Ausgabe

Die Philosophie des modernen Songs

Michael Bittner

Inhalt

Bob Dylan: Die Philosophie des modernen Songs. Übersetzt von Conny Lösch. C.H.Beck Verlag 2022.

Gebundene Ausgabe, 352 Seiten, Euro 35,00.-

ISBN-10: 3406792847

ISBN-13: 978-3406792847

Schon in meiner Kindheit war ich – zum Leidwesen meiner Mamme – ein bekennender Bob Dylan-Fan. Bewundernd nahmen dies meine Schulkollegen, die den Beatles oder Stones nachhingen, zur Kenntnis, sie konnten mit den enigmatischen Texten und der schnarrenden Stimme nichts anfangen.

Mit zehn Jahren, 1968, kaufte ich mir vom zusammengesparten Taschengeld das erste Album, der erstaunte Plattenverkäufer händigte mir mit Kopfschütteln die LP „John Wesley Harding“ aus, es kostete stolze 160 Schilling (dafür hätte ich 320 Bazooka-Kaugummis bekommen).

Nun zu Bob Dylan, né Zimmermann als Buchschreiber. Den Literatur-Nobelpreis hat er ja schon, also tut er sich leichter als früher, seine Gedanken geordnet zu Papier zu bringen. 1966 schrieb er „Tarantula“, einen Text, den man gemeinsam mit „Blonde on Blonde“ konsumieren sollte.1 Leichter tut man sich mit „Bob Dylan Chronicles Band 1“, ebenso gefüllt mit Schilderungen aus den Sechziger Jahren. 2

 

Nun zur Neuerscheinung: „Die Philosophie des modernen Songs“, auf Deutsch im November 2022 bei C.H. Beck erschienen, ist ein Buch, in dem Bob Dylan leider nicht seine eigenen, sondern fremde Lieder analysiert, die ihn in seiner Laufbahn beeinflusst haben. „Strangers in the Night“ von Bert Kaempfert ist ebenso dabei wie „London Calling“ von The Clash, also ein Potpourri von 66 Songs, die ihm gefallen, auf 352 Seiten. Dylan-Kenner wird verwundern, dass er die Einflüsse der alten Generation wie Woodie Guthrie oder Hank Williams hier nicht anführt, obwohl sie auf seinen frühen Platten deutlich hörbar sind. Ein wunderschönes, ein nostalgisches Buch mit vielen Fotos, die nicht oder dann doch wieder irgendwie zu den Texten passen. Ein männliches Buch, nicht misogyn, aber Frauen spielen im Text und auch optisch eine absolute Nebenrolle.

 

Wie steht es mit der Jüdischkeit des Buches? An Dylan hat mich immer das Oszillieren zwischen Judentum und Christentum verwundert. Schon auf seinem ersten Album gibt es einen „Jesus Christ“ – Song, 1976 versuchte er sich im Stil eines Synagogensängers in „One more Cup of Coffee“, 1979 bis 1981 brachte er drei christgläubige Platten heraus, die er 2017 auch noch neu herausgab. 3 Es gibt im Buch Geschichten über jüdische Menschen, jüdische Interpreten (die im U.S.-Showbusiness sehr häufig sind) und wir erfahren, dass Jonathan Karp ihm die entscheidenden Ejzes gegeben hat, also bewegt er sich wieder in jüdischen Kreisen. So ist ein Buch entstanden, welches ideal ist für alte Männer, die in Erinnerungen schwelgen können, die Texte verschlingen und verdauen werden und sich dann die alten Songs aufs Handy streamen. Das Gefühl, wieder in den Sechzigern zu sein, ist die 36 Euro und 90 Cent wert. Bob Dylan bleibt, was er immer war – ein unbegreifliches Rätsel, eine unerschöpfliche Inspirationsquelle, ein musikalisch-literarischer Wunderrabbi.

 

Anmerkungen

1 Bob Dylan, Tarantula, 4. Auflage Harper Perennial 2005

2 Bob Dylan, Chlonicles Band 1, 2004, deutsch Kiepenheuer & Witsch 2008

3 https://www.jesus.ch/magazin/kultur/musik/319254-bob_dylan_gibt_christliche_alben_neu_heraus.html

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