Christoph Tepperberg
Karl-Reinhart Trauner, Claudia Reichl-Ham (Hrsg.): Religionen im Krieg 1914–1918.
Griechisch-orientalische (orthodoxe) Kirche, Islamitische Glaubensgemeinschaft, Israelitische Religionsgesellschaft in der Habsburgermonarchie. Wien: 2020 (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums, Bd.19/3)
669 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Skizzen und Tabellen;
29,90 Euro
ISBN: 978-3-902251-91-7
Von der Reihe »Religionen im Krieg 1914–1918« waren bisher zwei Bände erschienen: »Evangelische Kirche in Österreich« (2014) und »Katholische Kirche in Österreich« (2017). 2020 wurde die Reihe mit dem dritten und zugleich voluminösesten Band abgeschlossen. Er ist der Orthodoxie, dem Islam und dem Judentum gewidmet. Somit umfasst die Reihe nunmehr alle Religionen, die zur Zeit der Habsburgermonarchie durch offizielle Militärseelsorgen bereut waren.
Die Herausgeber/innen: Karl-Reinhart Trauner, Militärsuperintendent und Leiter der evangelischen Militärseelsorge in Österreich, ist Begründer der Reihe »Religionen im Krieg«. Claudia Reichl-Ham, stellvertretende Leiterin der Abteilung »Militärgeschichtliche Forschung« des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, hat selbst massgebliche Teile des vorliegenden Bandes verfasst.
Die Autoren/innen: Franz L. Fahrner (Wien), Dieter J. Hecht (Wien), Wolfgang Kment (Wien), Hubert Michael Mader (Wien), Christoph Neumayer (Wien), Rudolf Prokschi (Wien), David Rechter (Oxford), Claudia Reichl-Ham (Wien), Martin Senekowitsch (Wien), Abdulmedzid Sijamhodzic (Wien), Peter Steiner (Wien), Julia Walleczek-Fritz (Wien-Krems), Ionela Zaharia (Cluj-Graz).
Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert, denen die einzelnen Beiträge zugeordnet sind: I. Anfang (Vorkriegszeit), II. Krieg (Erster Weltkrieg), III. Wirkung (Nachkriegszeit) und IV. Anhang. Von den 18 Beiträgen sind sieben der Orthodoxie gewidmet, sechs beschäftigen sich mit der israelitischen Religion, fünf mit dem islamitischen Glauben.
Im Krieg, wo die Soldaten täglich mit Tod, Verlust und Schreckenstraumata konfrontiert sind, haben Religion und Seelsorge einen besonderen Stellenwert. Daher ist die Erforschung und Darstellung dieser Thematik ein wesentliches Anliegen der Militärgeschichte. Von den Bürgern des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn waren 75 % Katholiken, je knapp 9 % Protestanten und Orthodoxe, 4,5 % Israeliten und 1 % Muslime. Dabei gab es im Königreich Ungarn einen deutlich höheren Anteil an Protestanten und Orthodoxen, in Bosnien-Herzegowina einen signifikant höheren Anteil an Orthodoxen und Muslimen.
Der Krieg stellte nicht nur die Armeen, sondern auch deren Seelsorge vor aussergewöhnliche physische, psychische und logistische Herausforderungen. Dies nicht nur wegen der exorbitant hohen Anzahl an Gefallenen, Kranken und Verwundeten, sondern auch wegen der Front- und Truppenverschiebungen. Entsprechend werden in den Beiträgen der Abschnitte »Anfang« und »Krieg« alle wesentlichen Aspekte der Militärseelsorge thematisiert: die religiöse und ethnische Zuordnung der Gläubigen, Entwicklung, Struktur und Organisation der Militärseelsorgen in Friedenszeiten, Anforderungen und Berufung der Militärseelsorger (Kuraten, Rabbiner, Imame); seelsorgerliche Spezifika der einzelnen Konfessionen; Herausforderungen während des Krieges: prekäre Umstände der seelsorgerlichen Betreuung von Soldaten, Kranken, Verwundeten und Kriegsgefangenen im Felde, im Hinterland, in Militärspitälern und Kriegsgefangenenlagern; Aufgaben der Seelsorger: G'ttesdienste, Versehung der Sterbenden, Beerdigung der Toten, Matrikulierung der Sterbefälle, Trauungen und Geburten. Der Abschnitt »Wirkung« ist Gefallenendenkmälern, »Russenkapellen« und »Notkirchen« gewidmet, im »Anhang« finden sich Namenslisten der Militärgeistlichkeit und deren Uniformierung während des Weltkrieges.
