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Gedenktafel Josefstädterstrasse 29

Heidrun PIRCHNER

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Fast drei Jahre währte unsere Arbeit, um der Frage nachzugehen, ob HausbewohnerInnen  nach Einmarsch der Nazis 1938 vertrieben und zu Opfern des Systems geworden waren. Das Ergebnis war leider: ja.

Sieben Mieter und ihre Familien wurden aus ihren Wohnungen gerissen. Einigen anderen gelang die Flucht, sie konnten überleben. Für sechs Menschen, die zunächst in Sammelwohnungen gepfercht wurden, endete ihr Lebensweg mit Deportation und Ermordung in den Todeslagern Theresienstadt, Minsk, Maly Trostinec bei Minsk, Auschwitz und Riga.

Die Namen der Opfer: Benedikt Fischer, Natalie Gertrud Hajowsky, Edith Herzog, Gisela Herzog, Alois Perl, Henriette Perl.

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Das Projektteam - Ernst Piffl, Susanne Piffl-Pavelec, Heidrun Pirchner, Hedwig Seyr-Glatz und Maria Ettl, Leiterin des Bezirksmuseums.

Aus Anlass der Anbringung einer Gedenktafel im Eingangsbereich des Hauses wurde am 19. Jänner eine kleine Feier veranstaltet - im Beisein der alten und neuen Bezirksvertretung, der Leiterin des Bezirksmuseums Josefstadt, Frau Maria Ettl, sowie der Hausverwaltung, die alle das Projekt sehr unterstützt hatten, und Gästen aus anderen Bezirksinitiativen („Steine der Erinnerung", „Verlorene Nachbarschaft" - Neudeggergasse). Angesprochen sollten vor allem die HausbewohnerInnen werden, in einem gemeinsamen Denken an Menschen, die gewaltsam aus einer Hausgemeinschaft entfernt und sogar getötet wurden, und an eine Diktatur, in der dies möglich war. Finanziert wurde die Gedenktafel durch „Basis.Kultur.Wien", die kulturfördernde Einrichtung des Wiener Volksbildungswerkes.

Das Projekt entstand in einer kleinen Runde von HausbewohnerInnen, die Ausführenden waren Susanne und Ernst Piffl, Hedwig Seyr-Glatz und Heidrun Pirchner. Ausgangspunkt für die Recherchen war eine Liste von sieben Personen aus einem Archiv des Bezirksmuseums Josefstadt. Das Bezirksmuseum hatte dieses Archiv der jüdischen BewohnerInnen des 8. Bezirks schon im Rahmen des Projekts Neudeggerggasse 1998 erstellt (Gedenkveranstaltungen und Buchpublikation zur Zerstörung des Tempels in der Neudeggergasse), die Daten wurden damals aus dem Staatsarchiv übernommen. Bei unseren Erhebungen erhielten wir Informationen in folgenden Archiven: Rathausbibliothek (historisches Adressenverzeichnis  „Lehmann"), Wiener Stadt- und Landesarchiv, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Letter to the Stars, Restitutionsfonds, Yad Vashem Opfer-Datenbank.

Auf Grund der Meldeauskünfte aus dem Historischen Meldearchiv des Wiener Stadt- und Landesarchivs wurde uns klar, dass mit den Namen aus dem  Staatsarchiv auch weitere Personen verbunden waren: Ehegatten und Kinder. Im Staatsarchiv lagern die Unterlagen der „Vermögensverkehrsstelle". Per Stichtag 12. 4. 1938 mussten sich dort jüdische Bürger registrieren, erfasst wurden offensichtlich die Namen der Familienverantwortlichen bzw. der Name, auf den der Mietvertrag lautete. So wurde der Kreis der Personen, nach deren Schicksal wir forschten, erweitert. Der Älteste auf unserer Opferliste ist Herr Benedikt Fischer, geboren 1857 in Szered an der Waag (damals Ungarn), 1942 - also mit 85 Jahren und nach einer Laufbahn als Beamter  - wurde er nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet.

