Egon Erwin Kisch (29.4.1885–31.3.1948) starb einen Monat nach der putschartigen Machtergreifung der Kommunisten in Prag eines natürlichen Todes. Noch ein glücklicher Zeitpunkt, könnte man sagen.
Der Trauerzug zum Begräbnis begann beim Zentralbüro der kommunistischen Partei; gleich hinter der Witwe ist der KP-Generalsekretär Rudolf Slánský (1901–1952) zu sehen, der kurz danach verhaftet und wegen zionistisch-titoistisch-revisionistischer Umtriebe angeklagt und gemeinsam mit zehn anderen (nahezu alle jüdischer Herkunft) hingerichtet wurde. Kischs freimütige, 1939 in Paris zu Friedrich Torberg (1908–1979) geäusserte Selbstbeschreibung „mir kann eigentlich nichts passieren. Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus einem guten Haus. Ich bin Kommunist … Etwas davon hilft mir immer“ wäre wohl von der tschechoslowakischen Justiz als perfekte Beschreibung eines „wurzellosen titoistisch-zionistischen Kosmopoliten“ gedeutet worden und mit einem Todesurteil zu ahnden gewesen.
Doch, wie eingangs erwähnt, der „rasende Reporter“ kam seinen Genossen zuvor.
Er entstammt tatsächlich einer alteingesessenen Prager jüdischen Familie, die mit ihren vier Söhnen den Renaissancehof „Zu den Zwei Bären“ gleich hinter dem Altstädter Ring bewohnte. Der Legende nach kam Jacob Yeckel Kisch aus dem mittelböhmischen Chiesch (tschech. Chyše, grob zwischen Prag und Karlsbad gelegen) im 17. Jahrhundert nach Prag, in der Folge vermählten sie sich mit den Jeiteles, Fürth, Kolisch, Pick, Österreicher und Kuh.
Egon teilte schon früh mit seinem Bruder Friedrich (Bedřich, 1894–1968) sozialistische Neigungen, ganz im Gegensatz zum anderen Bruder Paul (1883–1944 Auschwitz), der als Burschenschafter Redakteur der Neuen Freien Presse in Wien war und die Besetzung der Zeitungsräume im Jahre 1918 durch die revolutionären Garden seines Bruders Egon so kommentierte: „Gut, ich weiche der Gewalt, aber eins sag ich dir, Egon: Ich schreib‘s noch heute der Mama nach Prag!“
Exzentrik, die Lust an der eigenen Inszenierung, ein un-
trüglicher Instinkt für Sensationen und ein akribisches Studium kriminalhistorischer Fälle machten Kisch, ab 1920 mit Wohnsitz in Berlin, zu einem der meistgelesenen Reporter der Weimarer Republik: seine frühen, noch in Prag für die Bohemia geschriebenen Enthüllungen zum Spionagefall „Alfred Redl“ zählten da genauso dazu wie die Berichte seiner Reisen nach Moskau, in den Kaukasus und das Donezbecken (in Buchform Zaren, Popen, Bolschewiken, 1926), Reisen in die U.S.A (in Buchform Paradies Amerika, 1930), nach Schangai, Peking, Nanking und Tokio (in Buchform Asien gründlich verändert, 1932).
Egon Erwin Kisch bei seiner Rede in Sydney über die Gefährlichkeit des NS-Regimes. Foto: Sam Hood. Quelle: Labor Daily, 19.11.1934. http://acms.sl.nsw.gov.au/item/itemDetailPaged.aspx?itemID=8996 auf Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kischdomain1935.JPG
Hitlers Machtergreifung in Deutschland setzt dem ein jähes Ende, Kisch wird in der Festung Spandau inhaftiert, kommt frei und lebt bis zu seiner Flucht nach Mexiko in Versailles, unter anderem unterbrochen von seiner Teilnahme am „Antikriegskongress“ im australischen Melbourne, die er nur durch einen Sprung vom Schiff erzwingen konnte, da ihm die Behörden wegen seiner „kommunistischen Agitation“ die Einreise verweigerten. Ein gebrochenes Bein war die Folge. Bilder des „Rasenden Reporters“ auf Krücken gingen um die Welt und machten den Kongress in Europa erst wirklich dadurch bekannt.
Leben in Mexiko
Kisch verdankt seine erfolgreiche Flucht dem mexikanischen Konsul in Marseille, Gilberto Bosques (1892–1995), der ihm und vielen hundert anderen zu einem Visum verhalf – unter anderem Anna Seghers (1900–1983), die dem Diplomaten in ihrem Roman Transit ein Denkmal setzte. Es entwickelte sich in Mexiko-Stadt eine sehr aktive Emigrantenszene, selbst ein deutschsprachiger Verlag, El libro libre, wurde gegründet.
Kisch widmet sich einer regen Vortragstätigkeit im Rahmen des Heinrich Heine-Klubs. Seine Grundstimmung, schreibt die ebenfalls aus Prag stammende Lenka Reinerová (1916–2008), war Heimweh nach Europa.
Frontcover von Kischs bekanntester Reportage aus dem Spanischen Bürgerkrieg: Die drei Kühe, Amalien-Verlag, Madrid 1938. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kisch-Die-drei-Kühe.jpg
Egon Erwin Kisch: Paradies Amerika, Verlag Erich Reiss, Berlin 1930. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kisch-Paradies-Amerika-1930.jpg
1946 tritt er seine Rückkehr nach Prag an. Auch dort ist er verloren. Seine Brüder Arnold (1889–1941 Łódź) und Paul wurden von den Nazis ermordet, sein Bruder Friedrich hatte als Arzt in China überlebt und wohnte nun wieder im Haus „Zu den Zwei Bären“. Egon Kisch zog in das Haus eines Jugendfreundes nach Střešovice, in jenes Haus (U laboratoře 22), in dem während des Krieges Adolf Eichmann (1906–1962) gelebt hatte. Kisch: „Diese schöne Wohnung? Die gehörte früher Adolf Eichmann, dem Schrecken des Weltjudentums. Die Möbel, Bilder, Nippsachen, ja auch das Netzgitter, dort am Balkon, eigens für sein Kind gemacht, das alles war einmal seines. Was? Es stört mich nicht, nicht einmal beim Einschlafen.“
Praha 6-Střešovice dům čp.538 U laboratoře 22 „Eichmann-Villa“, letzte Adresse von Egon Erwin Kisch. Foto: Dobroš. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Střešovice_dům_čp.538_U_laboratoře_22.jpg