Im Rahmen der grossen Migrationsströme gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Zuwanderung der so genannten „Ostjuden" nach Wien ein bedeutender gesellschaftlicher Faktor. Neben den vor den antisemitischen Pogromen aus dem Zarenreich Flüchtenden spielten aber auch die innerösterreichischen Migranten aus den Kronländern Galizien und Bukowina eine wichtige Rolle.1 Nicht selten wurde von den alteingesessenen Wiener jüdischen Familien auf diese Neuankömmlinge, die zumeist den untersten sozialen Schichten angehörten, herabgesehen. Dessen ungeachtet schafften einige dieser Zuwanderer den sozialen Aufstieg und es gelang ihnen Karriere zu machen, wie dieser Beitrag über den Architekten Neumann Tropp zeigen wird, der durchaus auch ein wenig an die heiteren Seiten des Lebens anstreift.
Neuman Tropp als Offizier der k. k. Luftwaffe, um 1915 (Privat)
Die Schwierigkeit der Rekonstruktion dieses Lebenslaufes begann bereits mit dem etwas ungewohnt klingenden Namen „Neumann Tropp", der unter Hinweis auf einige bemerkenswerte Bauten immer wieder in diversen Architekturführern auftauchte.
Des Öfteren wurde angenommen, dass es sich eventuell um zwei Personen (möglicherweise Partner) handeln könnte.2 Erst mit Hilfe der ehemaligen Archivarin der IKG Dr. Heidrun Weiss gelang es dieses Rätsel zu lösen. „Neumann" war tatsächlich ein Vorname, im konkreten Fall die Eindeutschung des hebräischen Namens Nahum.3 Von da an konnte eine gezielte Recherche einsetzen, und es begann sich sukzessive, insbesondere nachdem sich auch Nachkommen gemeldet hatten, eine erstaunliche Biografie herauszuschälen.4
Bauinschrift, Wien 19, Nussdorfer Platz 5 (Quelle: U. Prokop)
Über die Kindheit und Jugend von Neumann Tropp wissen wir sehr wenig, nur dass er 1873 in Czernowitz (Cernovci) geboren wurde und auch die dortige Staatsgewerbeschule besuchte. Zu diesem Zeitpunkt war Czernowitz als Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina ein aufstrebender Ort mit einer grossen jüdischen Gemeinde, die infolge der antirussischen Politik der Donaumonarchie sehr gefördert wurde und geradezu eine Blüte erlebte.5 Insbesondere wurden Institutionen der Wissenschaft und Schulen forciert. Neben der Gründung der Kaiser Franz Josef - Universität, wurde Anfang der siebziger Jahre auch die örtliche Staatsgewerbeschule ins Leben gerufen, wobei das Niveau dieses Schultyps sehr hoch war. Auch ein so prominenter Architekt wie Adolf Loos hatte nie eine Hochschule oder Akademie absolviert, sondern „nur" eine Staatsgewerbeschule. Als Neumann Tropp 1891 die so genannte „Höhere Staatsgewerbeschule" mit Matura abschloss war er damit berechtigt, als Einjährig Freiwilliger seinen Militärdienst abzuleisten und schliesslich als Leutnant der Reserve abzurüsten.6 Entgegen allen antisemitischen Klischees nutzte Tropp, wie die meisten jüdischen Studenten, diese Chance und kam seinem Militärdienst gewissenhaft nach. Die Erreichung des Offiziersstatus bedeutete in der Monarchie ein ungemeines soziales Statussymbol, dessen Prestige wir heute kaum mehr nachvollziehen können - verwiesen sei auf den Dichter Arthur Schnitzler und dessen Aberkennung des Offiziersranges nach der Publikation seiner Novelle „Leutnant Gustl", der in seiner Kritik an der Moral des Offiziercorps einen Skandal hervorrief.
