Ausgabe

Zeuge der Zeit

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Ilse Macek, Horst Schmidt (Hg.): Max Mannheimer. Überlebender, Künstler, Lebenskünstler.

München: Volk Verlag 2011

256 Seiten, 105 Abbildungen, Euro     

ISBN 978-3-86222-012-0

Es ist ein ungewöhnliches Buch über einen ungewöhnlichen Menschen, das die Politikwissenschaftlerin Ilse Macek und der Historiker Horst Schmidt - unter Mitarbeit von Eva Hoegner, Elija Bossler, Brigitte Schurer und Adi Trumpf - herausgebracht haben. „Ausgewählte Reden und Schriften von und über Max Mannheimer"  werden hier zu einer beeindruckenden Dokumentation in Wort und Bild zusammengefügt. Sie ergeben so nicht nur „ein ergänzendes Dokument zur Zeitgeschichte der letzten 25 Jahre" sondern auch eine breitgefächerte Spiegelung von Leben und Überleben nach dem Holocaust und vom unermüdlichen, öffentlichen Wirken als Redner, Erzähler und Mahner Max Mannheimers, der seit Jahren auch als Künstler unter dem Namen „Maler ben jakov" kreativ tätig ist.

Max Mannheimer wurde am 6. Februar 1920 in Neutitschein (Mähren, heute Tschechische Republik), als Sohn des aus Galizien stammenden Jakob Leib Mannheimer geboren. Ein Foto aus dem Jahr 1938 zeigt die Familie Mannheimer - Vater Jakob, Mutter Margarete und Max mit seinen vier Geschwistern, von denen ausser ihm nur der Bruder Edgar den Holocaust überlebt haben. Aus einem anderen Foto lächelt die junge Eva Bock (geboren 1921 in Ungarisch Brod), Mannheimers erste Frau. An der Todesrampe von Auschwitz-Birkenau sahen sie sich zum letzten Mal; das war am 2. Februar 1943. Max Mannheimer überlebte die Verbrechen der Nazi-Ära  in Theresienstadt, Auschwitz, im Warschauer Getto, in Dachau und Mettenheim bei Mühldorf. In Mühldorf wurde er am 30. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit. Damals wog er gerade noch „34 Kilogramm und war dem Tod nahe."

Jahrzehnte später, nach dem Erscheinen seiner Erinnerungen als „Spätes Tagebuch", 2009, das in viele Sprachen übersetzt wurde, sprach er an seinem 90. Geburtstag die schlichten und grossen Worte: „Ich konnte nie hassen, sonst hätte ich auch nie in das Land der Täter zurückkehren können. Hätte ich so gefühlt, dürfte ich hier nicht leben und wäre mit meinen bitteren Erfahrungen aber auch nicht fertig geworden."

So gibt es im Buch auch viele andere Bilder, solche aus den letzten Jahren, darunter ein grosses Farbfoto:  Max Mannheimer  mit  seiner ersten Urenkelin Sara, 2010. Und zuvor der Text einer Rede, die Enkelin Judith an seinem 90. Geburtstag hielt. Ihre Mutter hatte einst als kleines Mädchen ihn, den Opa, gefragt, warum sie zu St. Nikolaus kein Geschenk bekommen habe. Daraufhin ging er, entgegen seines Glaubens, sofort los, um ein Geschenk zu kaufen. Judith: „Diese sympathische Inkonsequenz verrät: Du bist a mentsch". Und: „... in der öffentlichen Wahrnehmung bist Du natürlich in erster Linie der jüdische Holocaust-Überlebende. Die, die Dich kennen, wissen aber, dass Du weit mehr bist; a mentsch ist eben mehr als alle Kategorien, die ihn beschreiben können."

Es sind Texte von Ansprachen, Reden, Gesprächen, darunter auch Berichte von Begegnungen und Erinnerungen, die hier vereint und thematisch in acht Kapiteln angeordnet wurden. Sie ergänzen so aus einem anderen Blickwinkel die bisherigen Veröffentlichungen sowie den Film über Max Mannheimer, „Der Weisse Rabe", der 2009 seine Premiere hatte, und die Kommentare zu den Kunstausstellungen des „Malers ben jakov".

Am Ende dieses reich illustrierten und sorgfältig editierten Bandes stehen die Worte von Max Mannheimer: „Wir, die Zeitzeugen, sind nicht nur Zeugen der Zeit, sondern auch Zeugen auf Zeit. Unsere Pflicht ist es, weiterzugeben, wie es gewesen ist." Doch diese „Pflicht" kann ein Zeitzeuge nur dann erfüllen, wenn ihm jemand beim Erzählen zuhört, damit seine Worte nachher nicht vergessen werden. Dazu haben die beiden sachkundigen Herausgeber dieses Buches auf verdienstvolle Weise beigetragen, wofür auch ihnen Lob und Anerkennung gebührt.