Am 26. Mai 2011 verstarb, im 73. Lebensjahr, der frühere österreichische Botschafter in Polen und in Slowenien, Gerhard WAGNER. Botschafter Wagner begann seine Karriere im Kabinett des österreichischen Politikers Franz Karasek (1924-1986), der die Auslandskultur Österreichs neu gestaltete, und ab 1979 Generalsekretär des Europarats war.
Gerhard Wagner war in seiner Karriere im österreichischen Außenamt u.a. Abteilungsleiter in der Kultursektion und - als krönender Abschluss seiner Laufbahn - österreichischer Botschafter in Warschau (1989 bis 1994) und anschließend in Laibach (bis 2000).
Wie kaum ein anderer österreichischer Diplomat hat er die positiven, freundschaftlichen Beziehungen unseres Landes mit den neuen Demokratien und EU-Partnern in unserer Nachbarschaft geprägt. Als überzeugter liberaler Katholik, der zutiefst vom Katholizismus eines Kardinal Franz König geprägt war, lehnte er Xenophobie und Populismus, von welcher Seite auch immer, entschieden und aus tiefster Seele ab und besuchte gerade auch als österreichischer Botschafter in Polen in den entscheidenden Jahren nach der Transformation immer wieder die Gedenkstätten für die Opfer der entsetzlichen Verbrechen der Shoah auf polnischem Boden. In seinen zahlreichen Gesprächen mit den neuen polnischen Eliten, aber auch bei seinen Besuchen in allen damaligen 49 Wojwodschaften in diesem großen und weiten Land machte er stets klar, dass nicht ein vom Westen und den Idealen der Aufklärung abgekehrtes, national-katholisches Polen die Zukunft für dieses Land sein kann.
Ab September 1992 hatte ich die Ehre, als so eben berufener Arbeits- und Wanderungsattaché einer der MitarbeiterInnen von Herrn Botschafter Wagner zu sein. Bei manchen seiner Gespräche und Besuche durfte ich teilnehmen. Mit Geduld und Beharrlichkeit zeigte Gerhard Wagner seinen GesprächspartnerInnen im so katholisch geprägten Polen höflich, geistreich, aber auch sehr beharrlich auf, dass zwei Konstanten zu beachten sind - freie Kirchen und Religionsgemeinschaften in einer freien Gesellschaft (und nicht etwa ein katholischer Gottesstaat), und der Geist der Konzilserklärung ‚Nostra Aetate‘ (und nicht etwa der katholische Antisemitismus, wie er sich in Polen ja später leider wieder in ‚Radio Maryja‘ manifestierte).
‚Im Bewußtsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle VerfoIgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben‘.
Diese Worte aus ‚Nostra Aetate‘ hat Herr Botschafter Wagner während seiner Jahre in Polen besonders entschieden vorgelebt. Gerade das Zeugnis eines Botschafters aus Österreichs hatte dabei vielleicht ein besonderes Gewicht.
Viele handelnde Personen, darunter auch engagierte westliche Diplomaten wie Gerhard Wagner, haben damals an der Transformation dieses Landes mitgewirkt; und gerade aus jüdischer Sicht darf erwähnt werden, dass heute Polen einer der verlässlichsten und stabilsten Partner des Staates Israel ist. Diese Freundschaft zeigte sich jüngst am 23. Februar 2011 beim Besuch des polnischen Premierminister Donald Tusk in Israel.
Als hochgebildeter, immer wieder auch zur Feder greifender Diplomat hat er sich - gerade aktuell während der polnischen Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union im 2. Halbjahr 2011 - mit seinem umfassenden Werk "Das neue Polen in Europa", das er gemeinsam mit Franz Merli herausgab (Studienverlag, Innsbruck, Wien, Bozen, 2006, ISBN: 978-3-7065-4319-4) auch ein bleibendes schriftstellerisches Denkmal gesetzt. Polen, Auslöser und Pionier des großen europäischen Umbruchs, hat sich in den der Wende von 1989 folgenden Jahren als dynamisches und innovatives Land präsentiert. Die in vielen Bereichen tief greifenden Reformen sind in den "alten" EU-Mitgliedstaaten leider nur wenig bekannt. Wagners Buch bietet einen Überblick über die Veränderungen in Politik, Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, wobei die Schwerpunkte auf die europäische Dimension und auf Perspektiven für die österreichisch-polnischen Beziehungen gelegt wurden, und trägt hiermit zu einer differenzierteren Wahrnehmung des neuen Polen bei.
Wagners eigene Analyse unter dem Titel „Demokratische Reformen, politische Strukturen und Parteiensystem in der Republik Polen" ist dabei ebenso noch heute aktuell wie auch die übrigen Beiträge in diesem Sammelband. Aus jüdischer Sicht wären sicherlich die beiden Beiträge über die Rolle der katholischen Kirche in Polen von Rembert J. Schleicher („Komplizierte Verhaltnisse: Glaube, Kirche, Volk, Staat und Politik") sowie Jaroslaw Makowski („Kirche an der Wegscheide") erwähnenswert. Keines der großen Themen, die gerade auch in Zeiten eines noch immer fortbestehenden religiösen ‚Fundamentalismus‘ in Polen leider noch immer aktuell sind, wie etwa die Rolle von „Radio Maryja" werden in den Beiträgen dieser beiden liberalen Katholiken ausgeschlossen.
So ist also, nach schwerer Krankheit, ein äußerst fähiger österreichischer Diplomat und politischer Autor von uns gegangen, aber - was noch viel mehr zählt - ein sehr liebenswerter, bescheidener und hilfsbereiter Mensch, der von dieser Erde abberufen worden ist. Es trauert um ihn seine Witwe, seine Familie, und ein großer Freundes- und KollegInnenkreis. Das Lebenswerk dieses großen Österreichers lässt sich vielleicht mit den Worten aus ‚Nostra Aetate' adäquat zusammenfassen:
‚Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen.‘