Ja, er war es! Der damals noch junge, unbekannte Dichter feierte mit seinem „Prolog und Epilog über die Lebenden Bilder“ seine Premiere als Dramatiker.
Sie hoben diese Abende, am 28. Februar und am 2. März 1893, aus den üblichen Festen der Wiener Society heraus –
Tableaux vivants, von der Jugend verkörpert, musikalisch begleitet und dramatisch eingerahmt von der Baronin Pitha, die im wunderbaren Palais Todesko in der Kärntnerstrasse Hofmannsthals Texte sprach. Das Wiener Salonblatt berichtete begeistert. 1
Hugo von Hofmannsthal.
Die Tableaux vivants im Salon der Freifrau Sophie von Todesko hatten eine lange Tradition, fast dreissig Jahre gab es Wohltätigkeitsveranstaltungen mit „Lebenden Bildern“, doch wurden sie offenbar nicht fotografisch dokumentiert. Den Höhepunkt stellten die Abende im Frühjahr 1893 dar.2 Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) hatte Felix von Oppenheimer (1874–1938), den Enkel von Sophie und Eduard von Todesko, in einer Fechtschule kennengelernt und war häufig im Palais zu Gast. Die beiden jungen Herren sind auf den Tableaux vivants zu sehen, Felix als „Romeo“, Hugo im „Hochzeitszug“ (Abbildung 1). Hofmannsthal wird sich später oft bei der Familie Oppenheimer aufhalten, im Palais, aber auch am Ramgut bei Altaussee. Nicht aber, um seinen Freund zu besuchen, sondern dessen Mutter Yella von Oppenheimer (1854–1943).3 (Abbildung 3) Der Glanz der Veranstaltung, die in einem Ball für zweihundert geladene Gäste endete, war der Wiener Salonzeitung vom 12. März 1893 einen Bericht mitsamt Auflistung sämtlicher Teilnehmer wert.4 Es existiert auch ein kurzer Bericht in den Memoiren von Josefine Winter (1873-1943).5 Die Fotografien wurden als Heliogravüren von Jakob Blechinger, dem Schwiegersohn des Fotografen Victor Angerer, gedruckt und als Mappenwerk herausgebracht.
Felix von Oppenheimer.
Wie aus der Einladungskarte hervorgeht,6 wurden elf Bilder gestellt, nach „modernen“ Malern; bislang hatten viele Tableaux Vivants des 19. Jahrhunderts auf Gemälden der Renaissance basiert. Man begann stilsicher mit Jakob und Rahel, gestellt von dem Maler Adolph Hirschl, aus der Familie war Ilse von Lieben (verehelichte Leembruggen, 1873–1961) dabei. Ihre Schwester Valla von Lieben (Valerie „Wala“ Karplus, 1874–1938) spielte auf der fünften Szene, Melusine nach Moritz von Schwind, ihre Rolle, dann Felix von Oppenheimer als Romeo nach Hans Makart (Abbildung 2), Anna von Lieben (geb. Todesko, 1847–1900) auf der Siesta, nochmals ihre Tochter Ilse als Kriegsbeute nach Jaroslav Csermak und Marie von Gomperz (1870–1940) auf der Ländlichen Unterhaltung nach Jean Baptiste Pater. Die k. k. Kammersängerin Karoline von Gomperz-Bettelheim (1845–1925) – Makart hatte sie wunderschön gemalt (siehe Abbildung 4) – sang zwei Lieder. Das Wiener Salonblatt weiss auch noch zu berichten, dass unter der anwesenden Prominenz Vertreter des Hochadels von Metternich bis Hoyos, aus Politik und Wirtschaft, Familienmitglieder derer von Gomperz und von Lieben sowie der Hofrat Dr. Billroth sich befunden hätten.7 Fast wäre ich einem falschen Freund aufgesessen, ein Herr Fortwängler trat als Darsteller auf, aber es war nicht der damals erst siebenjährige Wilhelm Furtwängler. Die Aufzählung der Darsteller stimmt grösstenteils mit der Auflistung im Archiv der Tate Gallery London überein.8
Yella von Oppenheimer.