Mitte der neunziger Jahre war Tropp - ungeachtet seiner Jugend - kurze Zeit in Olmütz (Olomouc) in Mähren als Architekt und Bauunternehmer tätig, wo gerade durch den Abriss der alten Stadtwälle neugewonnenes Bauareal zur Verfügung stand, und erbaute einige Miethäuser, die zu den ersten Bauten der Stadt im Jugendstil zählen.7 In dieser Zeit ging er auch eine Ehe mit Pauline Isner (1876-1928) ein, mit der er in der Folge drei Kinder hatte. Nach dieser kurzfristigen Zwischenstation liess er sich gegen Ende der neunziger Jahre schliesslich in Wien nieder und gründete gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Eduard (eigentlich Elias, 1875-1963) eine Baufirma. Wie aus diversen Quellen hervorgeht war Neumann jedoch in dem Unternehmen federführend und weitgehend für die Planung der Bauten verantwortlich.8 Einiges lässt darauf schliessen, dass Elias, der mit dem Stummfilmstar Eugenie Bernay (eigentlich Bernleutner) verheiratet war,9 ein etwas „bunter Hund" gewesen sein dürfte und höchstwahrscheinlich nur nebenbei in das Unternehmen eingebunden war. Nicht nur dass er sich auch als Teppich- und Antiquitätenhändler betätigte, gründete Elias 1912 - es war die Zeit als das Medium Film seinen kometenhaften Aufstieg erlebte - gemeinsam mit dem Literaten und Regisseur Felix Dörmann (eigentlich Biedermann) die „Vindobona-Film", um allerdings nach finanziellen Misserfolgen sehr bald wieder auszusteigen.10
Villa, Wien 17, Dornbacher Str. 27 (Quelle: U. Prokop)
Dessen ungeachtet konnte sich der ältere Bruder Neumann, der durchaus auch eine gewisse Schwäche für die „Glitzerwelt" der Bühne und des Films hatte, mit seinem Architekturbüro in dem damals von einem Bauboom geprägten Wien relativ schnell etablieren, insbesondere aufgrund seiner grossen fachlichen Fähigkeiten. Er verstand es sehr geschickt, die neuen Tendenzen der Wiener Moderne - wie Jugendstil und Secessionismus - aufzunehmen und fand zu einem von Leichtigkeit und Eleganz geprägten Stil, der zu seinem Markenzeichen wurde. Bereits mit einer im Jahr 1898 errichteten feudalen Villa in Dornbach, deren grosszügiger Garten gleichfalls von ihm ausgestaltet wurde, gelang es Tropp, sozusagen eine Visitenkarte für sein Können vorzulegen. Auch der Erwerb von diversen Goldmedaillen bei den Weltausstellungen in Paris und London 1900/1 ist bezeichnend für seinen schnellen Erfolg. In den folgenden Jahren konnte Neumann Tropp eine Reihe von Miethäusern in Wien errichten, die überwiegend für den Wohnbedarf der gehobenen Mittelschicht konzipiert waren. Nicht wenige dieser Bauten befanden sich im 2. Wiener Gemeindebezirk, wo um 1900 mehr als dreissig Prozent der Bevölkerung jüdisch war. Aufgrund dieses Umstandes und der topographischen Situation als Insel zwischen Donaukanal und grosser Donau wurde diese Gegend auch gerne als „Mazzesinsel" bezeichnet. Es ist anzunehmen, dass Tropp hier gut vernetzt war, um genügend Aufträge für sein Unternehmen zu erhalten.
Von hoher ästhetischer Qualität waren insbesondere die in den letzen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg errichteten Wohnhäuser Neumann Tropps, deren Charakteristikum zumeist sehr flächig gehaltene Fassaden waren, die durch vorspringende Risalite oder Balkons akzentuiert wurden und sich insbesondere durch ihren elaborierten Dekor auszeichneten, der den Gebäuden eine gewisse Grosszügigkeit und Noblesse verlieh. Eines der gelungensten Miethäuser, die Tropp in der Leopoldstadt erbaute, ist der um 1913 errichtete „Donau-Hof" (Wien 2, Obere Donaustrasse 79), dessen prägnante Fassade auf das freie Gelände des Donaukanals gerichtet ist. Nicht nur dass Tropp diese Strassenfront sorgfältig mit einem hübschen Giebel und aufwändig dekorierten Balkonen versah, legte er auch sehr viel Sorgfalt auf die Gestaltung des Vestibüls, das ja nicht zuletzt den sozialen Status der Bewohner repräsentieren sollte. Neben farbenkräftige Wandfliesen mit secessionistischem Dekor sorgte eine ausgeklügelte gläserne Überdachung für eine ausreichende Beleuchtung des Stiegenhauses. Generell war der Einsatz von Fliesen in der Architektur des Secessionismus sehr beliebt, wobei sowohl ein neues Hygieneverständnis als auch eine fortschreitende Technik im Glasurverfahren dazu beitrug - verwiesen sei auf die berühmten „Wienzeile-Häuser Otto Wagners", deren Fassade mit Fliesen bedeckt sind, die in ihrem floralen Dekor sehr von Gustav Klimt beeinflusst waren. Neumann Tropp setze dahingegen Fliesen stets in den Vestibülen und Stiegenhäuser ein, wobei er zumeist mit der Wienerberger Tonwarenfabrik zusammenarbeitete.11
Die bereits erwähnte Neigung Tropps für die Welt der Unterhaltung, die ihn mit seinem Bruder verband, schlägt sich auch in seiner Neugestaltung des Vergnügungsviertels im Prater „Venedig in Wien" nieder. Die 1895 von dem Architekten Oscar Marmorek errichtete Anlage, die sich grosser Beliebtheit bei der Wiener Bevölkerung erfreute, war in die Jahre gekommen und Tropp führte um 1908 eine Erneuerung durch, die offenbar gleichermassen erfolgreich war. Seine Tätigkeit konzentrierte sich jedoch keinesfalls nur auf die Gegend des 2. Bezirkes, sondern ein weiterer Schwerpunkt seines architektonischen Schaffens blieb die Planung von Wohnhäusern in den vornehmen Gegenden von Döbling und Währing. Neben einer eleganten Mietvilla in der Scheibenbergstrasse 79 (Wien 18), entwarf er auch eine äusserst distinguierte Villa für den kaiserlichen Rat Hössler auf der Hartäckerstrasse 34 (Wien 19). Generell konnte Neumann Tropp bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine sehr intensive und erfolgreiche Bautätigkeit entfalten. Bei Kriegsbeginn rückte Tropp, der eine versierte technische Ausbildung hatte, als Leutnant bei der Luftfahrttruppe ein, damals eine der modernsten Einheiten der österreichisch-ungarischen Armee. Auf einem Foto, das sich erhalten hat und ihn als Angehöriger dieser Eliteeinheit in eleganter Uniform mit dem Degen an der Seite zeigt, blickt uns ein kluges, leicht verschmitztes Gesicht entgegen. In dieser Zeit ging Tropp, der eine Schwäche für das „schöne Geschlecht" hatte, ein Verhältnis mit einer hübschen blonden Wienerin ein. In der Folge entwickelte sich diese Beziehung, aus der zwei Töchter hervorgingen, zu einer eheähnlichen Verbindung. Zu einer Scheidung von seiner Frau kam es jedoch nicht, das war damals noch gesellschaftlich verpönt.
