Ausgabe

Die Judengemeinde von Zelem/ Deutschkreutz

Adalbert Putz

Jahrhunderte hindurch war Deutschkreutz im Besitz ungarischer Magnatenfamilien, daher setzte sich die Bevölkerung fast zur Gänze aus Lehensbauern zusammen. Waren die Untertanen zahlenmässig durch Kriegswirren oder Seuchen empfindlich dezimiert worden, mussten Zuzügler gewonnen werden. 

Inhalt

Zur Zeit der Türken- und Kuruzzenkriege war Zuzug immer wieder notwendig, um wirtschaftlich bestehen zu können. Zur Zeit der Zweiten Türkenbelagerung Wiens lebten bereits mehrere Judenfamilien in Deutschkreutz; Juden und Christen bildeten also für rund 270 Jahre eine Schicksalsgemeinschaft. Um das Wort „Kreu(t)z“ zu vermeiden, gaben die Juden dem Ort den hebräischen Namen „Zelem“.

 

Vereinzelt finden sich Namen jüdischer Handwerker hier bereits im 15. und 16. Jahrhundert.  Als aber Kaiser Leopold I. im Jahre 1670 die Juden aus Wien und Niederösterreich ausweisen liess, suchten viele von ihnen eine neue Heimat. Damals wurde auch der Grundstein für Zelem gelegt, denn am 14. September 1671 kamen achtundzwanzig jüdische Familien nach Deutschkreutz, welches nach der Hinrichtung von Franz III. Nadasdy als Verschwörer unter Aufsicht der Ungarischen Hofkammer stand. Im Jahre 1676 ging Deutschkreutz in den Besitz von Paul Esterhazy über, was in weiterer Folge zu den berühmten „Siebengemeinden“ (hebr. Schewa Kehillot) führte. Die Esterhazys sahen in den jüdischen Händlern und Kaufleuten vor allem Partner beim Wiederaufbau ihrer Besitzungen.

Fürst Michael Esterhazy stellte den Deutschkreutzer Juden 1720 einen Schutzbrief aus, der bestätigte, dass die hiesigen Gemeindemitglieder das Ansiedlungsrecht und den Status „Schutzjuden“ hatten. Der Vertrag schützte, gegen ein jährlich zu entrichtendes „Schutzgeld“, das Leben und den Besitz der Juden vor jeglichen Übergriffen. Auch wurde ihnen erlaubt, eine Synagoge und einen Friedhof zu errichten, ausserdem eine koschere Fleischbank sowie eine Brauerei zu eröffnen. Zum ersten Synagogenbau kam es 1746/47; bereits vorher muss es aber zumindest ein Bethaus gegeben haben, was eine Beschreibung der „Judenparteien“ (1729) beweist, in der auch eine „Sinnagag“ erwähnt wird. Nachdem bei einer verheerenden Brandkatastrophe (1834) neben neunundsechzig jüdischen Anwesen auch die Synagoge „in Schutt und Asche“ fiel, musste 1835/36 eine neue Synagoge errichtet werden.

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Blick in die ehemalige „Judengasse“ (Hauptstrasse) um 1915. Privatarchiv Dr. A. Putz, mit freundlicher Genehmigung.

Die Judengemeinde besass in religiösen Belangen und auch politisch vollkommene Autonomie. Deutschkreutz war eine komplett ausgebaute Judengemeinde mit allen notwendigen Einrichtungen. Die ersten jüdischen Familien siedelten sich am östlichen Ortsrand an, etwa eineinhalb Kilometer vom Schloss entfernt. Zur Zeit des Kuruzzenrummels (1703-1711) flohen die hier ansässigen Juden in sicherere Gegenden und kehrten erst 1713 zurück. Danach stieg die Zahl der jüdischen Zuwanderer stetig an, sodass die Frage nach einem grösseren Siedlungsareal immer drängender wurde. Zu dieser Zeit war Deutschkreutz noch ein Breitangerdorf; der Anger war bis zu 220 Meter breit und bot so reichlich Raum für Bauparzellen. Als die Einwohnerzahl der Juden vor allem in den 1830er Jahren rapide anwuchs, verkaufte der Fürst diese Bauplätze an die jüdischen Zuzügler, die auf diese Weise ins Ortszentrum vorrückten. In diesen Kaufverträgen ist immer die Rede von der „neuen Judengasse“ oder auch „Israelitengasse“. Die Zelemer Kultusgemeinde erreichte im Jahre 1857 mit 1.244 Einwohnern ihren Höhepunkt, wobei die Geschäftswelt von Deutschkreutz zum weitaus grössten Teil in jüdischer Hand lag. 

