Ausgabe

Dieses Schicksal haben Menschen den Menschen bereitet

Monika Kaczek

Inhalt

Zofia Nałkowska: Medaillons. Erzählungen.

Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Marta Kijowska.

Frankfurt am Main: Schöffling & Co. 2021.

144 Seiten, gebunden, Lesebändchen, Euro  20,60,-

ISBN: 978-3-89561-464-4

Auch als E-Book erhältlich, ISBN/EAN 9783731762058;

Beim Öffnen des Buches stossen die LeserInnen auf den Satz, der bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat: „Dieses Schicksal haben Menschen den Menschen bereitet.“ 1945 beteiligte sich Zofia Nałkowska an der Arbeit der Hauptkommission zur Untersuchung deutscher Kriegsverbrechen in Polen. Im Rahmen dieser Tätigkeit entstand der Band Medaillons, der in acht Erzählungen, die in Polen zur Schullektüre zählen,  an Lebenswege von Opfern der Shoah und Handlangern des Nationalsozialismus erinnert. Wie die Übersetzerin Marta Kijowska im Nachwort schreibt, war die „Herausforderung umso grösser, als seit 1945 eine Fülle an Titeln erschien, die sich mit dem Thema Krieg und Okkupation auseinandersetzten, gattungsmässig allerdings eindeutig einzuordnen waren. Nałkowskas Stil hingegen, sparsam, trocken, komprimiert, authentische Fakten und Menschen ohne jeglichen Kommentar beschreibend und diesen dennoch eine einzigartige literarische Aura gebend, entzog sich jeder Kategorisierung und hinterliess trotzdem den stärksten Eindruck.“ (Seite 140f)

 

Die Themen der Erzählungen umfassen den grauenhaften Fall der Seifenherstellung aus menschlichen Körpern am Danziger Anatomischen Institut (Professor Spanner) und Berichte von Überlebenden der Vernichtungslager, wie zum Beispiel in Der Mensch ist stark, wo ein jüdischer Mann seine Familie in den Tod begleiten muss:

„Er spricht leise, ruhig, aber trotzdem feierlich, als würde er einen heiligen Text rezitieren. ‘Ich brachte meinen Vater und meine Mutter zu den Vergasungswagen. Später brachte ich meine Schwester und ihre fünf  Kinder und meinen Bruder mit Frau und drei Kindern. Ich wollte freiwillig mit meinen Eltern fahren, aber sie liessen mich nicht.’ “ (Seite 97f)

 

In seiner Buchbesprechung zu Medaillons in der Neuen Zürcher Zeitung meint der Rezensent Jörg Plath, dass er kein vergleichbares schriftliches Zeugnis der Shoah kenne, das den Opfern eine so starke Stimme gebe.

„Hätte es den Krieg nicht gegeben, man würde Zofia Nalkowska als elegante und erfolgreiche Grande Dame der polnischen Literatur der dreissiger Jahre kennen. Doch der Horror der Zeit öffnete ihr die Augen für die Notwendigkeit und die Kunst von Zeugenschaft und Trauer.“

 

Zur Autorin

Zofia Nałkowska (1884 Warschau − 1954 ebenda), die zu den bedeutendsten SchriftstellerInnen Polens zählt, führte ab den 1920er Jahren in Warschau einen berühmten Salon und förderte jüngere Schriftsteller, wie zum Beispiel Witold Gombrowicz und Bruno Schulz. Aus einem gebildeten Elternhaus stammend, studierte sie während des Zweiten Weltkriegs mehrere Fächer an der verbotenen Fliegenden Universität in Warschau, wo Kurse in polnischer Sprache angeboten wurden. Die bekennende Feministin war die einzige Frau an der Polnischen Akademie für Literatur. Nach 1945 war sie Abgeordnete des polnischen Parlaments und Mitglied einer Kommission zur Untersuchung deutscher Kriegsverbrechen.

h133_14.jpg

Anmerkungen

1 https://www.fr.de/kultur/literatur/zofia-nalkowska-medaillons-er-sah-aus-wie-ein-wilder-91059669.html

2 https://www.nzz.ch/feuilleton/fahles-licht-der-stunde-null-1945-zofia-nalkowskas-medaillons-ld.1657654?reduced=true