Erich Fried flüchtete im August 1938 nach London. Vom German Jewish Refugee Committee nach seinen Berufsvorstellungen befragt, meinte er zur Verblüffung aller: er wolle ein deutscher Dichter werden. Ja, ein deutscher Dichter. Das Komitee: „Junger Mann, Sie sind 17 Jahre alt. Je früher Sie sich diese Wahnvorstellung aus dem Kopf schlagen, desto besser wird es für Sie sein“.
War es Frieds rührende Naivität oder doch schon seine Lust an der Provokation? Er sollte tatsächlich einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts werden, vielleicht der bedeutendste, der ausserhalb der deutschsprachigen Welt lebte. Wiewohl er makelloses Englisch schrieb, hielt er an der deutschen Sprache fest, so wie die ebenfalls fern der deutschsprachigen Welt lebenden Paul Celan, Elias Canetti, Peter Weiss oder Nelly Sachs. Sie blieben in ihren Fluchtländern und blieben beim Deutschen.
Fried hat das 1958 so erklärt: „Ich hatte das Glück, in eine Zivilisation verschlagen zu werden, die den Fremden kaum heimisch werden lässt. So blieb mir meine Sprache erhalten, bereichert und zugleich bedroht und fruchtbar in Frage gestellt durch die Möglichkeit des Abstandes von Gebrauch und Missbrauch des Alltags…"
Inmitten dieser fremden Welt experimentiert er mit Lautähnlichkeiten und Lautübereinstimmungen, nimmt das Wort beim Wort, und jede Redewendung wendet er hin und her. Die deutschsprachige Öffentlichkeit nimmt ihn anfangs nicht wahr. Die Situation ändert sich schlagartig, als er beginnt, Politik und mitunter auch Tagespolitik in seine Verse einfliessen zu lassen, ja, sie darauf aufbaut. Sein Gedichtband und Vietnam und wird zum Bestseller und Fried beginnt mit Lesereisen durch die Bundesrepublik, wo er sich eine treue Fangemeinde aufbauen kann. Seine Gedichte
kommen sogar in Schullesebücher, werden allerdings auf Ministergeheiss ob ihrer kritischen Haltung wieder entfernt. Das konnte die Popularität nur steigern. Den breiten Durchbruch schaffte Fried nicht mit dieser politischen, missionarischen Lyrik, sondern mit seinen privaten, elegischen Versen, seiner Liebeslyrik. Diese hat den Dichter auch überlebt. Seine politische Lyrik tritt in den Hintergrund, sein politisches Wirken hingegen wird man nicht vergessen: so besuchte er – bereits schwer krank – den Neonazi Michael Kühnen im Gefängnis. War es Nächstenliebe, Feindesliebe?
Fried erzählt in seinen Erinnerungen Mitunter sogar Lachen von Bernhard Taglicht, dem Neffen des Wiener Oberrabbiners. Er galt als Freigeist, war mit Karl Kraus befreundet und der Sozialdemokratie nahe stehend. Ökonomisch abgesichert spendete er sein Gehalt als Religionsprofessor an der Wiener Schwarzwaldschule Bedürftigen ohne Ansehen ihrer Gesinnung. So unterstützte er bis zum Anschluss die Familie eines Nazis, der nach dem Juliputsch nach Deutschland geflohen war und 1938 dekoriert nach Wien zurückkam. Bernhard Taglicht selbst wurde nach den Novemberpogromen inhaftiert und stand – wie es der Zufall wollte – bei der Selektion jener nach Dachau zu Deportierenden genau vor dem Mann. Dieser rettete Bernhard Taglicht das Leben, der in die U.S.A. flüchtete. Für Fried war diese Geschichte prägend.
Erich Frieds Geburtshaus in Wien 9, Alserbachstrasse 11. Foto: St. Templ, mit freundlicher Genehmigung.