Hinter den Daten steht die Einmaligkeit jedes Menschen und seines Lebens und  dessen tragische Wende. Dafür als Beispiel noch Frau Natalie Hajowsky, geboren 1906 in Lemberg - sie war bis September 1939 in der Josefstädterstrasse 29 gemeldet, dann bis 5.8.1942 in der Rechten Wienzeile 247; weiters hält das historische Meldearchiv Wien fest: „abgemeldet: unbekannt (durch Gestapo verhaftet)"; ein anderer Eintrag vermerkt ihre Meldung in der Rechten Wienzeile bis 17.8.1942 und dann folgt lapidar: „abgemeldet: Minsk". Ihr Ehemann Albin galt laut Unterlagen des Dokumentationsarchivs als „Halbjude", konnte nach eigenen Angaben in der Tschechoslowakei untertauchen und lebte nach dem Krieg noch kurz in Wien. Hatte er für seine Frau den Antrag gestellt, der im Meldearchiv vermerkt ist, oder sie dazu gedrängt? „Der Reichsminister des Inneren hat im Namen des Führers und Reichskanzlers mit Erlass v. 19.VI.1943 ... den Antrag vom 2.9.1939 auf Gleichstellung mit jüdischen Mischlingen ersten Grades abgelehnt. Diese Entscheidung ist endgültig." Erst 1954 wird Frau Hajowsky für tot erklärt, der Eintrag im Melderegister lautet: „Mit rechtskr. Beschl. d. Ldg. f. ZRS Wien vom 26.8.1954 ... wurde Natalie Hajowsky für tot erklärt. Gleichzeitig wird ausgesprochen, dass dieselbe den 8. Mai 1945 nicht überlebt hat." Laut Yad Vashem ist ihr Todesdatum der 21. August 1942.

Ich kann an dieser Stelle leider nicht alle Opfer genauer beleuchten, aber meine Beispiele mit der „Jüngsten", nämlich Edith Herzog, geboren 1921, abschliessen. Sie arbeitete 1938 bereits als Krankenschwester. Gemeinsam mit ihrer Mutter Gisela Herzog musste sie in eine Sammelwohnung in der Börsegasse, beide wurden am 28.11.1941 nach Minsk deportiert und dort ermordet. Die „Abmeldevermerke" im Meldearchiv lauten: „1.11.1941 Pol. Aktion" und „28.11.1941 Minsk".

Eine geglückte Fluchtgeschichte sei auch kurz festgehalten: das Ehepaar Philipp, das allerdings getrennte Wege ins Überleben ging. Rudolf Philipp (geboren 1886 in Wien) emigrierte 1939 nach Shanghai, seine Frau Frieda (geboren1896 in Wien) nach New York. Welchem Elternteil war Sohn Ernst anvertraut? Wir konnten keine weiteren Daten über ihn finden. Frieda Philipp kehrte 1948 noch einmal nach Wien zurück, allerdings nur für fünf Wochen, während derer sie im Haus Josefstädterstr. 13 wohnte, dann ist ihre Abmeldung nach „USA" vermerkt - offensichtlich endgültig. Rudolf Philipp lebte laut Dokumentationsarchiv nach dem Krieg wieder im Haus Josefstädterstr. 52, wie auch schon die letzten Jahre vor seiner Emigration.

Länger als die inhaltliche Recherche währte der Prozess der Realisierung des Ziels, im Haus die Gedenktafel anzubringen. Wie sich in guter Kooperation mit der Hausverwaltung herausstellte, mussten fixe Fristen für Aushang, für Erhebung der Zustimmung unter den vielen WohnungseigentümerInnen und schliesslich sogar für eine Entscheidung durch das Bezirksgericht eingehalten werden. Bei fehlender Einstimmigkeit im Haus entscheidet ein sogenannter Ausserstreitrichter. Da wir von 80 Prozent zuvor eine schriftliche Zustimmung einholen konnten, war dies eine gute Entscheidungsgrundlage für den Richter. Das Projekt erfuhr in grossem Ausmass Bejahung, Sympathie und positive Rückmeldungen, und damit wurde das Anliegen bekräftigt, die Erinnerung an die bis zur Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland im Haus Josefstädterstr. 29 lebenden Juden aufrecht zu erhalten.

Literatur:

Käthe Kratz, Karin Schön, Hubert Gaisbauer, Hans Litsauer: Verlorene Nachbarschaft. Die Wiener Synagoge in der Neudeggergasse. Ein Mikrokosmos und seine Geschichte, Mandelbaum Verlag 1999.

Irmtraut Karlsson, Manfred Kerry, Tina Walzer: ... Lebte in der Josefstadt. Steine der Erinnerung 1938 - 1945, Milena Verlag 2008.

Neudeggergasse 12: Die Synagoge in der Josefstadt, Ausstellungskatalog, hrsg. vom Bezirksmuseum Josefstadt.