Ausgabe

Die Anfänge jüdischen Lebens in Österreich

Eveline Brugger/Birgit Wiedl

Die frühesten Nachrichten über die Anwesenheit von Juden im heute

österreichischen Gebiet sind vage.

Inhalt

Sehr spärliche Zeugnisse haben die Juden der Römerzeit hinterlassen: lediglich ein in Halbturn gefundenes Amulett mit einer hebräischen Inschrift in griechischen Buchstaben aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. deutet auf zumindest zeitweilige jüdische Präsenz im heute österreichischen Teil Pannoniens hin. Erst im Frühmittelalter beginnen Juden langsam in den Quellen aufzutreten, zunächst wohl nur als Durchreisende, wie etwa die „Juden und andere Kaufleute“ in der Raffelstettener Zollordnung vom Anfang des 10. Jahrhunderts, die jüdische Beteiligung am Donauhandel belegt. Bei den ab dem späten 11. Jahrhundert überlieferten Ortsnamen mit dem Namensbestandteil „Juden-“ dürfte es sich ebenfalls eher um die Stützpunkte durchreisender jüdischer Händler als um dauerhafte Ansiedlungen handeln; für die Zeit der Überlieferung ist für keinen dieser Orte die Anwesenheit von Juden nachweisbar.

Spuren einer eindeutigen jüdischen Besiedlung finden sich zuerst im Süden und Osten des heutigen Bundesgebietes, auch wenn die spärlichen Quellen keine genauen Rückschlüsse über den Beginn einer als Gemeinde organisierten Judenschaft an den einzelnen Orten erlauben. Einrichtungen wie Synagoge, Friedhof und Mikwe oder auch die Zahlung von Judensteuern sind Indizien für eine Gemeinde; dennoch muss ein einzelner hebräischer Grabstein noch nicht zwingend eine organisierte Gemeinde mit Friedhof bedeuten, und ebenso wenig kann von einer einzelnen Nennung eines jüdischen Bewohners auf eine permanente Ansiedlung geschlossen werden. Umgekehrt ist davon auszugehen, dass eine Gemeinde bei ihrer ersten Erwähnung in einer Quelle schon eine Zeitlang bestand.

 

 

Im Herzogtum Österreich lässt sich in den 1190er Jahren zum ersten Mal ein sicher ansässiger Jude nachweisen: Schlom, Münzmeister des babenbergischen Herzogs Leopold V., der in seinem Wohnort Wien eine private Synagoge besass; 1196 wurden er und seine Familie von Kreuzfahrern ermordet. 1235 erwähnen christliche Quellen wieder einen Juden in Wien; zu diesem Zeitpunkt muss jedoch bereits eine Gemeinde bestanden haben, da der aus Böhmen stammende Rabbi Izchak bar Mosche, der nach seinem berühmten Hauptwerk Or Sarua genannt wurde und als einer der grössten jüdischen Gelehrten Europas galt, schon seit mehreren Jahren in der Stadt amtierte. Rabbi Izchak lebte gut dreissig Jahre lang in Wien, das er „unsere Stadt“ nannte, und hinterliess einige Nachrichten über das Leben der Wiener Juden. 1238 wird diese Gemeinde erstmals in einer christlichen Quelle fassbar, als Kaiser Friedrich II. ein Privileg für die Wiener Judenschaft ausstellte. Ebenfalls am Beginn des 13. Jahrhunderts dürfte die jüdische Gemeinde in Wiener Neustadt (im Mittelalter der Steiermark zugehörig) entstanden sein, wo 1239 ein Rabbiner nachzuweisen ist. Für Krems, wo neben Wien und Wiener Neustadt die grösste jüdische Gemeinde des heutigen Niederösterreich entstehen sollte, ist eine jüdische Besiedlung mit Sicherheit ab 1264 nachzuweisen; da in dieser ersten eindeutigen Nennung auch von einem Kremser Judenrichter (ein christlicher Amtsträger, der für Streitfälle zwischen Juden und Christen zuständig war) die Rede ist, handelte es sich bereits um eine etablierte jüdische Niederlassung. Die 1267 erlassene Satzung der Tullner Fleischhauer lässt aufgrund ihrer Bestimmungen über den Verkauf von Vieh an Juden auf tatsächliche jüdische Einwohner in Tulln schliessen, ebenso die 1277 erlassene herzogliche Bestimmung, dass die Juden von Laa an der Thaya gemeinsam mit der Stadtgemeinde ihre Steuern zahlen sollten. Für Zwettl gibt es Hinweise auf die mögliche Anwesenheit eines Rabbiners in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, während für Klosterneuburg und Korneuburg erst um 1300 Ansiedlungen eindeutig nachweisbar sind. Für Oberösterreich setzen die Quellen erst im 14. Jahrhundert ein: 1316 wird der Fleischverkauf durch Juden in Schärding (das damals zu Bayern gehörte) geregelt; in den Dreissiger Jahren des 14. Jahrhunderts gab es eine Synagoge und jüdischen Hausbesitz in Linz, die Gemeinde dürfte also schon eine Zeitlang bestanden haben. Eine Nennung der Ennser Synagoge ist erst für 1430, also nach der Vertreibung der jüdischen Bewohner, belegt; seit wann die Gemeinde bestand, ist unklar. Auch für die Steiermark sind die Belege aus dem 13. Jahrhundert sehr spärlich. 1261 wird erstmals eine Judengasse in Graz erwähnt; der zweite, von 1286 stammende eindeutige Nachweis für jüdische Besiedlung betrifft das in der Untersteiermark gelegene, aber dem Erzbischof von Salzburg gehörende Pettau (Ptuj) im heutigen Slowenien. Auch die später bedeutende jüdische Gemeinde in Marburg (Maribor) ist ab dieser Zeit belegt.