Miethaus "Donauhof" Wien 2, Obere Donaustrasse 79 (Quelle: U. Prokop)
Nach dem Ende des Krieges und dem Auseinanderfallen der Donaumonarchie sah sich Neumann Tropp, wie viele andere auch, vor eine völlig neue, höchst deprimierende Situation gesetzt. Die schlechte wirtschaftliche Situation in der kleinen österreichischen Republik und das Darniederliegen der Bauwirtschaft verhiessen wenig Gutes für einen Architekten und Bauunternehmer. Neumann Tropp war klug genug, Aussenstellen seiner Firma in Brünn und Berlin zu errichten, um sein Unternehmen auf eine breitere Basis zu stellen. Das bedeutete allerdings eine rege Reisetätigkeit, der er ohnedies nicht abhold war. Wenn es Zeit und Geld erlaubten, machte er auch einmal einen Abstecher nach Monte Carlo, um mit seiner hübschen Freundin das Flair der grossen Welt und der Casinos zu geniessen - ein Umstand, der seiner finanziellen Situation allerdings nicht gerade förderlich war. Dessen ungeachtet galt er als fürsorglicher Vater für alle seine Kinder und engagierter Firmenchef, der sich stets für seine Mitarbeiter einsetzte.12 Alle behielten ihn, trotz seinen allzu menschlichen Schwächen, als äusserst liebenswerten Menschen in Erinnerung. Neumann Tropp ist schliesslich im August 1928 in Berlin an den Folgen eines Gehirnschlages verstorben. Seine Witwe in Wien ist ihm nur einige Monate später nachgefolgt. Seinen Nachkommen war das Schicksal gnädig: seine ehelichen Kinder sind rechtzeitig emigriert und seine beiden illegitimen Töchter konnten in Wien mit ihrer „arischen" Mutter überleben. Die Enkel von dieser Seite, die auch etwas Quellenmaterial bewahrt haben, halten bis heute das Andenken an ihren Grossvater hoch.
1 Zur Problematik der Migration siehe u. a. Verena Lorber: Auf dem Weg in die Reichshauptstadt. Der Aufbruch galizischer Juden und Jüdinnen nach Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts, David Nr. 88, S. 46-47.
2 In der zeitgenössischen Literatur findet man zumeist die Bezeichnung „Neumann & Tropp", die grosse Verwirrung auslöste.
3 Auf diesem Weg möchte ich mich nochmals herzlichst bei Frau Dr. Heidrun Weiss bedanken.
4 Ursula Prokop, Neumann Tropp, in: www.architektenlexikon.at, 2005.
5 Heute gehört der Ort zur Ukraine.
6 C. Romstorfer, Entwicklungsgeschichte der k. k. Staatsgewerbeschule in Czernowitz 1873-1898, Czernowitz 1898.
7 P. Zatloukal, Neumann Tropp - autor prvnich secesnich domu v Olomouci, in: Zidovska obec Brno (www.zob.cz), 11.4.2011.
8 Bauaufschrift am Gebäude Nussdorferplatz 5 „Architekt N.Tropp & Bruder".
9 Die Ehe wurde 1911 geschlossen (Matrikenstelle IKG).
10 Siehe Wikipedia: „Wiener Kunstfilm-Industrie".
11 Siehe dazu B. Bastl, Wiener Jugendstilvestibüle, in: Zeitreisen (Hg. B.Bastl u. a.), Wien 2010, S.37ff.
12 Freundliche Auskunft Ing. Roland Miksch (Enkel).