jüdische Friedhof im mährischen IvanČice (dt. Eibenschütz, Tschechische Republik) Die Verwalterin erzählt

Věra Jelínková

Ivančice, am Zusammenfluss dreier Flüsse gelegen, ist der Herkunftsort berühmter Familien wie jener des 
Musikwissenschaftlers Guido Adler und des Musikers Friedrich Gulda.

Inhalt

1212 gegründet, lag Ivančice im 13. Jahrhundert an einem Handelsweg, entstanden aus einem wichtigen Saumpfad, dem Libická-Steig. Es ist anzunehmen, dass danach auch jüdische Kaufleute in die Stadt kamen. Erhaltene schriftliche Zeugnisse reichen jedenfalls bis ins 15. Jahrhundert zurück, als 1490 fünf Israeliten aus Ivančice mit dem obersten Landesgerichtsmeister Vilém von Pernštejn1 einen Schutzvertrag für die mährischen Juden unterzeichneten.

Juden siedelten im nördlichen Teil des von der Stadtmauer geschützten Stadtkerns. Im Laufe der Zeit wurde diese Siedlung zu einer der wichtigsten jüdischen Gemeinden Mährens. Die Einwohner lebten hauptsächlich von Handel und Handwerk, darunter vor allem Schneiderei, Leder- und Weinverarbeitung. Im 18. Jahrhundert existierten 144 tolerierte Familien im Ghetto. Ihre maximale Grösse erreichte die jüdische Gemeinde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sie mit fast 900 Personen ein Viertel der Stadtbevölkerung ausmachte. Erst nachdem Juden auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie 1867 die vollen bürgerlichen Rechte zuerkannt wurden, und lang nach dem Revolutionsjahr 1848,  fand eine grosse Veränderung statt. In den mährischen Landgemeinden begannen die jüdischen Bevölkerungszahlen zu sinken, weil man nun in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Brünn und Wien ziehen konnte. In den Jahren 1850 bis 1919 gab es neben der jüdischen Religionsgemeinschaft auch eine eigenständige politische jüdische Gemeinde. Ihr letzter Bürgermeister war Samuel Jellinek, der Onkel meines Vaters. Nach der Gründung der Tschechoslowakei verschwand die politische jüdische Gemeinde. Nur die Religionsgemeinschaft setzte ihre Aktivitäten fort.

Die schwierige Zeit für Juden kam unter dem Hitler-Regime. 1938 hatte die örtliche jüdische Gemeinde im Gebäude der aufgelösten Gerberei ein Sammellager für Flüchtlinge aus den umliegenden, bereits besetzten Staaten eingerichtet. 1939, nach der Besetzung der Tschechoslowakischen Republik durch NS-Deutschland, wurde dieses Lager in ein Internierungslager umgewandelt. Bis 1942 gingen 800 Menschen aus Österreich, Ungarn, der Slowakei und Galizien durch dieses Lager. 1942, im März und April, wurden nach und nach Ivančicer Juden und andere Bürger der Stadt aus diesem Lager über Brünn ins Lager Theresienstadt (tschech. Terezín) verbracht. Von dort folgten in kurzer Zeit weitere Transporte in die Vernichtungslager im Osten. 1942 hörte die jüdische Gemeinde in Ivančice auf zu existieren. Die Besatzungszeit überlebten achtzehn Juden in Ivančice, hauptsächlich Soldaten ausländischer Armeen sowie Menschen aus sogenannten Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es Bemühungen, die religiöse Gemeinschaft in Ivančice wiederherzustellen, dies gelang allerdings nicht.

Die Familie Jellinek
Nun etwas über mich und unsere Familie: Die Familie Jellinek lebt seit dem 18. Jahrhundert in Ivančice und noch immer im selben Haus, heute ein Kulturdenkmal. Meinen Grossvater Heřman und meine Grossmutter Zion habe ich nicht kennengelernt, denn ihr Leben endete 1942 in Treblinka, wohin sie aus Theresienstadt mit dem Transport Bv 15.10.1942 verschickt worden waren. Mein Vater Walter war Elektrotechniker und wurde auf den Transport As 30.4.1942 geschickt, nach Zamość (Polen; 1939-1944 auf dem Gebiet des von NS-Deutschland eingerichteten Generalgouvernements). Er arbeitete auch in einer Elektrowerkstatt im polnischen Dorf Żurawica nördlich der Stadt Przemyśl. Als er 1944 auf einen anderen Transport eingeteilt wurde, konnte er mithilfe von Polen aus dem Lager entkommen. Er wechselte über die Front und meldete sich bei der Tschechoslowakischen Auslandsarmee (sogenannte Svoboda-Armee, angeführt von General Ludvík Svoboda, 1895 – 1979). Mit dieser Widerstandsarmee nahm er teil an den Kämpfen um Dukla (Slowakei), überlebte den Krieg und kehrte nach dem Ausscheiden aus der Armee nach Ivančice zurück. Danach arbeitete er wieder als Elektrotechniker. Meine Mutter lernte er nach dem Krieg in Prag kennen.

