Unter dem Titel „Der Jüdische Friedhof von Graz: Erforschen - Bewahren - Erinnern" startete mit 01. Jänner 2011 ein ambitioniertes Sparkling-Science-Projekt, welches das Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität, das Akademische Gymnasium und die JuniorUni Graz in Kooperation initiiert haben. Weitere Partner sind die IKG Graz sowie das Institut für jüdische Geschichte in St. Pölten.
Das Projekt, „ein Beitrag zur Kultur- und Sozialgeschichte der jüdischen Gemeinde von Graz im 19. und 20. Jahrhundert" wird von Dr. Heimo Halbrainer und Dr. Gerald Lamprecht, der auch die Leitung des Centrums für Jüdische Studien inne hat, koordiniert und organisiert. Das Forscherteam setzt sich aus Schülerinnen und Schülern des Akademischen Gymnasiums und Wissenschaftern des Centrums für Jüdische Studien zusammen. Wissenschaftliche Hauptziele sind die Erforschung der Geschichte des jüdischen Friedhofes Graz im 19. und 20. Jahrhundert, eine Dokumentation der Gräber, Denkmäler und Bauten sowie die Aufarbeitung der Kultur- und Sozialgeschichte der Grazer jüdischen Gemeinde. Damit wird den Forscherinnen und Forschern die besondere Ehre zu Teil in die wissenschaftlichen Fussstapfen David Herzogs zu treten, der sich bereits in den 1920er und 30er Jahren intensiv mit den mittelalterlichen israelitischen Friedhöfen und Grabsteinen der Steiermark beschäftigt hat.1 Aufgabenfelder der jungen Forschenden sind die Dokumentation der Grabsteine. Hierfür werden diese fotografiert und die Grabinschriften, wo dies notwendig ist, abgepaust. Für eine Transkription hebräischer Grabinschriften steht dem Team Dr. Martha Keil vom Institut für Jüdische Studien in St. Pölten als Expertin zur Verfügung. In Folge soll aufgrund der gewonnen Daten ein aktueller Friedhofsplan erstellt werden. Zusätzlich sollen biographische Recherchen über die Verstorbenen einen tieferen Einblick in die sozialen und kulturellen Strukturen, religiöse Orientierungen und identitäre Verankerungen der jüdischen Bevölkerung des 19. und 20. Jahrhunderts liefern. Die Lücke in der Sozial- und Migrationsgeschichte soll durch die Auswertung der Sterbematrikel der jüdischen Gemeinde von Graz geschlossen werden. Eine weitere Aufgabe der Forscherinnen und Forscher ist die Erhebung des Wissenstandes von Passantinnen und Passanten über den jüdischen Friedhof mittels Interviews. Diese Eruierung ist besonders unter der Berücksichtigung gesellschaftlicher Aspekte der Erinnerungskultur interessant. Ist es doch ein historisches Faktum, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdischen Friedhöfe im kollektiven Gedächtnis der Österreicher nahezu in Vergessenheit geraten waren. Erst in den letzten Jahren wurde ein wissenschaftliches wie erinnerungsorientiertes Interesse spürbar. Durch das Washingtoner Abkommen von 2001 hat sich die österreichische Bundesregierung zur Erhaltung und Sanierung der jüdischen Friedhöfe im Land verpflichtet. Damit sind die israelitischen Friedhöfe wieder in den öffentlichen Fokus gerückt.
Die Entstehung jüdischer Friedhöfe in der Steiermark ist durch zwei Epochen gekennzeichnet. Folglich unterscheidet man zwischen mittelalterlichen Friedhöfen, die zwischen dem 14. Jahrhundert bis zur Vertreibung der Jüdinnen und Juden im Jahre 1496 entstanden sind, und neuzeitlichen Gottesäckern, die nach 1860 errichtet wurden. Der mittelalterliche jüdische Friedhof von Graz befand sich im Bereich des heutigen Jakominiplatzes und des Joanneumringes2. Im Jahre 1865 fand auf dem neuen Friedhof, der im Jahre zuvor auf Initiative der Israelitischen Cooperation auf dem Lazarettfeld in Wetzelsdorf errichtet wurde, das erste Begräbnis statt. 1871 wurde die Chewra Kadischa gegründet. Der Verein übernahm Aufgaben der Kranken- und Sterbehilfe, die Betreuung der Hinterbliebenen und die rituelle Durchführung der Bestattungen. Die 1910 eingeweihte Zeremonienhalle wurde von den Nationalsozialisten im Verlaufe des Novemberpogroms 1938 restlos zerstört. Die Leichenhalle trug die hebräische Inschrift „Das Haus, das jedem Lebenden vorbereitet ist". In unmittelbarer Nähe der 1991 neu errichteten Zeremonienhalle befindet sich ein Gedenkstein, der an Simon Rendi, den erfolgreichen Grazer Textilunternehmer und ehemaligen Präsidenten der IKG erinnert. Rendi, der auch Vorsitzender in der B'nai B'rith (hebr. „Söhne des Bundes") war, wurde 1942 im KZ Jasenovac ermordet. Auch Hermann Öhler, der zusammen mit Karl Kastner das Warenhaus „Kastner & Öhler" etablierte, liegt auf dem Grazer israelitischen Friedhof begraben. Weitere berühmte Tote sind der im Jahre 2005 verstorbene Opernsänger Richard Armes sowie der Stadtbaumeister und Erbauer der Grazer Zeremonienhalle Alexander Zerkowitz. Auf dem Friedhofsgelände befindet sich ein Denkmal des „Bundes der jüdischen Frontsoldaten" aus dem Jahre 1935, ein Gedenkstein erinnert an dreizehn „Kriegsopfer im Zivilinternierungslager Thalerhof" die in den Jahren 1914-15 einer Epidemie zum Opfer gefallen sind. Von den 7 000 Internierten starben des Lagers starben rund 1 700 auf Grund von Seuchen, Hunger und Misshandlungen.3 Zwei weitere Gedenksteine mahnen der Erinnerung an die „unbekannten ungarischen jüdischen Opfer aus den Verfolgungsjahren 1938-1945", die in Massengräbern am Friedhof liegen. Das Andenken an Opfer der Shoah bewahren circa zwanzig private Grabstellen auf dem Gelände.
