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Söldner für den „Anschluss“

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Hans Schafranek: Söldner für den „Anschluss". Die österreichische Legion 1933-1938.
Wien: Czernin-Verlag 2010,

496 Seiten, Euro 29,90
ISBN: 978-3-7076-0331-6

Wer sich mit dem Themenkomplex „Drittes Reich und Emigration" befasst, denkt wohl automatisch an den politischen und kulturellen Aderlass, den die deutsche Gesellschaft durch die Flucht und Vertreibung von Juden und politisch Verfolgten in der NS-Ära erlitt.

Fast unerforscht blieb bisher jedoch die Tatsache, dass das Dritte Reich in den Jahren 1933 bis 1938 auch Zigtausende politische Emigranten und Wirtschaftsflüchtlinge aufnahm, die Österreich während der Dollfuss- bzw. Schuschnigg-Diktatur verliessen, um der „Segnungen" des Dritten Reiches teilhaftig zu werden. Den „harten Kern" bildeten 15.000 SA-Angehörige, die nach dem Verbot der NSDAP und ihrer Gliederungen (Juni 1933) ins benachbarte Bayern flüchteten und hier - unter dem Kommando des österreichischen SA-Obergruppenführers Hermann Reschny - in so genannten „Hilfswerk-lagern" der SA militärisch gedrillt wurden, um im Falle eines Einmarsches sofort eingesetzt werden zu können.

Der Wiener Historiker Hans Schafranek hat in 12 deutschen und österreichischen Archiven Tausende Dokumente bearbeitet und eine umfangreiche Studie erstellt, die ein sehr differenziertes Bild dieser „Söldner für den Anschluss" zeichnet. Er hat - mit der Erfassung und Auswertung von fast 150.000 biografischen Eckdaten zu 14.945 Legions-Angehörigen - die bisher grösste Datenbank zur Geschichte des österreichischen Nationalsozialismus geschaffen (gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea Hurton) und damit den Grundstein für weitere, vor allem regionalgeschichtlich relevante Forschungen gelegt, da die regionale Herkunft dieser SA-Aktivisten und die Verankerung der illegalen NS-Bewegung in den 112 untersuchten politischen Bezirken, die Österreich damals umfasste, enorme Unterschiede aufwies. Der altersmässige Anteil war unter den 1910 bis 1914 Geborenen am stärksten, und Schafranek hat errechnet, dass aus dem Bezirk Wolfsberg (Kärnten) aus dieser Altersgruppe 11 (!) Prozent der männlichen Bevölkerung nach Deutschland flüchteten und Aufnahme in der Österreichischen Legion fanden. Am Ende dieses NS-„Rankings" rangierten relativ (d.h. im Verhältnis zur Einwohnerzahl) die Bezirke Gänserndorf, Wien XI und Oberpullendorf.

Einen zweiten grossen Schwerpunkt bilden die komplexe Organisationsgeschichte der Legion, ihre Binnenstrukturen und die Einbettung in das Machtgefüge des Dritten Reiches, bewegte sich diese Formation - quasi als „Staat im Staat" - doch jahrelang im Spannungsfeld rivalisierender Parteiinstanzen, staatlicher Behörden und aussenpolitischer Konflikte. Die Legionäre rechneten mit einer „kurzen Perspektive", d.h. einer baldigen Invasion Österreichs, und der Tiroler SA-Standartenführer Hans Glück feuerte sie (nach dem Zeugnis eines desertierten Legionärs) im Sommer 1933 mit blutrünstigen Reden an: „'Burschen´, so sagte er einmal zu uns, ‚wir gehen nun bald nach Österreich; dort müsst Ihr Eure Pflicht tun: es wird dann ein Befehl kommen, worin steht, dass Ihr 48 oder 72 Stunden vom Dienste befreit seid, und das bedeutet dann: Aufräumen unter jenen, die uns bekämpfen, ohne Gnade alle aufhängen oder umlegen!' Darunter wurden besonders Minister, höhere Beamte und Juden verstanden. Die meisten Legionäre waren zufrieden mit solchen Zusprachen, sie lebten in einem Wahn und einem Blutrausch. Die Ausbildungsmethoden wurden immer radikaler, und man merkte, wie die Menschen verrohten."  Dass dieser Einsatz der Legion nicht stattfand, führte zu starken Zersetzungserscheinungen und Meutereien in verschiedenen „Hilfswerklagern", vor allem nach dem gescheiterten NS-Putsch am 25.Juli 1934. Die aufgestauten Aggressionen entluden sich nicht nur lagerintern, sondern auch nach aussen. Schafranek dokumentiert etwa zahlreiche Fälle gewalttätiger Übergriffe gegen die Einwohner umliegender Dörfer und Kleinstädte in Bayern.

Einen breiten Raum nimmt in Schafraneks Untersuchung auch die detaillierte Darstellung zahlreicher Grenzkonflikte (Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg) ein, die 1933/34 auf das Konto von Legionären gingen. Durch die Schaffung eines legionseigenen „Grenzüberwachungsdienstes" wurde hier gewissermassen der Bock zum Gärtner gemacht, denn die Angehörigen dieser Formation leisteten dem NS-Propagandaschmuggel nach  Österreich bzw. der Flucht österreichischer NS-Aktivisten häufig Vorschub.

Erst mit der Verlegung der zum so genannten „Hilfswerk Nordwest" umgebildeten Österreichischen Legion ins Rheinland und nach Norddeutschland (1935/36) wurde dieser Gefahrenfaktor - bis dahin zentrales Element der überaus gespannten Beziehungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich - erheblich reduziert, wenn auch nie zur Gänze ausgeschaltet.

Beim „Anschluss" gingen die Legionäre - von Ausnahmen abgesehen - zunächst im wesentlichen leer aus. Als sie, nach starken Widerständen aller massgeblichen Parteiinstanzen und der SS, drei Wochen nach der Wehrmacht aufgrund einer Intervention Reschnys bei Hitler doch geschlossen in ihre Heimat zurückkehren konnten, waren die politischen Pfründe zumeist schon vergeben. Umso brutaler und hemmungsloser bereicherten sie sich bei den „Arisierungen", und in der dafür zuständigen „Vermögensverkehrsstelle" hatten sie eine Lobby, die beim Raubzug gegen die Wiener Juden vielen Legions-Angehörigen behilflich war. In acht längeren biografischen Beiträgen bietet Schafranek tiefe atmosphärische Einblicke in Legionärs-Milieus. Einer davon war der Kellner Max Katowsky, der  1938 das Café „Altes Stadttheater" arisierte und sich um den Blutorden bewarb. Ein benachbartes, noch nicht geschlossenes bzw. „arisiertes" Café war ihm ein Dorn im Auge, und der NSDAP-Ortsgruppenleiter intervenierte für ihn: „Nun geht es in das Gehirn dieses alten SA-Mannes, der eben immer bereit war, sein Leben einzusetzen und dies auch bewiesen hat, nicht hinein, dass er zum Beispiel im Juli und August 1939 nicht in das Judenkaffee gehen durfte und dort kurzer Hand die Juden abschiessen oder erschlagen. Die Folge davon, dass er natürlich (!) unzufrieden ist, da ihm dies auch der Polizeipräsident nicht bewilligen konnte".

Den Schlussteil von Schafraneks spannendem und gut lesbarem Buch bilden 135 Kurzbiografien zum Führungskorps der Österreichischen Legion (Ränge vom SA-Sturmbannführer aufwärts), die damit auch ein wichtiges und erstmaliges „Who is who" der österreichischen SA darstellen.