Ausgabe

ASCHKENAS Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden

Content

Hans Otto Horch, Robert Jütte Markus J. Wenninger (Hg.), Band 18/19  Heft 1, 2008/09, 241 Seiten, Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/NewYork, ISSN 1016-4987,  EURO 66,00.

Unverändert nach dem vor einigen Jahren erfolgten Wechsel des betreuenden Verlages erscheint das Periodikum in Form von zwei Heften pro Jahr, wobei häufig für ein Heft ein Themenschwerpunkt gesetzt wird. Dieser lautet für dieses Heft  (Deutsch-)jüdische Geschichte von innen

Andreas Brämer umreisst einleitend mit Was ist ‚deutsch-jüdische Geschichte von innen'? das Thema. Seine Einführung skizziert den aktuellen Stand der fast nicht mehr überschaubaren Literatur. Einer seit vielen Jahren praktizierten Beschäftigung mit jüdischer Geschichte hauptsächlich vom Blickwinkel der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft aus tritt in jüngerer Zeit die Forschungsrichtung zur Seite, die sich der Darstellung des innerjüdischen Standpunktes widmet. Die Grenzen sind fliessend, die gegenseitige Befruchtung evident. Die Mehrzahl der nachfolgenden Aufsätze sind Beiträge der im Oktober 2007 in Hamburg gehaltenen Konferenz „Jewish History from Within".  

Der erste Beitrag von Nils Roemer, German Jewsh Reading Cultures, 1815-1933 widmet sich der Frage nach dem Leseverhalten deutscher Juden in der genannten Zeitspanne. Jüdische Leihbibliotheken bieten schon ab der Mitte des 19. Jhdts. zunehmend Literatur zum Thema Judentum an. Solcherart steht ein allen zugänglichen Bildungsangebot zur Verfügung.

Es folgt Moshe Zimmermann, Zukunftserwartungen der deutsch-jüdischen Gesellschaft im langen 19. Jahrhundert. „Es gibt ... keinen besseren Ansatz, um das Selbstverständnis vergangener Gesellschaften zu erschliessen, als deren Zukunftsvorstellungen und Erwartungen zu erschliessen...". Von diesem Gedanken ausgehend behandelt er exemplarisch bevorzugt Jahresrückblicke in Zeitungen und Zeitschriften zu Themen wie Zionismus, Antisemitismus oder Bewahrung des Judentums.

Jacob Borut behandelt in The 1890's as a Turning Point in German Jewish History das Enstehen vieler jüdischer Vereine, die sich verschiedenen sozialen, politischen und kulturellen Aufgaben widmen, was er als Reaktion der gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die sich verstärkt bemerkbar machenden "Dissimilation" interpretiert und solcherart als Spiegelbild des gesellschaftlichen Wandels sieht.

David Rechter, Nationalism at the Edge: The Jüdische Volksrat of Habsburg Bukovina untersucht den im Jahre 1911 ins Leben gerufenen "Jüdischen Volksrat" in der Bukowina, der sich von Anfang an als Vertreter der Gesamtheit der der jüdischen Bevölkerung des kleinsten Kronlandes der österr.-ung. Monarchie sah.

Anschliessend wird ein interessantes Rechtsthema behandel: Andreas Gotzmann, ‚Drei Hochzeiten und ein Todesfall' Zwischen jüdischem Eherecht und Zivilehe. Jette Bacher und Simon Mendel Cohen heiraten 1850 in Hamburg in der Synagoge. Kurz darauf flüchtet der Ehemann seiner Schulden wegen nach Amerika. Ohne Get (Scheidebrief) sieht sich die Frau dem Schicksal einer Aguna ausgeliefert. Sie klagt vor dem Hamburger Niedergericht, das unerwarteterweise die Klage annahm und - entgegen der gültigen Rechtsnorm - nicht nach jüdischem, sondern nach staatlichem Recht urteilend die Ehe aufgrund des Verschuldens des Mannes aussprach. Dies behandelt der Autor als ein besonderes Beispiel eines Problems, bei dem innerjüdische gegen (äussere) staatliche Sicht aufeinander prallen.   

Klaus Hödl befasst sich in Juden in der Wiener Kultur. Zur (Un-) Angemessenheit dichotomer Kategorisierungen am Beispiel der Gottesdienstgestaltung mit Säkularisierungstendenzen (die Synagoge wird Bühne für Gesang und Predigt). Eine parallele Entwicklung zu der jüdischen und nichtjüdischen Massenkultur, in der es sehr wohl zu gegenseitigen Berührungen und Verflechtungen kommt.

Michael A. Meyer liefert mit (German-) Jewish History from Within - Concluding Remarks eine Standortbestimmung eben zum Themenschwerpunkt, nicht ohne auf die Sinnhaftigkeit hinzuweisen, beim Verfassen einer innerjüdischen Geschichte das Narrativ der nichtjüdischen Umwelt zu beachten.

Zwei weitere Aufsätze schliessen das Heft ab: Joachim Pohl, Die mittelalterlichen jüdischen Grabsteine und Gemeindeeinrichtungen in der Stadt Spandau, bringt einen aktualisierten Forschungsstand dieser bedeutenden jüdischen Gemeinde. Elisabeth Malleier versucht mit Jüdische Spitäler in Österreich-Ungarn um 1900 erstmals einen Überblick. Geographische und statistische Übersichten bringen das für viele Forschungsbereiche relevante Thema nahe.  

Einmal mehr bestätigt dieses Heft den hohen Wert dieser Zeitschrift, die mit den von ihr veröffentlichten Beiträgen wertvolle Erkenntnisse und Anregungen gibt.