Ein jüdischer Friedhof kann ein „Beth haChajim" - ein „Haus des Lebens", ein „Beth Alamin" - ein „Haus der Ewigkeit", ein „Beth Hakwarot" - ein „Haus der Gräber" oder ein „Kewer Israel" - ein „Haus Israels" sein. Trauer ist für fromme Jüdinnen und Juden kein Ausnahmezustand, sie bereiten sich vielmehr bereits zu Lebzeiten bewusst auf den Tod vor. Die Toten sollen zunächst nicht berührt werden. Nach einer rituellen Waschung werden männliche Verstorbene mit einem schlichten Totenhemd bekleidet, welches sie von ihrer Frau zur Hochzeit erhalten hatten. Dieses Hemd trägt der Mann zu Lebzeiten alljährlich an Rosh Hashana, Jom Kippur und an den Sederabenden. Im Idealfalle soll die Beerdigung noch am Tag des Todes abgehalten werden. Die lokale Chewra Kadischa unterstützt die Trauernden bei sämtlichen Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit einer Bestattung anfallen. Wichtigstes Gebet in der Trauerzeit ist das Kaddisch. Die Begriffe Tod und Trauer erscheinen hier aber inhaltlich nicht - es im Wesentlichen eine Lobpreisung Gottes. Die Familie trauert erst gemeinsam sieben Tage (Shiwa). Eine zweite Phase der Trauer hält bis zum 30. Tag nach dem Tod an. Der Grabstein für die oder den Verstorbene(n) wird am ersten Jahrestag des Todes gesetzt. Das Grab wird niemals aufgelassen, die Grabstätte wird somit zum ewigen Eigentum des Verstorbenen.
Das Projekt „Jüdischer Friedhof" will einen Beitrag in der Erforschung der jüdischen Geschichte und Kultur leisten. Dabei dient der israelitische Friedhof in Wetzelsdorf als Quelle einer Sozial- und Migrationsgeschichte sowie als Grundlage zur wissenschaftlichen Betrachtung religiöser und kultureller Identitäten der Grazer jüdischen Gemeinde. Nicht zuletzt versteht sich das Vorhaben als ein Beitrag zum Erinnern und Gedenken. Wie beim Vorgängerprojekt „Die Grazer Heilandskirche während der Zeit des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung der als Juden verfolgter Mitglieder", sollen die abschliessenden Ziele des aktuell laufenden Unternehmens die Publikation der Forschungsergebnisse sowie die Initiierung einer Ausstellung sein. Die sich in der Etablierung befindliche Kooperation zwischen Schule und Universität soll den Schülerinnen und Schülern einen ersten Einblick in die Bildungs- und Forschungseinrichtungen auf universitärer Ebene bieten, mögliche Berufsfelder vorstellen und im konkreten Falle des aktuellen Projektes einen Beitrag zur Vertiefung des Wissens zum Thema Judentum beitragen. Auch die Akademikerinnen und Akademiker profitieren von dieser Zusammenarbeit, da „nichtakademische" Zugänge meist auch neue interessante Fragestellungen und Aspekte zu Tage fördern.
Gedenkstein für Simon Rendl. Foto: A. Verdnik.
Literatur zur Thematik:
Bruchstücke. Jüdische Friedhöfe in der Steiermark, von Gertrude Maria Grosseger u.a, Graz 2010.
Jüdischer Friedhöfe. Kultstätte, Erinnerungsort, Denkmal, von Claudia Theune und Tina Walzer, Wien 2010.
Jüdische Friedhöfe in Österreich. Aspekte der Erhaltung, hrsg. von der Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung und dem Centrum für jüdische Studien der Universität Graz, Graz 2010.
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung JuniorUni Graz.
1 Vgl. Gertrude Maria Grosseger u.a, Bruchstücke. Jüdische Friedhöfe in der Steiermark, Graz 2010, 33.
2 Vgl. Ebd. 67.
3 Ebd. 76.