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Walter Jellinek als Elektro-Arbeiter in Żurawica, 1944.

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Geburts- und Wohnhaus der Familie Jellinek, ehemaliges jüdisches Viertel im Zentrum der mährischen Stadt Ivančice.
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Der Orden Ritter der Denkmalpflege der Region Südmähren.
 

Die Verwaltung des Friedhofs
Mein Name ist Věra und ich habe keine Geschwister. Nach Beendigung der Bibliothekars-Fachschule arbeitete ich in der Mährischen Landesbibliothek in Brünn und studierte das gleiche Fach an der Hochschule in Bratislava. Während meiner Arbeit habe ich mich oft mit den Mitarbeitern des Denkmalamts in Brünn getroffen. Meine Erfahrungen aus der Bibliothek und aus unserem Haus führten mich zur Arbeit in der Denkmalkommission in Ivančice und auf den dortigen jüdischen Friedhof. Seit 2008 bin ich Verwalterin des Kulturdenkmals jüdischer Friedhof Ivančice. Der jüdische Friedhof in Ivančice ist wahrscheinlich der drittälteste des Landes und nimmt eine Fläche von 12.500 Quadratmetern ein. Die ältesten Monumente sind zwei noch lesbare Stelen aus dem Jahr 1580. Auf dem Friedhof habe ich 1.800 steinerne Grabmonumente ​​dokumentiert. 

Neben der gesamten Verwaltung organisiere ich zusammen mit der Jüdischen Gemeinde Brünn, der Eigentümerin des Grundstücks, die notwendigen Reparaturen auf dem Friedhof. Nach und nach wurde die Umfassungsmauer repariert sowie die Aufbahrungshalle rekonstruiert, in der auf Tafeln drei Ausstellungen installiert wurden (Dokumentation der Wiederherstellungsarbeiten, präsentiert nach den einzelnen Handwerken, Jüdische Bestattungsriten und Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Ivančice). 

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Die renovierte Aufbahrungshalle am jüdischen Friedhof von Ivančice mit der Ausstellung von Frau Jelínková.
 

Umgefallene Grabsteine ​​wurden restauriert, Schmiede reparierten das Eingangstor und die Pforte und arbeiten nach und nach daran, dekorative Einfassungen an Gräbern wieder Instand zu setzen. Ein Gärtner hat beschädigte Bäume gefällt und Neupflanzungen vorgenommen. Ich mähe das Gras auf dem Friedhof und jäte Unkraut, begleite aber auch zahlreiche Besucher. Während meiner Amtszeit als Verwalterin habe ich alle Grabsteine ​​fotografiert und die lesbaren Inschriften abgeschrieben, damit man nach den Toten suchen kann. Dafür erhielt ich ein Stipendium von der Region Südmähren. Die Dokumentation ist über die Website der Jüdischen Gemeinde in Brünn zugänglich (https://cemeteries.zob.cz). Die Seite wird auch im Ausland zur Suche nach Familiennamen genutzt. Neben meiner Verwaltungsarbeit popularisiere ich auch jüdische Denkmäler in der Denkmalkommission. Hier haben wir die Broschüren Jüdisches Viertel in Ivančice und Symbolik auf Grabsteinen vorbereitet und veröffentlicht, die wir an die Besucher verteilen. Für meine Arbeit in der Friedhofspflege verlieh mir die Region Südmähren im Jahr 2017 den Titel Ritter der Denkmalpflege.

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Die renovierte Aufbahrungshalle am jüdischen Friedhof von Ivančice mit der Ausstellung von Frau Jelínková.
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Restaurierte schmiedeeiserne Grabeinfassungsgitter der Grabstellen Hugo und Noe Brauner.

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Die Broschüre über Grabsymbole am jüdischen Friedhof Ivančice.
 

1 Wilhelm II. von Pernstein/Bernstein (1438–1521), 1474–1487 Oberstlandkämmerer von Mähren, 1483–1490 Oberstlandmarschalls, 1490–1514 Obersthofmeister von Böhmen; Anm. d. Red.

Alle Fotos: Mit freundlicher Genehmigung V. Jelínková.