Die Lebenden Bilder wurden von den Malern Adolf Hirémy-Hirschl und Ludwig Hans Fischer gestellt.9 Hirémy, damals noch Hirschl, fertigte ein Pasticcio nach den schönsten Motiven der Fotografien in Aquarelltechnik an.10 In der Mitte thront die Gastgeberin, Yella von Oppenheimer. Alle waren mit Feuereifer bei der Sache, sogar Hugo von Hofmannsthal, der die Proben sehr anstrengend fand – an
Arthur Schnitzler schreibt er: “Alle 2ten Tag Bilderproben von 7 - 2 Uhr nachts – aber sehr lustig.“ Auch machte er sich Sorgen um ein stilgerechtes Outfit. Am 8. Februar 1893 benachrichtigt er Richard Beer-Hofmann:
„Ich habe bei den lebenden Bildern Directoirecostüm: haben Sie zufällig Kleinigkeiten, die Sie mir leihen könnten, Monocle oder den Knotenstock mit der Quaste oder eine Zeitung von 1796, um sie in die Tasche zu stecken? Ich werde mir jedenfalls erlauben, Sie zu einer Costüm- und Nuancenprobe einmal zu mir zu bitten.“11
Als Einziger blickt Hofmannsthal aus seinem „Tableau“ selbstsicher aufs Publikum hinaus.12
Für alle, die damals dabei sein konnten, war es ein grosses Erlebnis. Es vertiefte Freundschaften wie zwischen Oppenheimer und Hofmannsthal, es begründete die Karriere des Dichters und den gesellschaftlichen Glanz der Baronin Oppenheimer, die späterhin Hofmannsthal eine mütterliche Freundin sein wird. Besonders bezahlt gemacht hatte sich das Fest für den Maler Gabriel von Max. Sein Blindes Christenmädchen, verkörpert durch die liebreizende Gertrud
Auspitz (verehelichte Klastersky, 1875–1945), rührte die Herzen der Damen, vor allem jenes der Gastgeberin. Valla von Lieben schreibt ihrer Schwester Ilse am 10. April 1893, sie fahre mit Tante Yella in das Atelier des Künstlers am Starnberger See, wo sich etwas für die Kunstsammlung finden werde.13 Gabriel von Max hatte übrigens das Bild vorsorglich gleich dreimal gemalt.14
Karoline Gomperz. Gemälde von Hans Makart. Quelle: http://palgraphicsarea.blogspot.com/2007/10/art-by-hans-makart.html, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3698874
Ein glanzvoller Abschluss einer Epoche – wenig später erfüllt sich das Leben von Sophie von Todesko, im selben Jahr stirbt auch der geniale Fotograf Victor Angerer, der die Familie jahrzehntelang fotografisch begleitet hatte. Hugo von Hofmannsthal wird bis zu seinem frühen Tod den Kontakt zu den Oppenheimers halten und Yella eine „erfreuliche Gesellschaft“ sein.15
Anmerkungen
1 https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wsb&datum=18930312&seite=4&zoom=33
2 Folie, Sabine; Glasmeier, Michael: Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video (Text: Mara Reissberger), Kunsthalle Wien, 2002, S. 196 ff.
3 Hugo von Hofmannsthal – Yella, Felix und Mysa Oppenheimer: Briefwechsel, hrsg. v. Nicoletta Giacon, SEITE
4 Hugo von Hofmannsthal – Yella, Felix und Mysa Oppenheimer: Briefwechsel, hrsg. v. Nicoletta Giacon. S. 10.
5 Josefine Winter, Fünfzig Jahre eines Wiener Hauses, Wien/Leipzig 1927, S.68.
6 Folie, Sabine; Glasmeier, Michael: Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video (Text Mara Reissberger), Kunsthalle Wien, 2002, S. 197.
7 ONB_wsb_18930312, Wiener Salonblatt vom 12. März 1893.
8 TGA 20129-6-7-1
9 Brandstetter, S.4.
10 Inspiration Fotografie. Von Makart bis Klimt. Eine Materialiensammlung, hrsg Faber, Monika, Husslein-Árco Agnes, Belvedere o.J. (2006) S. 203 aus einer Privatsammlung (S. 271), heute verschollen im Belvedere.
11 Hugo von Hofmannsthal – Felix, Mysa und Yella von Oppenheimer: Briefwechsel, hrsg. v. Nicoletta Giacon, S 16-18.
12 Mara Reissberger, Die Sprache der Lebenden Bilder. Folie, Sabine; Glasmeier, Michael: Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video), Kunsthalle Wien, 2002, S. 199.
13 TGA-20129-1-5-15-49-1_9
14 https://www.invaluable.com/auction-lot/gabriel-cornelius-von-max-light-original-oil-on-c-2002-c-e9c4ad9aaa
15 Hugo von Hofmannsthal – Felix, Mysa und Yella von Oppenheimer: Briefwechsel, hrsg. v.Nicoletta Giacon, S.18.
Abbildung 1 – 3 Bearbeitungen des Autors nach TGA-20129-6-7-1-6-1_9, TGA-20129-6-7-1-11-1_9, TGA-20129-6-7-1-12-1_9, Archiv Tate Gallery, London.