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Österreichische Juden in Lettland

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Stefan Karner, Philipp Lesiak, Heinrihs Strods (Hg.): Österreichische Juden in Lettland. Flucht - Asyl - Internierung.
Innbsbruck, Wien, Bozen: Studien Verlag 2010.
286 Seiten, 27,90 Euro .-
ISBN 978-3-7065-4871-7

  

Die Judenverfolgung und der Holocaust im Baltikum zählten bislang zu den weniger bekannten Aspekten der europäischen Geschichtsforschung. Umso wichtiger sind deshalb die Erkenntnisse, die dieses aus einer Kooperation von lettischen und österreichischen Historikern hervorgegangene Werk liefert. Von der verzweifelten Suche nach Ausreiseländern bis hin zur Verfolgung und unbarmherzigen Ermordung, wird so das Schicksal der österreichischen Juden in Lettland rekonstruiert. Für diese Rekonstruktion dienten Dokumente aus deutschen und lettischen Archiven als Grundlage. Durch sechs Oral-History-Dokumente wird die sachlich fundierte Basis des Werks durch die unschätzbar wertvollen Perspektiven von Zeitzeugen ergänzt.

Der Leidensweg der Juden im „Dritten Reich" begann bereits bei der Wahl des Asyllandes. Da Länder wie die USA und Grossbritannien durch ihre strengen Einreisebestimmungen und Quotenregelungen für viele Flüchtlinge ein unerreichbarer Zufluchtsort waren, mussten die unter immer stärker werdendem Terror leidenden Juden jede Möglichkeit zur Flucht wahrnehmen. Lettland bot sich hier mit seiner relativ liberalen Haltung gegenüber Flüchtlingen als Ausreise- und Transitland an. So gelang etwa 2.300 jüdischen Flüchtlingen bis 1940 die legale Einreise nach Lettland, etwa 400 jüdische Flüchtlinge schafften es, illegal nach Lettland einzureisen. Bemerkenswerter Weise wurde kein einziger sich illegal in Lettland aufhaltender Jude von der Regierung ausgewiesen. Dies war zu einem grossen Teil der Verdienst von Mordehajs Dubins, dem Leiter der jüdischen Gemeinde in Lettland, der hier nicht unerwähnt bleiben soll und auch den Einband des Buches ziert. Dieser nutzte seine engen Kontakte zum lettischen Staatspräsident Ulmanis, um den geflüchteten Juden die Einreise und den Aufenthalt erheblich zu erleichtern.

Mit der Besetzung von Lettland 1940 durch die Rote Armee holte die jüdischen Flüchtlinge der Terror wieder ein. Besonders die jüdische bürgerliche Elite hatte an den Übergriffen der Sowjetherrschaft zu leiden, es kam zu einer Vielzahl an willkürlichen Verhaftungen, Deportationen und Hinrichtungen. Bedrückend schildert das Werk hier die Einzelschicksale von lettischen Juden, die dem Sowjetterror zum Opfer fielen, darunter auch Mordehajs Dubins.

Mit dem Einmarsch der Deutschen wurde ein Übel gegen ein Grösseres ausgetauscht, der Holocaust hatte jene Juden eingeholt, die nicht mehr rechtzeitig aus dem Baltikum geflohen waren. Gleich nach der Besetzung wurden von den Deutschen Pogrome organisiert, mittels Propaganda sollte die Bevölkerung gegen die Juden gehetzt werden. Während sich die Bevölkerung generell nur schwer zu Pogromen und Übergriffen anstacheln lies, wurden in der litauischen Stadt Kaunas binnen zwei Tagen unter Beteiligung von 500 Litauern 800 Juden auf brutalste Weise ermordet. Die Pogrome wurden jedoch rasch durch die gezielte und bürokratisch geplante Vernichtung der Juden abgelöst. Insgesamt wurden in Lettland 90.000 Juden ermordet, viele von ihnen im KZ Riga-Kaiserwald. All jene jüdischen Flüchtlinge, die nicht rechtzeitig aus Lettland flohen oder von den Sowjets interniert wurden, fielen der deutschen Mordmaschinerie zum Opfer. Die sechs Oral-History-Dokumente von jenen sechs Zeitzeugen, die 1941 von den Sowjets nach Sibirien deportiert wurden, vermitteln einen beklemmenden Eindruck über die unmenschlichen Zustände und Entbehrungen, welche die Deportierten durchleiden mussten.

Den Abschluss des Werkes bildet eine Übersicht über die Erforschung des Holocaust in Lettland, die erst mit dem Ende der sowjetischen Kontrolle 1990 etabliert wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass der Holocaust und die lettische Beteiligung an den begangenen Verbrechen relativ wenig im Geschichtsbewusstsein der Exilletten verankert sind. Nicht nur aus diesem Grund ist dieser umfassende Beitrag zur Rekonstruktion dieses Aspekts der Schoah so ungemein wichtig für das Verständnis der Geschichte.