Der letzte bisher noch lebende Chefankläger der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse, Benjamin B. Ferencz, ist tot. Er starb im Alter von 103 Jahren in einer Betreuungseinrichtung in Florida.
Benjamin Berell Ferencz wurde am 11. März 1920 im siebenbürgischen Nagysomkút (Komitat Szatmár, dt. Grosshorn, rumän. Șomcuta Mare, heute Rumänien) als Sohn eines jüdisch-orthodoxen Ehepaars geboren. Als er zehn Monate alt war, emigrierte die Familie in die U.S.A., wo er in bescheidenen Verhältnissen in New York aufwuchs. Nach dem Besuch der Townsend Harris High School studierte er am City College of New York Jus und erhielt 1943 seinen Abschluss an der renommierten Harvard Law School, die er dank eines Stipendiums besuchen konnte.
Nach seiner Einberufung in die Armee kämpfte er in einer Einheit in Frankreich und erhielt nach Kriegsende den Befehl, im Rahmen der Judge Advocate Section Beweismaterial für Kriegsverbrechen zu sammeln. Seine Ermittlungen führten ihn zu befreiten Konzentrationslagern, unter anderem auch nach Buchenwald, Mauthausen-Gusen und Ebensee. In ihrem Film Recht, nicht Krieg, der im April 2023 im historischen Schwurgerichtssaal in Nürnberg die Premiere feierte, wird Benjamin B. Ferencz von der deutschen Regisseurin Ullabritt Horn porträtiert:
„Der damals 26-Jährige blickte in die Hölle menschlichen Daseins. ‚Liebste Trudy, die Donau ist weder blau noch schön in diesen Tagen. Nichts hier ist in Ordnung‘, schrieb er am 15. Mai nach Hause. Am 5. Mai war das KZ Mauthausen von der US-Armee befreit worden, ein oder zwei Tage später fuhr Ferencz in einem Jeep durch das Tor, fand lebende Skelette im Müll umherirrend, nackt oder mit Fetzen am Leib, manche noch in der blau-weissen Sträflingskleidung. (…) Hier in Mauthausen hat sich die Nazi-Herrenrasse Unglaubliches einfallen lassen, um Menschen zu quälen und zu vernichten.‘ Ferencz berichtet von der Todesstiege im Steinbruch, von der Gaskammer, von sadistischen Exzessen der Wächter. ‚Da sind noch tausend andere Dinge, die ich sah, aber ich kann sie nicht erzählen‘, schreibt er seiner Frau. Wenige Tage später muss Ferencz nach Ebensee. Auch hier ‚lebende Tote‘.“1
Der Chefankläger Benjamin Ferencz beim Nürnberger Prozess gegen die Einsatzgruppen, United States vs. Otto Ohlendorf et al., 1947/48. Foto: Fotograf der U.S. Army für OCCWC/IMT; United States Holocaust Memorial Museum, Photograph #09917. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Prosecutor_Benjamin_Ferencz_at_the_Einsatzgruppen_Trial.jpg?uselang=de
Ende 1945 kehrte er nach New York zurück, um als Jurist tätig zu werden. Am 20. November 1945 mussten sich führende Nationalsozialisten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess verantworten. Die alliierten Siegermächte stellten 21 Führungspersonen des Deutschen Reiches, darunter ranghohe Kriegsverbrecher wie Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess und Reichsmarschall Hermann Göring, vor ein internationales Gericht. Der Prozess endete nach fast einem Jahr mit zwölf Todesurteilen. Benjamin B. Ferencz wurde Chefankläger in einem der zwölf sogenannten Nachfolgeprozesse, die von 1946 bis 1949 auf das Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher folgten. Aufgrund von Beweismaterial konnte er 24 führende SS-Leute wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anklagen. Im Rahmen der Prozesse führte er den Begriff Genozid in die Gerichtspraxis ein.2 Er gilt auch als einer der Initiatoren des Internationalen Strafgerichtshofs. Mit fast neunzig Jahren eröffnete er 2009 symbolisch das erste Plädoyer der Anklage des Gerichts in Den Haag. Benjamin B. Ferencz starb am 7. April 2023 in Boynton Beach (Florida). Er hinterlässt vier erwachsene Kinder.
Ferencz 2012 im Schwurgerichtssaal 600 des Justizpalastes Nürnberg. Hier fanden 1945–49 die Nürnberger Prozesse statt. Foto: Adam Jones. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_Ferencz_-_Chief_Prosecutor_in_1947_Einsatzgruppen_Trial_-_In_Courtroom_600_Where_Nuremberg_Trials_Were_Held_-_Palace_of_Justice_-_Nuremberg-Nurnberg_-_Germany_-_02.jpg?uselang=de
Anmerkungen
1 Christa Zöchling: Mit 27 Jahren wurde Benjamin Ferencz Chefankläger im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess. Pofil, 14.01.2023 ; https://www.profil.at/oesterreich/mit-27-jahren-wurde-benjamin-ferencz-chefanklaeger-im-nuernberger-einsatzgruppen-prozess/400918277 (18.04.2023)
2 https://www.derstandard.de/story/2000145339750/benjamin-ferencz-chefanklaeger-der-nuernberger-prozesse-ist-gestorben (18.04.2023)