 

Ausserhalb des babenbergischen Herrschaftsbereiches finden sich die frühesten Spuren dauerhafter jüdischer Besiedlung auf dem heutigen Bundesgebiet in Kärnten. In Friesach, das ebenfalls zum Salzburger Herrschaftsgebiet zählte, ist bereits um 1121/24 eine Judengasse nachweisbar, konkrete jüdische Geschäftstätigkeit allerdings erst 1255. Im selben Jahr werden die Juden von Villach, das unter der Herrschaft des Bischofs von Bamberg stand, urkundlich erwähnt; eine Reihe von Grabsteinen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts lässt auf die Existenz einer Gemeinde schliessen. Im ab 1335 habsburgischen Völkermarkt wurden aufgrund der zwischen 1105 und 1126 einmal nachweisbaren lateinischen Ortsbezeichnung Forum Judeorum und eines nicht ganz eindeutigen Grabsteinfundes die Anfänge jüdischer Präsenz schon ins 12. Jahrhundert gesetzt, was jedoch quellenmässig nicht weiter belegbar ist; erst 1292 werden eindeutig Völkermarkter Juden (in einem Tiroler Rechnungsbuch) erwähnt. Die Bürger des ebenfalls ab 1335 habsburgischen St. Veit schlossen Ende des 13. Jahrhunderts ausführliche Judenbestimmungen in ihren Stadtrechtskatalog ein, was allerdings kein sicheres Indiz für eine jüdische Ansiedlung sein muss. Im Erzstift Salzburg bestanden neben Friesach und Pettau auch in Hallein und Mühldorf (heute Bayern) in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts jüdische Gemeinden, die dem Erzbischof Steuern zahlten. Die Anfänge jüdischer Besiedelung in der Stadt Salzburg selbst sind schwer zu fassen – zwar sind eindeutige Hinweise erst ins 13. Jahrhundert zu datieren, aber die Lage der Salzburger Judengasse inmitten des ältesten Stadtbereichs spricht für eine frühere jüdische Präsenz, wie dies auch für andere Bischofsstädte des Reichsgebiets typisch ist. In (Nord-)Tirol lassen sich im 13. Jahrhundert vereinzelt jüdische Geschäftsleute nachweisen, die aus Friaul oder Kärnten kamen. Die Innsbrucker Juden waren von den Pestverfolgungen Mitte des 14. Jahrhunderts betroffen; ob es sich allerdings um eine Gemeinde oder um Einzelpersonen handelte, ist unklar. Sehr spärlich sind die Zeugnisse für das heutige Vorarlberg und Burgenland. Die Judenbestimmungen des Stadtrechts von Feldkirch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts lassen auf eine dortige Gemeinde zumindest vor der Pestverfolgung 1349 schliessen; eine jüdische Besiedlung in Bregenz um dieselbe Zeit ist zwar möglich, aber nicht mit Sicherheit zu sagen. Noch später, nämlich erst 1378, ist die einzige jüdische Präsenz für das Burgenland im damals ungarischen Eisenstadt nachzuweisen.

 

 

Nachlese

 

Eveline Brugger, Martha Keil, Albert Lichtblau, Christoph Lind, Barbara Staudinger: Geschichte der Juden in Österreich. Wien 22013.

Birgit Wiedl: Der Erzbischof von Salzburg und seine Juden. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 31/2 (2021), 237-295.

Wilhelm Wadl: Geschichte der Juden in Kärnten im Mittelalter. Klagenfurt 32009.

Klaus Brandstätter: Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter. In: Thomas Albrich (Hg.): Jüdisches Leben im historischen Tirol. Bd. 1: Vom Mittelalter bis 1805. Innsbruck-Wien 2013, 11-134.