Die israelitische Glaubensgruppe war für die k. u. k. Armee von besondere Bedeutung, denn unter ihnen befand sich aufgrund ihres Bildungsgrades und ihrer Intellektualität eine hohe Zahl an Journalisten, Schriftstellern und Reserveoffizieren. Erstere fanden in der Kriegspropaganda Verwendung, letztere waren, nachdem es in den ersten beiden Kriegsjahren unter den Berufsoffizieren immense Verluste gegeben hatte, unentbehrlich. Dazu kam die hohe Loyalität der Juden gegenüber Staat und Dynastie. Daher bedeutete der Untergang der Donaumonarchie (1918) für die österreichisch-ungarische Judenheit eine Katastrophe. Der Zerfall der Donaumonarchie in »Nationalstaaten« stiess die Juden in eine neue Welt (S. 197 u. 395), wie es Stefan Zweig in seiner »Die Welt von gestern« so trefflich zum Ausdruck brachte. Damit im Einklang finden sich auch die einschlägigen Beiträge des Bandes: David Rechter: »Die grosse Katastrophe. Die österreichischen Juden und der Krieg« (S. 142-158) beschäftigt sich mit der hohen Loyalität jüdischer Soldaten in den Armeen Europas und der k. u. k. Armee, dem Untergang Galiziens und der Flüchtlingsproblematik, mit jüdischen Wohlfahrteinrichtungen und dem Resultat des Krieges: einer von neuen Grenzen durchzogen Welt. Der Artikel war in modifizierter Form bereits 2014 im Begleitband zur Ausstellung des Jüdischen Museums Wien »Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg« erschienen. Hubert Michael Mader: »Jüdische Soldaten und der Erste Weltkrieg« (S. 371-396) berichtet über das Kaiserreich bis zum Ende der Monarchie, über jüdische Soldaten in der habsburgischen Armee, jüdische Frauen an der »Heimatfront«, jüdische Soldaten bei anderen kriegführenden Staaten, Flüchtlingslager und Antisemitismus, jüdische Veteranen und die Realität einer neuen Welt. Mader hatte bereits für DAVID zwei einschlägige Beiträge verfasst, die auch online abrufbar sind (Heft 93/2012, ausführlicher in Heft 101/2014 und 102/2014). Dieter J. Hecht: »Hochzeiten, Geburten und viele Todesfälle. Die Arbeit der Feldrabbiner in der österreichisch-ungarischen Armee während des Ersten Weltkrieges« (S. 397-429). Eine Vorversion war 2014 unter dem (nicht ganz korrekten) Titel »Feldrabbiner in der k. k. Armee während des Ersten Weltkriegs« in oben genanntem Begleitband erschienen. Martin Senekowitsch schliesslich bringt drei Abhandlungen über den Bund Jüdischer Frontsoldaten Österreichs 1932-1938, das jüdische Heldendenkmal am Wiener Zentralfriedhof und jüdische Gefallenendenkmale in Österreich (S. 433-484).
Der voluminöse, informative und repräsentativ ausgestattete Band enthält, insbesondere auch was die jüdischen Soldaten der Habsburger Monarchie und deren Seelsorge betrifft, gut recherchierte Beiträge von ausgewiesenen Experten und bildet somit den würdigen Abschluss der Reihe »Religionen im Krieg 1914–1918« des Heeresgeschichtlichen Museums.