 

Zwischen der Revolution 1848 und dem Ausgleich von 1867 fand die Abhängigkeit der Judengemeinde von der Grundherrschaft ihr Ende, damit aber auch ihre politische Autonomie. Mit der Möglichkeit der freien Niederlassung in den österreichischen Städten sank die Zahl der jüdischen Bewohner innerhalb von zweieinhalb Jahrzehnten auf 476 ab. Wegen der enormen Abwanderung stellten die Aufrechterhaltung der notwendigen Einrichtungen, auch der Grundschule und die Versorgung der Talmud-Studenten eine wirtschaftliche Herausforderung dar. In Deutschkreutz wirkten nämlich bedeutende Rabbinerpersönlichkeiten, die wegen ihrer Gelehrsamkeit Studierende (Bocharim) aus diversen Ländern Mitteleuropas anzogen. Deren Versorgung und Betreuung oblag der Judengemeinde, die trotz der finanziellen Belastung stolz auf ihr Angebot einer Jeschiwa war. 

 

Der wohl herausragendste Zelemer Rabbiner war Menachem Katz-Prosnitz, der die jüdische Bevölkerung 51 Jahre lang in streng orthodoxem Geist führte und mehr als einhundert Talmud-Schüler unterrichtete. In diesem Zusammenhang ist auch Lazar
Horowitz
, der spätere Stadtrabbiner von Wien, zu erwähnen, der mit Karolina Spiegel, der Tochter eines Zelemer „Schutzjuden“ verheiratet war und von 1825-1828 die hiesige Jeschiwa leitete. In dieser christlich-jüdischen Doppelgemeinde kamen die beiden Bevölkerungsgruppen gut miteinander aus. So manche jüdische Familie war mit christlichen Ortsbewohnern sehr gut befreundet; Zeitzeugen sprechen auch von gegenseitiger Hilfsbereitschaft und Anteilnahme. Und trotzdem wurde Zelem im Jahre 1938 für immer ausgelöscht. Mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich am 12. März 1938 setzten auch hier sofort judenfeindliche Übergriffe ein; die jüdischen Mitbürger wurden gedemütigt und misshandelt, und man fiel plündernd über ihre Geschäfte her. Bereits Anfang Mai hatten alle vierhundertdreissig Zelemer Juden ihren Heimatort Richtung Wien verlassen. Neben den einundachtzig nachweislich in Konzentrationslagern Ermordeten und den 154 Ausgewanderten weiss man von 181 von ihnen bis heute nicht, wo sie geblieben sind. Der jüdische Besitz wurde beschlagnahmt und „arisiert“. 

 

Bald nach der Vertreibung der Juden begann die Zerstörung ihres Eigentums und ihrer Kultstätten. Die Synagoge wurde am 16. Februar 1941 von den Nazis in die Luft gesprengt. Gegen Kriegsende wurde der örtliche jüdische Friedhof zur Gänze verwüstet. Von den überlebenden Deutschkreutzer Juden hat sich keiner mehr hier niedergelassen. Ein wichtiger Schritt zur Erinnerung an die ehemals florierende Judengemeinde von Zelem war die Errichtung eines eindrucksvollen Denkmals, das auf Grund der besonders engagierten Initiative von KR Michael Feyer aus Wien am 3. Juli 2012 mitten in der ehemaligen „Judengasse“ (heute Hauptstrasse) enthüllt wurde.1

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Verzeichnis der Deutschkreutzer Juden im Jahr 1699. Quelle: EPA = Esterhazy Privatstiftung, Archiv auf Burg Forchtenstein, mit freundlicher Genehmigung Dr. A. Putz.

Anmerkung

1 vgl. dazu auch den redaktionellen Beitrag: Ein neu errichtetes Denkmal in Deutschkreutz-Zelem. In: DAVID Heft 96, Jg. 25, Pessach 5773/April 2013; link: https://davidkultur.at/artikel/ein-neu-errichtetes-denkmal-in-deutschkreutz-zelem, sowie Monika Kaczek: Gegenwart–Vergangenheit–Zukunft. Michael Feyer im Interview. In: DAVID Heft 116, Jg. 29, Pessach 5778/April 2018; link: https://davidkultur.at/artikel/gegenwart-vergangenheit-zukunft

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 Denkmal zur Erinnerung der Judengemeinde von Zelem in der ehemaligen „Judengasse“ in Deutschkreutz vor dem C. Goldmark-Haus. Foto: Privatarchiv Dr. A. Putz, mit freundlicher Genehmigung.

 

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KR Michael Feyer bei Nationalratspräsidentin Dr. Prammer zur Präsentation des Denkmal-Projekts. Foto: Privatarchiv Dr. A. Putz, mit freundlicher Genehmigung.

 

 

Nachlese

Esterhazy Privatstiftung, Archiv auf Burg Forchtenstein.

Spitzer, Shlomo: Die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz. Wien-Köln-Weimar 1995.

Tobler, Felix: Die Fürsten Esterhazy als Schutzherrn der jüdischen Sieben-Gemeinden 1612-1848. In: Mitteilungen aus der Sammlung Privatstiftung Esterhazy 12. Eisenstadt 2021.